Fair auch in der Pandemie

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Bundesentwicklungsminister Gerd Müller stellt im Juni 2020 den „Grünen Knopf“ vor. Das Siegel hat das Bewusstsein für einen fairen Textilhandel gestärkt, sagen Aktivistinnen.
Kommunen
Die Corona-Pandemie droht wichtige Entwicklungserfolge zunichtezumachen. Engagierte Kommunen sehen das als einen Ansporn, sich bei der fairen Beschaffung erst recht ins Zeug zu legen.

Kommunen wollen zur Verbesserung globaler Arbeitsbedingungen beitragen, indem sie nur noch Produkte kaufen, bei deren Herstellung grundlegende Arbeits- und Sozialstandards eingehalten wurden. Dieses Engagement ist nicht zuletzt das Ergebnis von hartnäckigem Eine-Welt-Engagement der Zivilgesellschaft in vielen Städten. 

Angefangen hat das im Jahr 2004 mit dem Beschluss von München, als erste deutsche Stadt keine Produkte mehr aus ausbeuterischer Kinderarbeit einzukaufen. Fast 300 Kommunen sind seitdem dem Münchner Vorbild gefolgt und prüfen genau, was sie einkaufen. Fairer Kaffee, Tee, Säfte und Blumen haben Einzug in Ratssitzungen und Kantinen gehalten. Es gab etliche Pilotprojekte zum Einkauf von sozial und ökologisch nachhaltiger Dienstbekleidung. Doch es ist noch nicht gelungen, den fairen Einkauf über solche Initiativen hinaus strukturell zu verankern.

Flächendeckende Umsetzung scheitert

Eine flächendeckende Umsetzung scheitert bisher unter anderem daran, dass der Einkauf eher dezentral abläuft. Es liegen keine Zahlen darüber vor, welche Summen in nachhaltige Ausschreibungen fließen. Auch ist nicht immer klar, ob sich alle Kommunen an ihre eigenen Beschlüsse halten oder ob diese mehr symbolischen Charakter haben.

Welche Folgen hat die Pandemie für das Engagement der Kommunen? Es könne zwar sein, dass das Thema fairer Einkauf in kleineren Kommunen in der Corona-Krise schon mal brachliegt, meint Dirk Heitlindemann von der Region Faire Metropole Ruhr, einem Verbund von 53 Städten, Gemeinden und vier Kreisen im Ruhrgebiet. Wenn Mitarbeitende zum Einsatz ins Corona-Krisenzentrum abgezogen würden, tue sich erst einmal nichts in Sachen fairer Beschaffung. Doch generell könne man nicht sagen, dass die Pandemie das Engagement ausgebremst habe. 

Eine Charta für faire Beschaffung im Ruhrgebiet

Heitlindemann will gerade jetzt eine neue Dynamik schaffen. Alle Kommunen der Region Faire Metropole Ruhr haben bereits 2010 beschlossen, keine Waren mehr zu beziehen, an denen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen mitarbeiten mussten. Jetzt drängt die Zeit, denn bis 2030 sollen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erreicht sein, fünf Jahre vorher schon soll ausbeuterische Kinderarbeit weltweit abgeschafft sein. So entstand in der Region Faire Metropole Ruhr die Idee einer Charta mit verbindlichen Zielen zur fairen Beschaffung. 

Unterzeichnende Kommunen verpflichten sich darin, bis zum Jahr 2030 die Hälfte all ihrer Einkäufe bei problematischen Produkten so vorzunehmen, dass die von der Internationalen Arbeitsorganisation definierte grundlegenden Arbeitsrechte (ILO-Kernarbeitsnormen) und „wo möglich darüber hinaus“ die Kriterien des fairen Handels nachweislich eingehalten werden. Zwischenschritte auf dem Weg zum 50-Prozent-Ziel kann die Kommune selbst definieren. 

Von der Landespolitik ausgebremst

Die Charta wurde im Februar an die Stadtspitzen und Fraktionsvorsitzenden in den Stadträten der Kommunen der Region Faire Metropole Ruhr verschickt. Den Rücklauf erwarten die Initiatoren in den kommenden Wochen. „Ich setze auf einen Schneeballeffekt“, sagt Heitlindemann: Wenn die ersten Kommunen die Charta unterzeichnet haben, würden weitere nachziehen.

„Ich finde die Charta wichtig“, sagt Aiko Wichmann vom Vergabe- und Beschaffungszentrum der Stadt Dortmund, „aber noch besser wären einheitliche gesetzliche Vorgaben für eine faire Beschaffung.“ Die mit zahlreichen Projekten engagierte Kommune fühlt sich weniger von Corona als von der Landespolitik ausgebremst. Im Bundesland hatte die CDU-FDP-Landesregierung im Jahr 2018 die Nachweispflicht zur Einhaltung internationaler Arbeitsrechte und Umweltstandards aus dem Tariftreue- und Vergabegesetz gestrichen. Hersteller hätten es jetzt wieder leichter, ihre Ware loszuwerden, wenn sie sich nicht an Nachhaltigkeitskriterien halten, meint Wichmann – und das sei „kein gutes Signal“.

Mehr Bewusstsein durch das Textilbündnis

Rosa Grabe von der nichtstaatlichen Frauenrechtsorganisation Femnet sieht Rückenwind für das Engagement – trotz Corona. „Ich hatte zunächst befürchtet, Kommunen hätten in der Krise zu wenige Kapazitäten oder zu wenig Geld“, meint sie. Doch im Gegenteil: „Wir sind gefragt wie nie.“ Zu diesem gestiegenen Bewusstsein in den Verwaltungen habe unter anderem das Textilbündnis und der „Grüne Knopf“ des Bundesentwicklungsministeriums beigetragen. Femnet hat seit 2015 im Bereich Textilien zahlreiche Pilotprojekte mit Kommunen begleitet, zum Beispiel in Köln, Bonn, Mannheim, Stuttgart oder Markkleeberg in Sachsen. 

Jüngstes Beispiel ist eine Kooperation mit der Stadt Karlsruhe. Bei einer zentralen Ausschreibung von Dienst- und Schutzkleidung sowie Sicherheitsschuhen im Wert von über einer Million Euro im März 2021 hat Karlsruhe den Lieferanten soziale Standards in der gesamten Lieferkette verpflichtend vorgeschrieben. Hersteller, die diese nicht nachweisen konnten, wurden vom Bieterverfahren ausgeschlossen. Vielleicht setze sich in der Pandemie die Erkenntnis durch, „wie wichtig globale Menschenrechte sind“. Diese Hoffnung hat zumindest Dirk Heitlindemann.

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