Fairtrade-Städte: Mehr als Marketing

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Alles dicht: Wegen Corona findet auf der größten Einkaufsstraße in der Fairtrade-Stadt Frankfurt am Main derzeit weder fairer noch unfairer Handel statt.
Kommunen
Mehr als 700 Städte und Gemeinden in Deutschland tragen den Titel „Fairtrade-Stadt“. Hilft das dem fairen Handel?

Die internationale Kampagne Fairtrade Towns hat sich seit dem Jahr 2000 von der britischen Stadt Garstang aus über den Globus verbreitet. Heute haben bereits über 2000 Städte weltweit den Titel Fair­trade-Stadt erhalten. Auch Städte in Ländern des globalen Südens machen mit, etwa in Indien, Kamerun, Ghana, im Libanon, in Chile, Paraguay und Ecuador.

Von den mehr als 700 deutschen Städten mit dem Titel haben viele die Auszeichnung bereits mehrfach erhalten, denn sie muss alle zwei Jahre erneut beantragt werden. 60 bis 80 Städte kamen in den letzten Jahren jeweils pro Jahr neu dazu. In Deutschland koordiniert die Siegelorganisation Transfair die Kampagne seit dem Jahr 2009. Für den Titel Fairtrade-Stadt sind fünf Kriterien zu erfüllen. Zunächst muss ein Beschluss von Stadt- oder Gemeinderat vorliegen, dass eine Kommune den Titel anstrebt. Dann muss sie eine Steuerungsgruppe mit mindestens drei Personen aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft bilden, die das Vorhaben koordiniert. Zudem werden für die Bewerbung vier Medienberichte über Aktivitäten zum fairen Handel in der Kommune verlangt, und die Zivilgesellschaft muss in Gestalt von Vereinen, Kirchengemeinden und Schulen eingebunden werden. 

Kritik an zu niedrigen Hürden

Außerdem muss die Kommune nachweisen, dass in lokalen Einzelhandelsgeschäften und in der Gastronomie mindestens zwei Produkte aus fairem Handel angeboten werden. Wie viele Geschäfte, Hotels und Cafés mitmachen müssen, hängt von der Einwohnerzahl ab. Eine Metropole wie Köln mit gut einer Million Einwohnern muss für den Titel 110 Geschäfte, sechs Schulen, Kirchengemeinden und Vereine sowie 55 Gastronomiebetriebe nachweisen. Die Gemeinde Herrsching in Bayern mit etwas mehr als 10.000 Einwohnern musste für ihren Titel vier Geschäfte und zwei Gastronomiebetriebe mit fair gehandelten Produkten angeben. Bei den Produkten aus fairem Handel zählen nicht nur die Waren mit dem blau-grünen Siegel von Transfair, sondern auch Waren anderer Anbieter wie der Gepa oder El Puente. Bedingung ist, dass die Produzenten zur World Fair Trade Organization (WFTO) gehören oder von den Weltläden akzeptiert werden. Bei einer erneuten Titelvergabe werden die Kriterien noch einmal überprüft, neue Anforderungen kommen nicht dazu.

An den Kriterien für den lokalen Einzelhandel entzündet sich immer wieder Kritik in der Zivilgesellschaft. Diese Hürde sei zu niedrig, heißt es, denn zu den Geschäften zählen auch die Filialen von Supermarktketten wie Aldi, Lidl oder Rewe, die heute ohnehin Fair­trade-Produkte im Sortiment haben. An dieser Kritik sei durchaus etwas dran, meint Maria Tech, Fachpromotorin für Fairen Handel und nachhaltige Beschaffung in Hessen. Andere Kriterien hingegen stellten durchaus eine Hürde dar, zum Beispiel die Anforderungen zur Gastronomie. „Es handelt sich beim Titel Fairtrade-Stadt um ein niedrigschwelliges Instrument“, sagt sie, „über das Kommunen zunächst mal einen Einstieg in das Thema fairer Handel finden.“ Tech berät hessische Kommunen zum Thema fairer Handel.

Hälfte aller Deutschen lebt in einer Fairtrade-Town

Lisa Herrmann von Transfair bestätigt, dass die Bereiche Ga­stronomie, aber auch das Angebot in den Schulen schwerer zu bewältigen sind: „Wir bekommen von Kommunen die Rückmeldung, dass die Kriterien nicht so einfach zu erfüllen sind.“ Es hänge davon ab, wo eine Kommune steht. Zudem, sagt Herrmann, müssten die Kommunen selbst entscheiden dürfen, „wohin die Reise geht“ und wie sehr sie sich engagieren wollen.

Hier ist die Spannbreite groß. Weil Großstädte wie Köln, Frankfurt, München oder Berlin den Titel haben, lebt heute rund die Hälfte aller Bundesbürger in einer Fair­trade-Town. In der Fläche allerdings klaffen noch große Lücken. In so mancher Klein- und Mittelstadt sei es mühsam, die Verwaltung überhaupt dazu zu bewegen, sich für den Titel zu bewerben, sagen Engagierte. Britta Armorin von der Stadt Bonn ist davon überzeugt, dass dann aber der Titel in der Verwaltung und in der Öffentlichkeit Wirkung entfalten kann. In Bonn, das bereits seit zehn Jahren Fairtrade-Stadt ist, sei der faire Handel sichtbarer geworden – durch Veranstaltungen zur fairen Woche, durch Filmreihen, vor allem aber auch durch die kostenlose Nutzung öffentlicher Werbeflächen. „Ohne den Titel wäre das nicht möglich gewesen.“ Zwei kommunale Projekte zum fairen Einkauf von Dienstbekleidung für städtische Mitarbeiter wurden initiiert. 

Auch Maria Tech in Hessen findet, der faire Handel werde durch den Titel gestärkt. Nach ihrer Beobachtung kann er einen Prozess in den Kommunen auslösen, der insgesamt zu mehr Sensibilität beim Einkauf führt. In den Städten Frankfurt, Bad Nauheim und Darmstadt etwa hätten die Kommunalverwaltungen nach dem Erwerb des Titels damit begonnen, mehr auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu setzen, zum Beispiel beim Einkauf von Arbeitsbekleidung für die städtischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: kleine Schritte in Richtung mehr sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.  

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erschienen in Ausgabe 3 / 2021: Sport im Süden
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