Der Artikel ist zuerst englisch auf der Online-Plattform „YaleEnvironment360“ (https://e360.yale.edu) erschienen.
Tief im Großen Afrikanischen Grabenbruch – in der Nähe liegen Fundstellen von Überresten der ältesten bekannten Menschen – übernimmt eines der letzten Völker von Jägern und Sammlern Umweltschutz-Methoden des 21. Jahrhunderts: Die Hadza, oft die letzten Bogenschützen Afrikas genannt, verkaufen CO2-Zertifikate, die sie für den Schutz ihrer Wälder bekommen. Aus den Einnahmen bezahlen sie unter anderem junge Leute, die als Ranger ihre Wälder bewachen.
Im März 2022 haben etwa 1300 Hadza und auch Angehörige von Hirtenvölkern, die mit ihnen das Yaeda-Tal im Norden Tansanias bewohnen, die ersten Zahlungen erhalten. Sie sollen schließlich annähernd eine halbe Million Dollar pro Jahr erreichen. Das einheimische Sozialunternehmen Carbon Tanzania zahlt dieses Geld für den Schutz von bewaldeten Jagd- und Weideflächen in einem Gebiet, das annähernd so groß ist wie Berlin. Damit wird ein altes Projekt zum Ausgleich von CO2-Emissionen auf dem Land der Hadza drastisch ausgeweitet.
Und es läuft anders als im südlich nordwestlich angrenzenden Schutzgebiet Ngorongoro, einem der malerischsten Tierreservate Afrikas, für dessen Einrichtung auch dort lebende Menschen vertrieben wurden: Das Projekt im Yaeda-Tal setzt auf die Fähigkeit der Hadza-Jäger, selbst Wächter ihrer Wälder und Beschützer ihrer Tiere zu sein. Diese Form des von ansässigen Gemeinschaften getragenen Umweltschutzes eröffnet über den Nutzen für das Klima hinaus neue Möglichkeiten, Afrikas Natur zu bewahren, sagen viele Fachleute. Und sie sehen darin ein mögliches Vorbild für CO2-Ausgleichsmaßnahmen nicht nur in Afrika, sondern auch in anderen Teilen der Welt.
„Das CO2-Projekt hat unsere Rechte gestärkt“
Die Menschen in Tansania nehmen das Projekt begeistert an. Sie sagen, es helfe ihnen, Eindringlinge abzuwehren, die ihnen ihr Land streitig machen und es landwirtschaftlich nutzen wollen. „Einige Tierarten nehmen zu, es gibt beispielsweise mehr durchziehende Elefanten, und der Wald ist auch dichter geworden“, sagt Christopher Shija, ein Ranger aus dem Dorf Jobaj. Moshi Isa, ebenfalls Ranger aus dem Dorf Mongo wa Mono, ergänzt: „Das CO2-Projekt hat unsere Rechte gestärkt. Und der dichtere Wald ist gut für uns als Jäger und Sammler.“
Ausländische Fachleute, die mit der Geschichte von teils zweifelhaften CO2-Kompensationsmaßnahmen vertraut sind, stimmen zu. Wo sie auf Waldschutz beruhen, wird ihnen häufig vorgeworfen, keine echte CO2-Einsparung zu bewirken, sondern die Abholzung nur in andere Gebiete zu verlagern. Kritisiert wird weiter, dass sie die Belange der in den Wäldern lebenden Gemeinschaften missachten und es westlichen Unternehmen erlauben, eigene Schritte zur Emissionsminderung aufzuschieben.
In Tansania wurden die meisten dieser Projekte „weitgehend unbekümmert“ vom Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften durchgeführt, sagt Sébastien Jodoin, ein auf Umweltfragen und Landrechte spezialisierter Jurist von der McGill University in Montreal. Doch unter den Projekten, die er unter die Lupe genommen hat, war das im Yaeda-Tal „die einzige und wichtige Ausnahme“: „Von der Planung bis zur Umsetzung wurden die traditionellen Rechte und das Wissen der indigenen Bevölkerung berücksichtigt“, so Jodoin.
