Beschämende Verrohung

Krieg in Nahost
In der Debatte um deutsche Waffen für Israel kommt das Leid der Bevölkerung in Gaza und im Libanon nicht vor, kritisiert Tillmann Elliesen.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei "welt-sichten".

Vergangene Woche warf Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) der Bundesregierung vor, Deutschland liefere kaum noch Rüstungsgüter an Israel. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sah sich zu einer Rechtfertigung genötigt und versicherte: „Wir haben Waffen geliefert, und wir werden Waffen liefern.“ 

Das ist grotesk.

Israel führt seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem am Tag darauf einsetzenden Raketenbeschuss der Hisbollah einen Krieg in Gaza und im Libanon, der mit Verteidigung allein längst nichts mehr zu tun hat. In Gaza hat die israelische Armee in einem Jahr 42.000 Menschen getötet, im Libanon bereits mehr als 1500. Israel beschießt Nothelfer, Krankenhäuser und Ärzte, seine Armee blockiert Hilfslieferungen für die hungernde Bevölkerung in Gaza und greift seit einigen Tagen sogar die UN-Mission im Libanon an. Die israelische Regierung macht kein Geheimnis daraus, dass sie die Gelegenheit sieht, mit Gewalt die politische Landkarte des Nahen Ostens umzugestalten

In jedem anderen Fall müsste ein Bundeskanzler peinlich genau begründen, warum Deutschland einen Staat mit Waffen versorgt, der einen solchen Krieg führt. Geht es um Israel, ist es umgekehrt: Die religiös-fundamentalistische Regierung von Benjamin Netanjahu kann Krieg führen, wie sie will, und Scholz muss sich im Bundestag die Frage gefallen lassen, warum sich Deutschland daran nicht mit Waffenlieferungen beteiligt. Das Argument, das alle Einwände schlägt: Israels Recht auf Selbstverteidigung, Israels Sicherheit als Deutschlands Staatsräson. Mehr Begründung braucht es nicht. Pech für Zehntausende getötete Frauen, Männer und Kinder in Gaza und für eine Million Menschen, die vor Israels Luftangriffen im Libanon fliehen.

Freie Bahn für neue Waffenlieferungen

Tatsächlich sind die deutschen Rüstungsexporte nach Israel in diesem Jahr stark zurückgegangen. Laut Medienberichten fürchtete die Bundesregierung, die Lieferungen könnten vor Gericht angefochten werden; einige Klagen wurden bereits eingereicht. Jetzt hat sich Berlin von der israelischen Regierung offenbar bestätigen lassen, dass sie mit deutschen Waffen kein Völkerrecht verletzen wird. Da das nun geklärt ist, ist der Weg wieder frei für neue Waffen made in Germany. 

Für die leidende Bevölkerung in Gaza und im Libanon muss das wie blanker Hohn klingen. Man hat aber weder bei der Bundesregierung noch bei der Opposition den Eindruck, dass sie das menschliche Leid überhaupt wahrnimmt, das die entfesselte israelische Kriegsmaschine über die Region bringt. Aus Berlin kommen allenfalls lasche Mahnungen Richtung Jerusalem, doch bitte vorsichtig zu bombardieren. Dann wird die nächste Waffenlieferung abgesegnet. 

Eine Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut hat in einem Zeitungsartikel eindrucksvoll geschildert, wie das bei den Menschen im Libanon ankommt: Sie sieht große Wut und tiefe Verletztheit, in westlichen Hauptstädten und Medien gehe es nur noch um „Hochburgen“, „Terroristen“ und „menschliche Schutzschilde“, nicht um Wohnviertel, in denen Familien leben, die mit alldem nichts zu tun haben. Sie zitiert die libanesische Autorin Lina Mounzer, die von einer systematischen Entmenschlichung arabischen Lebens schreibt.

Politisch beschränkt

Das alles spielt in der Debatte um deutsche Waffenlieferungen im sicheren Berlin keine Rolle. In der Empörung von Friedrich Merz und in der verdruckst-beleidigten Antwort von Olaf Scholz, Deutschland liefere doch, kommt eine beschämende Verrohung zum Ausdruck. Und eine politische Beschränktheit noch dazu – denn glauben die beiden wirklich, dieser Krieg werde Israel sicherer machen?

Waffenlieferungen an Israel wären – wenn überhaupt – nur dann zu rechtfertigen, wenn die Regierung in Jerusalem einen nachvollziehbaren Plan für ein Ende der Angriffe und vor allem für einen politischen Weg zu einem friedlichen Miteinander mit den Palästinensern hätte. Einen solchen Plan hätte die Bundesregierung von Israel verlangen sollen statt einer nichtssagenden Erklärung, man werde das Völkerrecht achten. Angesichts der Kriegsführung der israelischen Armee ist die ohnehin nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht. Und die Bundesregierung weiß das auch.

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