Der Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung hat der Bundesregierung Ende des Jahres eine Richtschnur für eine solche Aufarbeitung vorgelegt. Wenn die Regierung und der Bundestag Lehren ziehen wollten, dann sollten von unabhängiger Seite Fehler identifiziert werden, ohne Schuldige zu suchen, empfehlen die 20 Experten aus Wissenschaft, Stiftungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie begleiten seit 2005 kritisch das deutsche Engagement in Krisen und seit 2017 die Beachtung der friedenspolitischen Leitlinien. Gebraucht wird nach Ansicht des Rates eine ressortübergreifende und politisch gewichtige Wirkungsevaluierung, „um Gründe und Verantwortlichkeiten für das Scheitern im Bündniskontext zu ermitteln und Lehren für eine zukünftige Politik der Krisenbewältigung und -prävention, der Stabilisierung und Friedensförderung zu formulieren“.
Der Beirat kritisiert zugleich Weichenstellungen einzelner Ministerien, die etwa nur die Jahre 2013 bis 2021 aufarbeiten, die ersten zwölf Jahre des Einsatzes hingegen ausblenden wollen. Gerade die politisch-strategischen Entscheidungen in dieser Zeit seien jedoch für den Verlauf des Engagements „ausschlaggebend gewesen“. Für den zivilen Einsatz planen Auswärtiges Amt, Entwicklungsministerium und Innenministerium seit November 2020 separate Evaluierungen, die in einen gemeinsamen Bericht münden sollen. Darin soll es auch um zivil-militärische Schnittstellen etwa beim Wiederaufbau und der humanitären Hilfe und der Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Hilfsorganisationen gehen. Das Verteidigungsministerium bewertet den von der Nato geführten Militäreinsatz. Am Ziel der guten Regierungsführung haben praktisch alle Ressorts mitgewirkt.
Nichts gelernt aus 20 Jahren zivil-militärischem Einsatz
Angesichts dieser Wechselwirkungen müsse eine unabhängige Wirkungsevaluierung vor allem die Strategie überprüfen, erläutert Beiratsmitglied Winfried Nachtwei. Dort hätten Regierung und Bundestag grundlegende Fehler gemacht, sagt der frühere Grünen-Abgeordnete, Mitglied im Verteidigungsausschuss und langjährige Afghanistan-Beobachter. Auf strategischer Ebene habe in dem fast 20-jährigen Einsatz kein systematisches Lernen stattgefunden. Und das werde nun in den Untersuchungen der einzelnen Ministerien „ausdrücklich auch nicht geschehen“.
Strategische Ziele waren etwa die Bekämpfung von Terrornetzwerken und die Schaffung eines sicheren Umfelds für internationale Hilfe und die Bevölkerung sowie die Förderung einer verlässlichen Staatlichkeit. Aus Nachtweis Sicht wurden sie weitgehend verfehlt. Die weit verbreitete Korruption habe am Ende maßgeblich zum Zusammenbruch des Staates beigetragen. Die Regierung habe zwar hin und wieder angekündigt, die Hilfe stärker an Bedingungen zu knüpfen, doch das habe keine Konsequenzen gehabt.
Bedenken von Generälen „weggewischt oder nicht zur Kenntnis genommen“
Nachtwei sagt, unabhängige Zwischenbilanzen des Engagements, die zu Kurskorrekturen hätten führen können, seien verhindert worden. „Wiederholte Initiativen im Bundestag sind 15 Jahre lang verpufft.“ Oft sei angeführt worden, die Wirkung deutscher Beiträge in dem multinationalen Umfeld sei methodisch schwer zu erfassen. Keine Regierung habe das Risiko einer seriösen Auswertung eingehen wollen, sagt Nachtwei, um die Bereitschaft des Bundestags nicht zu gefährden, die Bundeswehrmandate zu erneuern. Die deutsche Beteiligung sei primär durch die Loyalität zum US-geführten Bündnis motiviert gewesen. Die Regierung habe sogar die Sicht hoher Generäle über die sich verschlechternde Sicherheitslagen „weggewischt oder nicht zur Kenntnis genommen“, erinnert sich der frühere Abgeordnete. In der Tendenz hätten die Ministerien zum Schönreden geneigt. So sei bis heute nicht wirklich zu sagen, was gemessen am Bedarf im zivilen Bereich bei Polizei und Entwicklungszusammenarbeit zuwege gebracht worden sei.
Beschlossen ist bislang ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Evakuierungsmission nach dem überstürzten Abbruch des Einsatzes, der auch das Versagen der beteiligten Ministerien in den Monaten davor einschließen dürfte. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte aber bereits im August weitere Antworten auf kritische Fragen angemahnt, von denen abhänge, „welche politischen Ziele wir uns realistischerweise für zukünftige und für aktuelle weitere Einsätze im Ausland setzen dürfen“. Der Koalitionsvertrag enthält hierzu die Idee einer Enquete-Kommission zur Evaluierung des gesamten Afghanistan-Einsatzes. Der Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung bezweifelt aber, dass das angesichts der häufig sehr langen Untersuchungen das angemessene Format ist. Besser wäre eine vom Bundestag einberufene, von diesem aber vollständig unabhängige Kommission, die auch nach Afghanistan entsandte Soldaten und Vertreter der Zivilgesellschaft beteilige.
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