Wissenschaftler sind von der traditionellen Lebensweise der Hadza angetan
Die Hadza leben seit mindestens 40.000 Jahren im Norden Tansanias. Ihre althergebrachte Art, von dem zu leben, was ihre Lebenswelt bietet, findet in der Wissenschaft großes Interesse – von der Ethnologie bis zur Erforschung einer gesunden Ernährungsweise. Linguisten sind von den Klicklauten ihrer einzigartigen Sprache fasziniert. Ihr Land ist eine Mischung aus feuchtem Grasland und zerklüfteten Bergen, die von Akazien und wasserspeichernden Baobab-Bäumen bewachsen sind. Dort leben Leoparden, Löwen, Gazellen, Giraffen, Antilopen, Wildhunde und Kaffernbüffel. Die Hadza sammeln wilde Früchte, Knollen, Honig und natürliche Heilmittel und sie gehen auf die Jagd, sagt Moshi. Sie besuchen auch heilige Stätten wie Dundubii, einen Hügel, auf dem sich drei Steine befinden, die man durch einen Schlag zum Klingen bringen kann.
Doch im Verlauf des letzten halben Jahrhunderts haben die Hadza mehr als drei Viertel ihres Landgebiets verloren. Viehzüchter lassen ihre Tiere in ihrer Savanne weiden, besonders während der Trockenzeit, und Bauern roden ihre Wälder für Ackerland. „Wanderfeldbau ist die Hauptursache für die Entwaldung in dieser Region wie in ganz Tansania”, sagt Jo Anderson, der Mitgründer und Leiter von Carbon Tanzania. „Er gefährdet die Existenz der Gemeinschaften, die im Wald leben, ebenso wie seine einzigartige Tierwelt.“
In der Vergangenheit wurden Eindringlinge nicht selten offiziell ermutigt, sagt Anderson. In der britischen Kolonialzeit, aber auch nach der Unabhängigkeit 1961 sahen die städtischen Eliten in der Lebensweise der Hadza ein störendes, rückständiges kulturelles Überbleibsel. In den 1970er Jahren verfolgte der Staat eine Politik der sogenannten Verdorfung – er versuchte, Nomaden die Sesshaftigkeit aufzuzwingen. Im Jahr 2007 kündigte die Regierung Pläne an, große Teile des Yaeda-Tals an ein Safari-Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zu verpachten.
Juristische Gegenwehr gegen Landraub
Autor
Fred Pearce
ist Journalist in England. Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter „Land Grabbing: Der globale Kampf um Grund und Boden“ (München 2012).Das UCRT half in der Folge den Hadza und ihren Nachbarn, den Hirten, Flächennutzungspläne zu erstellen, wie es die tansanische Regierung als Bedingung für Besitztitel verlangt. So wurden Flächen für Landwirtschaft, Siedlungen, Weiden, Viehgatter, Begegnungszonen und Wasserentnahmestellen festgelegt und Jagdgebiete ausgewiesen. Einige Landstücke wurden unter Naturschutz gestellt.
Dann stieß Jo Anderson als junger britischer Freiwilliger zum UCRT. Von ihm stammt die Idee, den Hadza mit Hilfe ihrer neu erworbenen Landrechte ein Einkommen zu verschaffen: Sie sollten für den Schutz der Wälder Emissionszertifikate im Rahmen von REDD+ verkaufen, einem UN-Programm zur Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung. In Partnerschaft mit dem UCRT und Vertretern der Hadza gründeten Anderson und sein Kollege Marc Baker Carbon Tanzania und begannen 2013, CO2-Zertifikate vom Land der Hadza zu verkaufen.
Das Projekt beschäftigte anfänglich 20 junge Leute als Ranger, die Daten über ihre Wälder sammelten und gegen Eindringlinge vorgingen. Reiseunternehmen kauften viele der Zertifikate, darunter in Afrika ansässige, ökologisch orientierte Reiseveranstalter, die einen Ausgleich für die von ihren Kunden verursachten Emissionen suchten. Unabhängige Prüfer schätzen, dass mit dem Projekt in den ersten sieben Jahren im Schnitt 22.000 Tonnen CO2 pro Jahr gebunden werden konnten und den Gemeinschaften daraus ein Einkommen von 490.000 US-Dollar zugeflossen ist.
