Die Beduinen müssen sich einen Bunker besorgen

Valentin Schmid
Weil die Beduinendörfer nicht vom Iron Dome geschützt werden und manchmal von Raketen getroffen werden, mussten sich die Bewohner von Umm al-Hiran einen Behelfsbunker anschaffen. Der wird jetzt von jungen Frauen und Kindern bemalt.
Israel-Palästina
In der Negev-Wüste im Süden Israels leben rund 250.000 Beduinen. Viele ihrer Dörfer sind den Raketenangriffen der Hamas aus Gaza hilflos ausgeliefert. Der israelische Staat kümmert sich darum nicht, also nehmen sie das Heft selbst in die Hand.

Eine einsame Straße in der Wüste Negev, südlich der Westbank. Die Kinder der Beduinengemeinde Umm al-Hiran kommen gerade von der Schule, als sie verwundert stehen bleiben. Wo ein staubiger Schotterweg in ihre Siedlung mündet, steht jetzt ein grauer Betonkasten. Von weitem sieht er aus wie eine Bushaltestelle. Doch die 30 Zentimeter dicken Wände verraten: Es handelt sich um einen Luftschutzbunker. 

Als muslimische Araber sind die Beduinen eigentlich kein Ziel der Terrororganisation Hamas. Trotzdem waren sie fast zwei Monate den Raketen aus dem Gazastreifen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Weil Umm al-Hiran in Israel liegt, nimmt die Hamas Einschläge dort als Kollateralschäden in Kauf. Weil das Dorf außerdem nicht staatlich anerkannt ist, wird es auch nicht von der israelischen Raketenabwehr geschützt. „Manchmal funktioniert der Iron Dome hier und manchmal nicht“, erklärt ein freiwilliger Mitarbeiter von Israaid. Die israelische Hilfsorganisation hat die Notlage erkannt und den Behelfsbunker geliefert.

Der inoffizielle Dorfchef der gut 200 Einwohner von Umm al-Hiran heißt Raad Abu Alkeean: ein großgewachsener Mann, der nur mit gespiegelter Sonnenbrille durch sein Dorf läuft; so ist es in der Wüste angenehmer. Als Abu Alkeean vor 44 Jahren geboren wurde, wohnten die Leute von Umm al-Hiran noch in Zelten. Doch spätestens seit der Staatsgründung Israels 1948 haben mehr und mehr der etwa 250.000 Beduinen im Negev den nomadischen Lebensstil hinter sich gelassen. Sie sind in Blechhütten oder einfache Häuser gezogen, manche auch in neu errichtete Städte wie Rahat oder Hura.

Beduinen erleben immer wieder Misstrauen aus der jüdischen Bevölkerung

Abu Alkeean macht Halt auf einer Anhöhe, von der sich das Gelände überblicken lässt. Von dort sind eine kleine Moschee, ein Ziegenstall und mehrere Autowracks zu sehen, außerdem die Flachdächer der Beduinen, jedes mit Solarzelle und Wassertank, da sie nicht an die regionale Infrastruktur für Strom und Wasser angebunden sind. Auch ein kleiner Hügel ist zu sehen, auf dem zwei gelbe Bagger und ein Baucontainer stehen. Auf die Baustelle angesprochen, holt Raad Abu Alkeean tief Luft. „Da wird die jüdische Siedlung Dror gebaut.“ Sie ist der Grund, weshalb Umm al-Hiran seit Jahrzehnten in einem Rechtsstreit mit der israelischen Regierung liegt. Dabei seien die Bewohner 1956 schon einmal von ihrer alten Heimat umgesiedelt worden, um Platz für das 25 Kilometer entfernte Kibbutz Shoval zu schaffen. Und jetzt soll Umm al-Hiran zumindest teilweise der neuen jüdischen Siedlung weichen.

Autor

Valentin Schmid

ist freier Journalist und studiert Judaistik an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Immerhin: Anstatt das Dorf großflächig zu räumen, haben die Behörden bisher nur einzelne Häuser abreißen lassen. Einer dieser Fälle geriet 2017 in die Medien, als ein 47-jähriger Vater von zwölf Kindern kurz nach dem Abriss seines Hauses erschossen wurde. Die Polizei hatte ihn als Terroristen bezeichnet. Doch drei Jahre später entschuldigte sich sogar der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für den Fall. 

Abu Alkeean will sich nicht kleinkriegen lassen. „Wir sind belastbare und selbstständige Menschen, niemand ist arbeitslos. Wir warten nicht darauf, dass staatliche Behörden kommen und unsere Probleme lösen.“ Die Zahlen geben ihm recht. Hunderte Beduinen melden sich sogar jedes Jahr freiwillig zum Wehrdienst bei der israelischen Armee, wo sie für ihre Fähigkeiten im Fährtenlesen geschätzt werden. Andere engagieren sich bei Rettungsdiensten. Trotzdem erleben Beduinen immer wieder Misstrauen aus der jüdischen Bevölkerung – gerade jetzt, da der Krieg vielerorts die Fronten verhärtet. Einige fürchten sich, an ihre Arbeitsplätze in jüdischen Städten oder zum Studium an die Universität in Be'er Scheva zurückzukehren.

Junge Frauen und Kinder bemalen den Bunker

Mittlerweile ist vom Dorfeingang laute Partymusik zu hören. Junge Frauen aus den benachbarten Dörfern sind gekommen, um dem neuen Bunker Farben zu verleihen. Mit Pinseln malen sie bunte Häuser auf den Beton, Luftballons und Tiere. Auch die Schulkinder sind dabei, singen und tanzen miteinander. Die Idee ist so einfach wie wirksam: Um den traumatisierten Kindern ein Stück ihrer Angst zu nehmen, soll der Bunker mit guten Gefühlen verbunden werden.

Auch Nasser Abu Haduba aus dem benachbarten Abu Talul ist gekommen. „Gestern sind in unserem Dorf Raketen eingeschlagen“, sagt der 50-Jährige. „Unsere Kinder leiden unter Stress durch die Raketenangriffe. Meine zehnjährige Tochter macht nachts ins Bett.“ Ein Arzt im regionalen Gesundheitszentrum habe ihn mit seinen Sorgen an den Sozialarbeiter in Abu Talul verwiesen. „Doch wir haben keinen Sozialarbeiter.“ Der wohlwollende Doktor habe wohl schlicht keine Ahnung gehabt. „Wenn es um psychische Gesundheit und Traumata geht, gibt es hier keine Dienste.“ 

Tatsächlich beobachtet gerade auch der Psychologe Ibrahim Jafar in Umm al-Hiran: „Auch ohne Krieg ist der psychische Zustand unter den Beduinen fragil. Die ständige Gefahr, dass ihre Häuser abgerissen werden, die wachsende Gewalt auf arabischer wie auf israelischer Seite. All das trägt dazu bei“, sagt er. Jafar ist Geschäftsführer der Organisation Tamar, die die soziale Kluft zwischen den Beduinen und der übrigen israelischen Gesellschaft verringern will. 

Gemeinsam mit weiteren Hilfswerken stellt Tamar ein Dutzend Therapeuten für Beduinen zur Verfügung, erklärt Jafar. Es sei ein Versuch, die Lücke zu schließen, welche die Angebote der Regierung hinterlassen. Auf lange Zeit müssten sich aber die staatlichen Strukturen ändern, um die Beduinen besser zu versorgen und gesellschaftlich einzubinden. Sonst könnte die Hamas schon bald ein weiteres Ziel ihrer perfiden Kriegsführung erreichen: die Spaltung zwischen Juden und Arabern in Israel zu vertiefen.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2024: Krieg ohne Ende?
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