„Wir haben vielen geholfen, die Armut hinter sich zu lassen“

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Städtische Sparkassen in Peru
Die peruanischen Cajas Municipales, städtische Sparkassen, sind nach dem deutschen Vorbild und mit deutscher Hilfe vor 41 Jahren gegründet worden. Heute gibt es sie in elf Provinzhauptstädten – und sie fürchten die Konkurrenz ausländischer Großbanken nicht, sagt der Leiter ihres Verbands. 

Jorge Solis ist seit 2022 Vorsitzender des peruanischen Sparkassenverbands Federacion Peruana de Cajas Municipales de Ahorro y Credito (FPCMAC).

Herr Solis, was unterscheidet Ihre Sparkassen von anderen Banken?
Wir haben andere Ziele als private Banken. Unser Auftrag ist, auch ärmere Leute zu erreichen, etwa Kleinunternehmerinnen und -unternehmer. Wir vergeben vor allem Geschäftskredite sowie Hypothekarkredite für das staatliche Wohnungsbauprogramm Mivivienda, also für den Kauf solcher Wohnungen. Neun von zehn Kleinst- und Kleinunternehmen in Peru arbeiten informell, sind also nirgendwo registriert. 

Sie geben auch einem nicht angemeldeten Straßenhändler einen Kredit?
Ja, wir sehen ihn als Unternehmer an. In Peru gibt es nicht genügend Arbeitsplätze. Deswegen schaffen sich die Menschen ihren eigenen Arbeitsplatz als Kleinstunternehmer. Laut Definition unseres Arbeitsministeriums hat ein Kleinstunternehmen in Peru bis zu zehn Angestellte, ein Kleinunternehmen bis zu 100. Viele Kleinstunternehmer sind Familienbetriebe, bei denen alle Familienangehörige mitarbeiten.

Wie hoch sind die Kredite, die Sie vergeben?
Sie reichen von 100 Soles (25 Euro) bis umgerechnet 38.000 Euro. Die Laufzeit beträgt 30 Tage bis drei Jahre, je nach Projekt und Kredithöhe. Die Hälfte unserer Kreditnehmer sind nur bei uns Kunden, das heißt sie haben über uns erst Zugang zum Zahlungs- und Kreditsystem erhalten. 

Ist es nicht ein hohes Risiko, Geld an Unternehmen zu vergeben, die auf dem Papier gar nicht existieren?
Wegen der genauen und persönlichen Abklärung ist die Kreditausfallquote nicht hoch. Diese Prüfung ist aufwändig und braucht viel Personal. Unsere Berater besuchen die Kunden zu Hause, sie reden mit der Familie, fragen auch die Nachbarn nach Referenzen. Sie haben ein psychologisches Gespür, ob jemand ernsthaft gewillt ist, den Kredit zurückzuzahlen. Und dann prüfen sie natürlich während der gesamten Laufzeit, ob der Kredit wirklich für das geplante Vorhaben ausgegeben wird. Wir haben damit ein sehr gutes Risikomanagement, und obwohl unser Sektor der riskanteste ist, beliefen sich unsere Außenstände bis vor kurzem nur auf fünf Prozent. 

Was hat das Wachstum der peruanischen Cajas begünstigt?
Sie haben vielen Menschen geholfen, die Armut hinter sich zu lassen. Die großen Banken konzentrierten sich in der Hauptstadt. Die Sparkassen waren eine Alternative für die informellen Kleinstunternehmen in den Provinzstädten. Den größten Zuwachs hatten wir in den 2000er Jahren. 2006 hatten die Sparkassen einen Anteil von 2,5 Prozent am peruanischen Kapitalmarkt, heute sind es knapp 10 Prozent. 

In Peru ist Korruption im öffentlichen Sektor ein Problem, auch in den Kommunen.  Kommt da nicht manch ein Provinzbürgermeister in Versuchung, sich an den städtischen Cajas zu bedienen?
Davor sind wir nicht gefeit. Aber wir haben eine gute Struktur, die uns schützt. In den Vorständen der lokalen Sparkassen sitzen vier Vertreter der Zivilgesellschaft: die örtliche Handelskammer, ein Vertreter der Kirche, ein Vertreter der Kleinunternehmen und jemand von der staatlichen Entwicklungsbank COFIDE. Die Stadt stellt nur drei Vertreter, einer davon wird von der Opposition im Stadtrat ernannt. Außerdem sind die beruflichen und ethischen Anforderungen an die Direktoren des Vorstands sehr hoch. Es ist also nicht so einfach, dass ein Bürgermeister hier seine Wahlhelfer unterbringt. 

Die großen vier Banken in Lima, darunter eine aus Spanien und eine aus Kanada, haben inzwischen auch die Klein- und Kleinstunternehmer als Kunden entdeckt. Erwächst Ihnen da eine Konkurrenz?
Das stimmt, die größte Bank hat sich ein eigenes Kreditinstitut zugelegt, das nur Kleinkredite vergibt. Sie stehen in Konkurrenz zu uns. Aber sie werden uns nicht gefährlich, weil sie aus einem ganz anderen Geschäftsmodell kommen, das nicht auf das Kleinkreditgeschäft passt. Wir setzen dagegen ganz auf die persönliche Betreuung durch unsere Berater. Dies ist unsere größte Stärke: die Nähe zu unseren Kunden, auch den informellen Kleinstunternehmern, und die Begleitung ihrer Projekte. 

Vor welchen Problemen stehen die Cajas Municipales heute?
Die Corona-Pandemie hat Wunden geschlagen. Viele Kleinst- und Kleinunternehmen mussten aufgeben, die Armut ist gestiegen. Dann kamen die sozialen Proteste um die Jahreswende 2022 auf 2023, die halb Peru monatelang lahmgelegt haben. Dazu kam der Wirbelsturm Yaku mit Überschwemmungen im Norden und Dürre im Süden. Wir mussten Kredite umschulden, unsere Außenstände sind auf sechs Prozent gestiegen. Wir sind nun vorsichtiger bei der Kreditvergabe. Und wir brauchen frisches Kapital, um die Eigenkapitalregeln zu erfüllen. Die Kommunen als Hauptaktionäre haben kein Kapital, das sie nachschießen könnten. Wir suchen deswegen dringend private oder multilaterale Kapitalgeber. Die Sparkasse Huancayo wird zum Beispiel die Interamerikanische Entwicklungsbank als neuen Aktionär aufnehmen. 

Das Gespräch führte Hildegard Willer.

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