Der Minister für Land überreichte den Hadza persönlich den Besitztitel
Im Jahr 2016 gelang es der UCRT, die Landrechte auf 2400 Quadratkilometer Wald- und Weideland auszuweiten, die sich die Hadza mit den Datoga teilen – Hirten, mit denen sie gelegentlich auch über das Land stritten. Im Dezember 2016 reiste der damalige tansanische Minister für Land, William Lukuvi, zu den Hadza, um ihnen den Besitztitel persönlich zu überreichen. Das wurde weithin als Zeichen gedeutet, dass die Regierung nun die Hadza als bedeutenden und geachteten Teil der Nation betrachtete.
Dies schuf die Grundlage für das nach den Prinzipien von REDD+ organisierte, erweiterte Yaeda-Eyasi-Landschaftsprojekt mit einer Fläche von 1100 Quadratkilometern. Daran sind neun weitere Gemeinschaften beteiligt; es erstreckt sich vom Norden des Yaeda-Tals über den Eyasi-See bis zum Rand des Schutzgebiets Ngorongoro, das zum Ökosystems der Serengeti-Savanne gehört. Das Projekt beschäftigt heute 57 Personen – überwiegend Ranger, die in Waldschutz, Erfassung der Tierbestände und in Kartierung mit Hilfe von Mobiltelefonen geschult sind. Laut Anderson kann auf diese Weise jährlich die Fällung von 170.000 Bäumen verhindert werden, wodurch 177.000 Tonnen CO2 gebunden bleiben. Dafür werden dann CO2-Zertifikate veräußert, mit denen die Käufer ihre Emissionen kompensieren. Der größte Abnehmer ist MyClimate, eine deutsche Stiftung, die Klimaschutzprojekte als Ausgleich für Treibhausgasemissionen unterstützt.
Den Nutzen für die Umwelt nachzuweisen, der den Verkauf von CO2-Zertifikaten rechtfertigt, ist nicht einfach, sagt Anderson. Dazu muss man nicht nur feststellen, wie sich die Menge des im Wald gebundenen Kohlenstoffs mit der Zeit verändert, sondern auch, wie diese Entwicklung ohne das Projekt verlaufen wäre. „Die Bestimmung des Kohlenstoffgehalts ist einfach“, sagt er. „Die eigentliche Anforderung ist, die kontrafaktische Situation zu modellieren und nachzuweisen, dass sich Rodungen nicht einfach woandershin verlagert haben, so dass sich kein Gewinn an CO2-Bindung ergäbe.“
Eine Abschlagszahlung von 90.000 US-Dollar
Mindestens 60 Prozent des Einkommens aus dem Verkauf der Zertifikate gehen direkt an die Gemeinden, den Rest zehren die Verwaltung und die Betriebskosten des Projekts auf. Das Geld der Hadza fließt zunächst auf Bankkonten des Dorfes, den Rangern wird ihr Lohn über Smartphone-Banking ausgezahlt. Dieses Jahr hat Anderson den 12 Dörfern, die an dem erweiterten Projekt beteiligt sind, im März eine Abschlagszahlung von 90.000 US-Dollar auf die erwartete Gesamtsumme von 450.000 Dollar überwiesen.
Zweimal im Jahr kommen die beteiligten Gemeinschaften zusammen und entscheiden, wie das Geld verwendet werden soll, erklärt Hadza-Projektleiter Isack Bryson. Er hat Biologie studiert und ist dann in sein Dorf zurückgekehrt, um für Carbon Tanzania zu arbeiten. Die Hadza, sagt er, verwenden das Geld vorrangig für Kosten des Schulbesuchs und der medizinischen Versorgung, für die Ausbildung neuer Ranger, für den Kauf von Maismehl zur Ergänzung der als Jäger und Sammler gewonnenen Nahrung sowie für den Betrieb der Dorfverwaltung. Es gibt auch Bauvorhaben, darunter Sanitäranlagen und Elektroinstallation für die örtlichen Schulen. Die Hirten der Datoga geben das Geld vor allem für Wassertröge und Dämme aus, um ihr Vieh zu versorgen, berichtet der Projektmanager German Sedoyeka vom Dorf Qangdend.
