„Eine CO2-Abgabe der EU wäre unfair gegenüber Indien“

picture alliance / Pacific Press/Tanmoy Bhaduri
Jharia City im indischen Distrikt Dhanbad ist ist eine der größten Kohleminen in Asien. In Indien regt sich zunehmend Widerstand gegen Kohlekraft und es wird schwieriger, neue Kohleminen und Kohlekraftwerke genehmigen zu lassen.
Klimaschutz
Die Europäische Union will auf Importgüter eine Abgabe erheben, wenn sie weniger klimaschonend hergestellt wurden als vergleichbare Produkte europäischer Unternehmen. Nitya Nanda, Direktor des Council for Social Development in Neu-Delhi, hält das für keine gute Idee.

Nitya Nanda ist Direktor des Council for Social Development in Neu-Delhi, einer Denkfabrik zu Fragen wirtschaftlicher Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit in Indien.
Die Europäische Union will im Rahmen ihrer Klimaschutzpolitik einen sogenannten CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) einführen. So will sie zum einen Nachteile für europäische Unternehmen gegenüber der Konkurrenz im Ausland vermeiden, die weniger klimaschonend produzieren. Zum anderen will sie einen Anreiz setzen, dass andere Länder mehr für den Klimaschutz tun. Sind diese Ziele legitim?
Wenn es um Klimaschutz geht, sollte jedes Land das tun, wozu es in der Lage ist. Und genau diesem Ziel widerspricht der CBAM. Denn er verlangt von indischen Unternehmen die gleichen Anstrengungen bei der Reduzierung von Treibhausgasen wie von deutschen Unternehmen. Das widerspricht dem international akzeptierten Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung. Demnach sollen alle Länder zum Klimaschutz beitragen, aber ärmere und schwächere Länder weniger als reiche und wirtschaftlich starke. Hinzu kommt: Wenn man sich anschaut, welche Unternehmen aus Indien nach Europa exportieren, wird klar, dass die meisten ziemlich klein sind. Die bekannten großen indischen Unternehmen sind kaum im Exportgeschäft; eine Ausnahme ist der Ölkonzern Reliance.

Aber Indien exportiert doch zum Beispiel große Mengen Stahl nach Europa?
Ja, aber die Bandbreite der Unternehmen der indischen Stahlindustrie ist sehr groß: Es gibt große und kleine sowie neue und alte Unternehmen. Und was die CO2-Bilanz dieser Unternehmen angeht: Sie sind angewiesen auf Strom aus dem indischen Netz, und das wird nun mal vor allem mit Kohlestrom gespeist. Dafür ist aber nicht die Industrie verantwortlich, sondern die Regierung. Die nimmt für sich in Anspruch, ihre Verpflichtung gemäß dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung zu erfüllen. Ein CBAM der EU hingegen würde letztlich die Unternehmen dafür zahlen lassen, dass die Regierung weiter vor allem auf Kohlekraft setzt.

Könnte das Problem gelindert werden, wenn der CBAM zwischen kleinen und großen Unternehmen unterscheidet und erstere von der Abgabe befreit?
Ja, auf den ersten Blick klingt das vernünftig, aber in der Praxis wäre es nicht machbar. Es gibt Hunderte Unternehmen in Indien, und die müssten dann alle regelmäßig geprüft und zertifiziert werden, wie CO2-intensiv sie produzieren. Das wäre ein Riesenaufwand und zudem teuer, so dass sich kleine Unternehmen das gar nicht leisten können. Ein derartiges Verfahren wäre am Ende bloß ein weiteres nichttarifäres Handelshemmnis, das vor allem kleinere Unternehmen behindert.

Zu Ihrem zweiten Einwand, dass die Unternehmen nicht für den Energiemix in Indien verantwortlich gemacht werden können: Könnte ein CBAM nicht dazu beitragen, dass die indische Regierung erneuerbare Energien stärker fördert?
Auch ohne einen solchen Anreiz gibt es in Indien heute schon an vielen Orten Widerstand gegen Kohlekraft, weil sie der Umwelt schadet und die Luft verschmutzt. Es wird zunehmend schwieriger, neue Kohleminen und Kohlekraftwerke genehmigen zu lassen. Die Regierung sieht sich mit dem Problem konfrontiert, möglichst schnell auf andere Energiequellen umzusteigen. Es ist aber schlichtweg nicht möglich, von heute auf morgen auf Solarenergie umzuschalten. In dieser Lage würde ein CBAM der EU zusätzlichen Druck auf die indische Regierung ausüben - und das würde wohl eher zu Verärgerung führen und nicht als Ansporn dienen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Dasselbe gilt für Unternehmen, die aus eigenem Antrieb heraus versuchen, weniger CO2 zu emittieren, etwa indem sie eigene Solarkraftwerke errichten oder ihre Energieeffizienz verbessern. Auch die würden von einem CBAM unfair vor den Kopf gestoßen.

