Wie die Bundesregierung das Lieferkettengesetz aushebeln will

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Bananen im Rewe-Einkaufskorb. Die Hilfsorganisation Oxfam hat nach dem deutschen Lieferkettengesetz Beschwerde gegen die Supermarktkette eingelegt, weil sie nicht genug gegen Menschenrechtsverletzungen bei Bananenerzeugern tue.
Berlin
Ende Juli ist das europäische Lieferkettengesetz in Kraft getreten, das nun von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. Die Bundesregierung hat es sehr eilig damit und will dem Mittelstand Berichtspflichten ersparen.

Noch gilt in Deutschland seit Anfang 2023 das nationale Lieferkettengesetz, nach dem zunächst vor allem große Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten nach Risiken durchforsten mussten wie Kinderarbeit auf Plantagen oder Umweltverschmutzung beim Färben von Textilien. Seit Januar 2024 müssen sich jedoch auch Betriebe ab 1000 Beschäftigten darum kümmern, dass ihre Zulieferer grundlegende soziale und ökologische Standards erfüllen. Große Wirtschaftsverbände laufen immer noch Sturm gegen die Regeln, die aus ihrer Sicht zu vielen Firmen ungebührlichen bürokratischen Aufwand aufbürden.

Im Zuge des von der Ampelkoalition vor der Sommerpause verabschiedeten Wachstumspakets für die Wirtschaft haben FDP-Minister nun Entlastung angekündigt. Ab Anfang 2025 müsse nur noch ein Drittel der bisher erfassten Unternehmen solche Pflichten erfüllen. Wie geht das?

Die Antwort: Der Bund will schnell die seit 25. Juli geltende EU-Richtlinie über ein europäisches Lieferkettengesetz (Directive on Corporate Sustainability Due Diligence, CSDDD) umsetzen, die mittelständischen Betrieben bis zu fünf Jahren Zeit einräumt, bis für sie die Prüfpflichten greifen. Die Richtlinie gilt ab dem nächsten Jahr zunächst für Konzerne ab 5000 Beschäftigten und 1,5 Milliarden Euro Umsatz, ab dem Jahr 2028 dann für Unternehmen ab 3000 Mitarbeitenden und 900 Millionen Euro Umsatz und erst ab 2029 für Firmen ab 1000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Jahresumsatz. Nach Zählart der FDP können sich somit zwei Drittel der bisher erfassten deutschen Unternehmen entspannt zurücklehnen, weil das europäische Lieferkettengesetz anders als das deutsche für sie zunächst nicht gelten würde. 

Das Schutzniveau darf nicht geschwächt werden

Doch dagegen protestiert die zivilgesellschaftliche Initiative Lieferkettengesetz: Die Umsetzung der CSDDD „muss rechtskonform und ambitioniert erfolgen“, heißt es in einer Presseerklärung der Initiative. „Bestehende nationale Schutzstandards aus dem deutschen Gesetz dürfen nicht abgesenkt werden.“ Zu diesem Ergebnis kommt auch ein Rechtsgutachten, dass die Organisation Germanwatch in Auftrag gegeben hat. Demnach darf das im jeweiligen Land bereits bestehende Schutzniveau im Zuge der Umsetzung der CSDDD nicht geschwächt werden. Das werde in Artikel 1 der EU-Richtlinie ausdrücklich festgehalten, sagt Finn Schufft, Referent für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. Es wäre europarechtswidrig, die Zahl der vom deutschen Gesetz erfassten Unternehmen mit Verweis auf die Richtlinie zu verringern.

Zudem sei fraglich, was dann mit den beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) bereits anhängigen Beschwerden wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das deutsche Lieferkettengesetz passiere. „Wenn die betroffenen Unternehmen aus der Regelung rausfallen, kann es passieren, dass in ihren Rechten verletzte Menschen mit bereits eingereichten Beschwerden alleingelassen werden“, sagt Schufft.

Bis Dezember 2023 sind 38 Beschwerden beim Bafa eingegangen, in sechs Fällen nahm das Amt nach eigenen Angaben Kontakt mit dem Unternehmen auf. In Vertretung von tatsächlich Betroffenen können dort auch zivilgesellschaftliche Organisationen Verfahren beantragen. So wirft Oxfam den Supermarktketten Edeka und Rewe vor, nicht ausreichend gegen angezeigte potenzielle Menschenrechtsverletzungen bei Bananenerzeugern vorgegangen zu sein.

Viele Unternehmen sind vorbereitet

Anders als das deutsche Gesetz verpflichtet die EU-Richtlinie die erfassten Unternehmen, ihre gesamte Lieferkette samt Zulieferer und deren Zulieferer auf Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte sowie den Umweltschutz zu prüfen. Die EU-Regelung lässt zudem zu, dass Unternehmen für Verletzungen haftbar gemacht werden. Laut einer Befragung der Unternehmensberatung Boston Consult halten branchenübergreifend etwa 80 Prozent der befragten Unternehmen das EU-Gesetz für zumutbar. Die meisten der 680 Befragten aus Deutschland und Frankreich geben an, sie hätten bereits Maßnahmen ergriffen, die Richtlinie zu erfüllen.

Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene berichtet denn auch von Unverständnis bei Unternehmen angesichts des Vorstoßes der Regierung: Das Wachstumspaket habe zu enormer Verwirrung und zu Enttäuschung bei all jenen beigetragen, die etwas bewegen wollten, sagt er. „Das ist weder durchdacht noch wachstumsfördernd, weil viele Unternehmen verunsichert sind, wie sie sich am Markt nun verhalten müssen. Ich weiß nicht, was die Bundesregierung geritten hat.“ Erst fange man an, mit dem Lieferkettensorgfaltsgesetz Dinge zum Schutz von Menschenrechten anzuschieben, dann gehe man ohne Not wieder zurück auf Los.

Nach der Erwartung des Experten „wird es sicher Unternehmen geben, die sagen, ich habe jetzt Aufschub und muss erstmal nichts tun“. Andere werden seiner Ansicht nach die Analyse ihrer Lieferketten fortsetzen, weil sie den Nutzen erkannt hätten: ihre Effizienz zu steigern, wenn Schwächen und Abhängigkeiten in den Lieferketten einmal identifiziert seien. 

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