Ob die Zahlungen wie geplant fortgesetzt werden, hängt natürlich von den Rangern und ihrem Geschick ab, über das Land zu wachen und Entwaldung zu verhindern. Sie nehmen diese Aufgabe mit Freude an. „Meine Arbeit besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Wälder und die Tiere sicher und in Frieden leben können und illegale Migration in die Waldgebiete gestoppt wird. Ich melde Verstöße an die Dorfleitung, die Strafen verhängt und Verweise ausspricht“, sagt Shija. Er ist seinerseits auf die Augen und Ohren der Dorfbewohner und Jäger draußen im Wald angewiesen. „Die Gemeinschaft informiert mich über Schäden im Wald. Ich bin für sie eine wichtige Person“, sagt er nicht ohne Stolz.
Die Ranger berichten von einer Erholung der Tierwelt seit Beginn des ersten CO2-Projektes. „Die Bestände an Giraffen, Zebras, Elefanten und Geparden haben beständig zugenommen“, sagt Moshi. Die Wissenschaft bestätigt das. Eine 2019 veröffentlichte Vierjahresstudie des Yaeda-Tals, die tansanische und amerikanische Forscher gemacht haben, konstatiert insbesondere einen Zuwachs an Giraffen und anderer Laubfresser in der Waldzone.
„Die Jagd ist reicher als vor einigen Jahren“
Abgesehen vom Nutzen für die örtliche Artenvielfalt hilft die wachsende Zahl der Antilopen und anderer Wildfleischlieferanten den Hadza, ihre Jagdtraditionen zu erhalten oder wiederzubeleben. „Die Jagd ist reicher als vor einigen Jahren“, sagt Moshi. Ob er auch selbst jagt, wenn er als Ranger unterwegs ist? „Nein, ich jage niemals, wenn ich offiziell auf Patrouille bin“, erklärt Moshi mit Nachdruck. Schließlich sei eine seiner wichtigsten Aufgaben, Eindringlinge an Wilderei zu hindern. „Aber wenn ich nicht im Dienst bin, gehe ich auch auf die Jagd, wie es Tradition ist. Ich jage sehr gern.“
Übergriffe von außen reißen unterdessen nicht ab. Immer öfter kommen Touristen aus dem Nationalpark Ngorongoro, der jährlich rund 750.000 Besuchende anlockt, auch in ihr Gebiet, um das bunte Leben der Völker dort zu sehen. Manche Anthropologen kritisieren, diese Art von Tourismus führe zu einer entwürdigenden Zurschaustellung der Dörfer. Optimistischere Stimmen halten dagegen, dass die Hadza und ihre Nachbarn dank Sicherung ihrer Landrechte und des Einkommens aus den CO2-Zertifikaten nun mehr Möglichkeiten haben, die Entwicklung selbst zu steuern.
Anderson ist überzeugt, dass die Arbeitsweise von Carbon Tanzania die Arbeit des Naturschutzes über Nationalparks und Brennpunkte der Biodiversität hinaus erweitern kann. „Als junger Naturforscher habe ich auf meinen Reisen durch Tansania große Buschgebiete außerhalb ausgewiesener Schutzzonen gesehen. Meist waren das Gemeindewälder inmitten von Farmen und Weiden – wichtig für die lokalen Gemeinschaften, aber von Außenstehenden unterschätzt.“
Klimakompensationsprojekte auch in anderen Gebieten
Außer im Yaeda-Tal betreibt Carbon Tanzania vergleichbare Klimakompensationsprojekte auch im tansanischen Savannengebiet Makame und in den Ntakata-Bergen. Nun hat es noch ein vernachlässigtes Buschgebiet im abgelegenen südlichen Grenzgebiet zwischen dem Nationalpark Nyerere und Mosambiks riesigem Naturschutzgebiet Niassa ins Auge gefasst. Die beiden Schutzgebiete umfassen zusammen mehr als 70.000 Quadratkilometer, aber zwischen ihnen klafft eine Lücke von mehr als 20.000 Quadratkilometern ungeschützter Baumsavanne, in der auch Menschen leben.
Im Yaeda-Tal kann noch niemand genau sagen, wie sich das neue, dieses Jahr hinzugekommene Schutzgebiet entwickeln wird. „Ja, wir erwarten mit Spannung, ob es die erhofften CO2-Gewinne bringen wird“, räumt Anderson ein. „Aber es sieht vielversprechend aus.“
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.
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