Mit der Verabschiedung des dritten Aktionsplans gegen Menschenhandel für die Jahre 2023 bis 2027 folgt der Bundesrat dem Auftrag des Parlaments, die Mängel des letzten Aktionsplans von 2017 bis 2020 zu verbessern. Von 28 Maßnahmen darin, darunter etwa die Sensibilisierung von Notärzten oder der Öffentlichkeit, wurden zwei nur teilweise umgesetzt, sechs nicht erfüllt. So wurde die Forderung, das Thema Menschenhandel in die Grundausbildung der Polizei aufzunehmen, nur im Kanton Zürich erfüllt.
Der neue Aktionsplan umfasst 44 Maßnahmen und sieben strategische Ziele. Zu den Zielen gehört, dass die Kantone Voraussetzungen für die Bekämpfung von Menschenhandel schaffen und dass die Ausbeutung von Arbeitskräften bekämpft wird. Zu den Maßnahmen zählt ein regelmäßiger Austausch zwischen den bestehenden runden Tischen in den Kantonen – denn laut einem Bericht des Bundesamts für Polizei gibt es noch immer große Unterschiede zwischen den Kantonen im Kampf gegen Menschenhandel.
Unter Menschenhandel versteht man die Anwerbung, den Transfer oder die Aufnahme von Menschen mit dem Ziel, diese unter Zwang auszubeuten. Fast immer stammen die Opfer aus anderen Ländern, meist befanden sie sich in ihrer Heimat in einer Notlage. Hier werden sie von den Tätern mit falschen Versprechen über Arbeitsmöglichkeiten in der Schweiz angeworben. Die Täter organisieren die Einreise in die Schweiz, sei es legal mit einem Touristenvisum, mithilfe einer Scheinehe oder illegal über die grüne Grenze. In der Schweiz werden den Opfern die Papiere abgenommen und sie psychisch unter Druck gesetzt oder mit Gewalt zur Arbeit gezwungen. Da viele der Opfer ohne legale Papiere in der Schweiz sind, ist es schwierig für sie, Hilfe zu suchen oder sich an die Behörden zu wenden.
Zwei Drittel der betroffenen Frauen werden sexuell ausgebeutet
Vier von fünf Opfern sind Frauen – darauf lassen zumindest jene Fälle schließen, die bei den Beratungsstellen landen. Zwei Drittel der Frauen wurden sexuell ausgebeutet. In den vergangenen Jahren hat die Zahl der gemeldeten Fälle von Menschenhandel in der Schweiz deutlich zugenommen. Im Jahr 2019 identifizierten die auf der „Plateforme Traite“ zusammengeschlossenen vier Beratungsstellen 142 Opfer, zwei Jahre später waren es 207.
Allerdings ist schwierig zu sagen, worauf der Anstieg zurückzuführen ist, sagt Doro Winkler von der FIZ-Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration: „Gibt es mehr Opfer oder findet man mehr Opfer?“ In jedem Fall aber stellten die gemeldeten Zahlen nur einen Bruchteil der tatsächlichen Fälle von Menschenhandel dar, sagt Winkler, die als Vertreterin der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung des Aktionsplans beteiligt war.
Winkler beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema, sie ist Mitglied bei der GRETA Kommission, die die Umsetzung der Europaratskonvention gegen Menschenhandel überwacht, die 2008 in Kraft getreten ist. In den letzten Jahren habe die Sensibilisierung bei den Behörden zugenommen, sagt sie. Dazu hätten etwa die runden Tische in verschiedenen Kantonen beigetragen, an denen sich verschiedene Behörden wie die Polizei oder Staatsanwaltschaften und Vertreter der Zivilgesellschaft austauschen.
Opfer von Menschenhandel zu identifizieren ist nicht einfach. Häufig sei den Opfern selbst nicht bewusst, dass sie ausgebeutet werden. Deswegen sei es so wichtig, Personen zu sensibilisieren, die mit Opfern von Menschenhandel in Kontakt kommen, sagt Winkler. Das hat sich etwa letztes Jahr im Fall einer Hausangestellten in Winterthur gezeigt, die illegal gearbeitet hatte und fliehen konnte. Das Ehepaar wurde später in erster Instanz wegen Menschenhandel verurteilt. Das sei gelungen, so Winkler, weil die zuständige Staatsanwältin auf das Thema spezialisiert gewesen sei. Sie habe erkannt, dass sich das Opfer in einer Zwangslage befand.
Jedes dritte Opfer sucht Asyl in der Schweiz
Während das tatsächliche Ausmaß von Menschenhandel schwierig zu bestimmen ist, sind laut Winkler heute rund ein Drittel der Opfer von Menschenhandel, die die FIZ aufsuchen, Asylsuchende – deutlich mehr als noch vor ein paar Jahren. Auf der Flucht seien sie in eine Ausbeutungssituation gekommen und so in die Schweiz gelangt; manche würden in der Schweiz weiter ausgebeutet.
„Das repressive europäische Migrationsregime erhöht die Gefahr für Menschenhandel“, sagt Winkler. Je schwieriger es ist, sich zwischen den Grenzen fortzubewegen, je teurer die Schmuggelrouten werden, desto verletzlicher seien die Menschen auf der Flucht – und desto eher kommen sie in eine Situation, sich auf Angebote einzulassen, die in einer Zwangslage enden.
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der aus der Ukraine Geflüchteten in der Schweiz. Hier sei es entgegen anfänglichen Befürchtungen soweit bekannt praktisch zu keinen Fällen von Ausbeutung gekommen, sagt Winkler. Die Fluchtrouten waren offen und sicher, Transporte wurden organisiert, die Menschen erhielten in der Schweiz Schutzstatus, sie wurden über die Gefahren von Menschenhandel aufgeklärt – und sie können in der Schweiz legal arbeiten.
Im Asylbereich sieht Winkler auch eine der Schwachstellen im neuen Aktionsplan des Bundes. So soll laut dem Plan unter anderem geprüft werden, ob es sinnvoll ist, auf Menschenhandel spezialisierte Personen in Asylunterkünften zu beschäftigen. Winkler kann nicht nachvollziehen, dass das noch einmal geprüft werden soll: Man wisse doch längst, dass es das braucht. Immerhin sieht der neue Aktionsplan vor, dass auch Personen, die im Ausland ausgebeutet wurden, in der Schweiz den erforderlichen Schutz erhalten sollen. Das war bisher nicht so. Dazu müsste das Opferhilfegesetz geändert werden; die Entscheidungsfindung dazu läuft.
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