Stellen wir uns dem Hunger entgegen!

Herausgeberkolumne
Eigentlich wollen die UN den Hunger auf der Welt bis 2030 beseitigen. Stattdessen hat er in den letzten Jahren zugenommen. Dennoch könnten wir ihn aus der Welt schaffen, wir müssten es nur wollen.

Bernd Nilles ist Geschäftsleiter von Fastenaktion.

Wann haben Sie zum letzten Mal gehungert? Also nicht, weil Sie gerade ein bisschen abnehmen wollten oder sich das Essen im Restaurant verzögerte, sondern weil es keinen Weg gab, an Lebensmittel zu kommen? Oder Sie sich die Preise auch für eine einfache Mahlzeit schlicht nicht leisten konnten? Wenn es Ihnen wie mir geht, lautet die ehrliche Antwort: noch nie.

Erschreckend vielen Menschen geht es anders: Sie hungern täglich, teils jahre- oder lebenslang. Bei Kindern reicht eine kurze Zeit des Hungers, um bleibende Schäden zu hinterlassen. 2022 litten laut einer neuen Analyse der Vereinten Nationen (UN) weltweit 735 Millionen Kinder und Erwachsene unter unterschiedlichen Formen von Hunger. Das ist rund jede zehnte Person. Und 2.4 Milliarden Menschen, fast 30 Prozent der Weltbevölkerung, hatten vergangenes Jahr keinen dauerhaften Zugang zu Nahrung. Am stärksten betroffen sind Menschen in Südasien und im südlichen Afrika. 

Dabei haben sich die UN 2015 zum Ziel gesetzt, den Hunger bis 2030 zu beseitigen. Er hat stattdessen stark zugenommen, auch wegen einer Reihe von Krisen: der Corona-Pandemie, des russischen Angriffs auf die Ukraine, immer mehr Naturkatastrophen sowie zahlreicher regionaler Konflikte.

Strukturelle Ungerechtigkeiten

Hauptverantwortlich sind allerdings strukturelle Ungerechtigkeiten. Dazu zählt eine verfehlte Agrarpolitik, die auf chemische Pestizide und Dünger sowie kommerzielles Saatgut setzt, wodurch Böden unfruchtbar werden und Kleinbauern in Abhängigkeit und Verschuldung geraten. Aber auch Spekulation mit Getreide auf den Weltmärkten – auch auf dem Schweizer Rohstoffmarkt – sowie der Einsatz von Nahrung als Treibstoff lassen Lebensmittelpreise explodieren. Und nicht zuletzt ein Welthandel, der reichen Ländern mit Subventionen und Zöllen Vorteile sichert und arme Länder von Importen abhängig macht – die EU-Exporte von vergünstigtem Magermilchpulver beispielsweise vernichteten in Afrika Arbeitsplätze in Milchsektor und Viehzucht. Darüber hinaus führt vielerorts die Klimaerwärmung zu mehr Dürren und unberechenbaren Niederschlägen, was das Risiko für Ernteausfälle erhöht. 

Der Kampf gegen den Hunger steht im Zentrum der Arbeit von Fastenaktion. Wir unterstützen Bäuerinnen und Bauern, mit agrarökologischen Anbaumethoden krisenresilienter zu werden und trotz aller Widrigkeiten genügend Lebensmittel zu produzieren. Wir fördern die Menschen in abgelegenen Dörfern mit Hilfe von Solidaritätsgruppen, um den Zusammenhalt zu stärken und damit sie selbstbewusst für ihre Rechte einstehen. Zudem setzen wir uns bei den UN für die Rechte der kleinbäuerlichen Bevölkerung ein und machen Druck, dass Regierungen die wichtige UN-Erklärung über die Rechte der Bauern einhalten. Denn diese wendet sich gegen eine Politik, die Zugang zu Saatgut und Land einschränkt und Abhängigkeiten erhöht.

Unterstützung der Ukraine auf Kosten der Ärmsten dieser Welt?

Diese Arbeit können wir leisten dank Spenden und staatlichen Beiträgen aus der Entwicklungszusammenarbeit. Nun jedoch plant die Schweizer Regierung, ab 2025 Gelder in Milliardenhöhe aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit zur Unterstützung der Ukraine einzusetzen. Ohne Zweifel ein wichtiges Anliegen. Aber diese Hilfe sollte nicht auf Kosten der Ärmsten dieser Welt gehen. 

Im Gegenteil, der Bund sollte für die Entwicklungszusammenarbeit wie auch die Ukraine zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Denn laut den UN bestehen wenig Chancen, den Hunger wie geplant bis 2030 zu überwinden. Stattdessen müsse bis dahin noch immer mit rund 600 Millionen Hungernden gerechnet werden. Es braucht also größere Anstrengungen, mehr Entwicklungsausgaben und ein konsequentes Angehen der strukturellen Ursachen. 

Der Kontrast zwischen den Lebensbedingungen von Millionen Menschen in extremer Armut und uns in der Schweiz ist in der Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel besonders scharf. Sich dem Hunger in der Welt entgegenzustellen, ob als Einzelperson oder als Regierung, wäre ein schöner Vorsatz fürs kommende Jahr.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2023: Von Jung zu Alt
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