Ihrer Ansicht nach taugt der CBAM also nicht, den Klimaschutz international voranzubringen?
Richtig, weil er in einer dynamischen Situation in einem Land wie Indien, in der die Regierung und die Industrie sich bemühen, Emissionen zu reduzieren, unnötig Druck aufbauen und zu Frustration führen würde.

Sollte die EU die CO2-Abgabe nur im Handel mit anderen Industrieländern erheben und Entwicklungsländer davon befreien?
Das wäre theoretisch möglich. Und solche Überlegungen, ihre Unternehmen gegen unfaire Konkurrenz zu schützen, gab es in der EU ja auch schon früher. Das ist okay, aber als Entwicklungsland sollte Indien da nicht mit reingezogen werden. Allerdings glaube ich nicht, dass ein nur auf die Industrieländer beschränkter CBAM der EU viel bringen würde, da die größte Konkurrenz auch für EU-Unternehmen ja nicht mehr aus den USA oder anderen Industrieländern kommt, sondern aus China.

Ist der CBAM lediglich verkleideter Protektionismus?
Ja, so könnte das zumindest von anderen Ländern aufgefasst werden. Und das könnte dazu führen, dass die indische Regierung europäischen Firmen das Leben in Indien schwerer macht. Spätestens dann werden europäische Unternehmen bei der EU anklopfen und sagen: Lasst das mit dem Grenzausgleich. Noch dominieren in Indien deutsche Firmen den Markt für hochwertige Autos.

Welche Alternativen gäbe es, um über den internationalen Handel Klimaschutz voranzubringen?
Die meisten Ökonomen würden zustimmen, dass es keine gute Idee ist, mit Handelsbeschränkungen bestimmte sozial- oder umweltpolitische Ziele zu verfolgen. Ich kann die EU verstehen, dass sie von anderen Industrieländern wie den USA oder Japan erwartet, sie sollten beim Klimaschutz ähnlich schnell vorangehen wie sie. Aber es ist nicht fair, das über Handelsmaßnahmen auch von einem Land wie Indien zu verlangen.

Würde es fairer, wenn die Einnahmen aus einer solchen Abgabe nicht in den EU-Haushalt flössen, sondern für Investitionen in den Klimaschutz in Entwicklungsländern bereitgestellt würden?
Ja, das würde die Legitimität eines CBAM erhöhen, aber es würde auch Probleme bringen. Denn dann müsste entschieden werden, für welche Zwecke genau das Geld ausgegeben wird. Und es müsste sichergestellt werden, dass es wirklich in den Klimaschutz fließt. Um ein Beispiel aus Indien zu geben: Bei uns wird der Abbau von Kohle hoch besteuert. Die Einnahmen aus dieser Steuer sollen eigentlich in die Entwicklung sauberer Energien fließen, aber das geschieht nicht. Es ist eine Art CO2-Steuer, aber die Einnahmen werden für andere Zwecke verwendet. Ich fürchte, für die Verwaltung von CBAM-Einnahmen würde lediglich eine neue aufwendige Bürokratie geschaffen, die finanziert werden muss, so dass am Ende nicht viel übrig bliebe von dem Geld.

Klimaschutz sollte Ihrer Ansicht nach also Sache der einzelnen Staaten bleiben und lediglich über die UN-Klimarahmenkonvention geregelt werden, nicht über die Handelspolitik?
Ja, denn es ist ja nicht so, als würde nur die EU etwas tun. Wir haben keinen Emissionshandel in Indien, aber wir haben ein Instrument mit dem Namen PAT: Perform, Achieve, and Trade. Dafür wird nicht wie im europäischen System der Ausstoß von Emissionen, sondern die Energieeffizienz von Unternehmen gemessen. Reduziert ein Unternehmen den Energieverbrauch, kann es die Einsparung verkaufen. Der Maßstab bei uns sind nicht die Emissionen, sondern die Energieeffizienz, weil es in Indien Bundesstaaten gibt, die viel Energie aus Wasserkraft produzieren. Ginge es um Emissionen, dann hätten die Unternehmen dort einen Vorteil gegenüber Unternehmen in anderen Bundesstaaten, in denen der Strom aus Kohlekraftwerken kommt. Um das zu vermeiden, wurde kein Emissionshandel eingeführt, sondern die Energieeffizienz als Bezugswert gewählt.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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