Zehn Jahre Textilbündnis: Erfolge nur in Einzelfällen

Das Foto zeigt eine Textilarbeiterin in der Stadt Rupganj, Division Dhaka.
Corbis via Getty Images/Eric Lafforgue/Art in All of Us
Allein in Bangladesch beschäftigen rund 3500 Fabriken etwa 3,5 Millionen Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter. Zwar hat sich in den letzten Jahren beim Brand- und Gebäudeschutz einiges verbessert - nicht aber bei den Arbeitsbedingungen. Das Foto zeigt eine Textilarbeiterin in der Stadt Rupganj, Division Dhaka.
Berlin
Lieferketten ohne Ausbeutung von Mensch und Natur – das war das Ziel zum Start des Bündnisses für nachhaltige Textilien im Jahr 2014. Das Ministerium für Entwicklung würdigt die Errungenschaften, anderen ist weniger zum Feiern.

Industrie und Handel, nichtstaatliche Organisationen, Gewerkschaften, die Politik sowie Organisationen, die Siegel vergeben, entwickeln gemeinsam Fahrpläne, wie entlang von Lieferketten Sozial- und Umweltstandards gestärkt werden könnten – so die Idee hinter dem 2014 gegründeten Bündnis für nachhaltige Textilien. Heute engagieren sich darin 120 Mitglieder, auf die Unternehmen im Bündnis entfallen 45 Prozent des Umsatzes auf dem deutschen Textilmarkt.

Brand- und Einsturzkatastrophen in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan hatten entscheidende Impulse zur Gründung des Bündnisses gegeben. Aber während im Brand- und Gebäudeschutz in Bangladesch Fortschritte zu verzeichnen sind, nähen dort und in anderen Billiglohnländern wie Kambodscha und Indien weiter hauptsächlich Frauen unter meist unwürdigen Arbeitsbedingungen Hosen, Hemden und Jacken für den Weltmarkt. Allein in Bangladesch beschäftigen mehr als 3500 Fabriken etwa 3,5 Millionen Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat Ende Oktober die Errungenschaften des von ihrem Vorgänger Gerd Müller (CSU) gegründeten Bündnisses gewürdigt800 Zulieferbetriebe hätten Unterstützung für verbesserte Arbeits- und Produktionsbedingungen erhalten, für mehr als 160.000 Arbeiterinnen und Arbeiter seien in ihren Betrieben Beschwerdestellen eingerichtet worden, die Bündnismitglieder hätten sich geeinigt, auf 160 giftige Chemikalien in der Textilproduktion zu verzichten, und etwa 12.000 Baumwollbauern im globalen Süden seien auf Bioproduktion umgestiegen. 

Doch in den Fabriken in den Produktionsländern bewirke das Bündnis bislang wenig, sagen Vertreter der Zivilgesellschaft. Ein Blick in Auszüge der Fortschrittsberichte großer Konzerne zeigt: Da werden Bestandsaufnahmen zu Arbeit und Entlohnung genannt oder Schulungen für „verantwortungsvolle Einkaufspraktiken“. So führte Adidas für „strategische Zulieferer“ Kriterien für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz ein und sammelt seit kurzem Daten über die Löhne dieser Partner in Kambodscha, Indonesien und Vietnam. Der Discounter Aldi nennt ein „Guidance Paper“ gegen geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz als Fortschritt, sagt aber nichts zur Umsetzung. 

Hat das Textilbündnis nach zehn Jahren seinen Zweck erfüllt? Sabine Ferenschild vom Südwind-Institut antwortet: „Weder voll ja noch voll nein.“ Die Expertin sitzt als eine Vertreterin der Zivilgesellschaft im Steuerungskreis des Bündnisses, das ihrer Ansicht nach „höchstens in Einzelfällen“ Arbeitsbedingungen verbessert hat. Strukturell habe es hingegen nichts verändert. So hätten nur sehr wenige Mitgliedsfirmen deutliche Schritte in Richtung existenzsichernder Löhne unternommen. Wenig sei auch passiert, die Freiheit von Beschäftigten zur Gründung von Gewerkschaften und zur Formulierung von Lohnforderungen zu stärken. Ferenschild sagt, viele Unternehmen im Textilbündnis zeigten nicht das nötige Engagement für bessere Umwelt- und Sozialstandards.

Auch eine Reform im Jahr 2022 hat keinen neuen Schub gebracht . Mitglieder sind nun zwar verpflichtet, sich in Projekten zu sogenannten Fokusthemen einzubringen, etwa existenzsichernde Löhne, Kreislaufwirtschaft, Geschlechtergerechtigkeit oder Beschwerdeverfahren. Doch auch hier vermisst die Zivilgesellschaft Fortschritte – mit Ausnahme einiger „anerkennenswerter“ Initiativen etwa für vertrauenswürdige Beschwerdesysteme gegen Missstände in Produktionsstätten oder zur Steigerung von Anbau und Nutzung biozertifizierter Baumwolle.

Auf dem Textilmarkt übertrumpfe der Wettbewerb mittels Niedrigpreisen weiterhin die Ansprüche einer nachhaltigen Produktion, resümiert Ferenschild. Deshalb müsse es internationale gesetzliche Verpflichtungen geben, etwa ein EU-weites Lieferkettengesetz. Roger Peltzer, ehemals als Vertreter des Entwicklungsfinanzierers DEG im Textilbündnis, sagt: „Man kann sich mit einer Mitgliedschaft im Textilbündnis schmücken und das Maß an einzugehenden Verpflichtungen begrenzen.“ 

Peltzer sieht aber eine Reihe „modellhafter Einzelprojekte“, etwa dass ein Markt für nachhaltige Produkte wie Cotton made in Africa geschaffen worden sei. Als „großen Fortschritt“ sieht er das Siegel „Grüner Knopf", das von engagierten Mitgliedern des Bündnisses gegründet wurde, dem renommierte Firmen angehören und dessen Nachhaltigkeitsstandards laut Peltzer zu 80 Prozent dem Anspruch des deutschen Lieferkettengesetzes genügen. Ein indirekter Verdienst sei zudem, dass weltweit nun etwa 80 Unternehmen in Unfallversicherungen einzahlten. Und einige Unternehmen wie Tchibo oder H&M seien bereit, sich in Kooperation mit Gewerkschaften für höhere Löhne in Nähbetrieben einzusetzen. 

Wenn Ministerin Schulze „sichtbare Fortschritte“ würdigt, die das Bündnis ermöglicht habe, bezieht sie das auf seine Rolle als „Reallabor“, in dem der Politik Handlungsbedarf und Lösungsansätze aufgezeigt werden, und als „Wegbereiter“ für das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz. Das unterschreiben auch Ferenschild und Peltzer: Die Debatten im Textilbündnis-Forum zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen seien in Überlegungen für das deutsche Lieferkettengesetz eingeflossen, für das unter anderem das BMZ viele Jahre gearbeitet habe. Heute indes betont Ministerin Schulze, „dass die tragfähigsten Lösungen dann entstehen, wenn jene daran mitwirken, die die Arbeitsbedingungen vor Ort am besten kennen: die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Gewerkschaften und die lokale Zivilgesellschaft“.

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