In seltener Einheit haben sich die Parteien im Deutschen Bundestag zu den Zielen nachhaltiger Entwicklung in der nächsten Legislaturperiode bekannt. Deutschland müsse im Kampf gegen Armut und Hunger, die Klimakrise und für den Respekt der Menschenrechte internationale Verantwortung übernehmen, beteuerten Generalsekretäre und Geschäftsführer der Regierungs- und Oppositionsparteien im Bund sechs Monate vor den Parlamentswahlen. Nicht zuletzt an Covid-19 schieden sich aber die Geister.
Die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor hatten gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen zu der sogenannten Elefantenrunde in Berlin eingeladen. Die Parteien mit einer Chance auf eine Regierungsbeteiligung diskutierten über die Frage, welchen Stellenwert sie der Agenda 2030, der Klimakrise und internationaler Zusammenarbeit einräumen.
Selbstlob für das Lieferkettengesetz
Am Tag, an dem das Kabinett ein Lieferkettengesetz beschloss, hielten sich die Vertreter der großen Koalition zunächst Erreichtes zugute. Das Koalitionsversprechen sei eingelöst, erklärten SPD und Unionsparteien. Nun gelte es, das deutsche Modell zur Wahrung unternehmerischer Sorgfaltspflichten für Arbeitsbedingungen und Umweltschutz auch in Europa einzubringen. „Es wäre ein toller Erfolg, wenn wir das europäisch hinkriegen“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Sein CDU-Kollege Paul Ziemiak sah das Gesetz freilich als großes Verdienst von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Dieser habe die Latte mit einem in zwei Legislaturperioden verdoppelten Entwicklungshaushalt sehr hoch gelegt, betonte auch CSU-Mann Markus Blume. Müllers Motto, eine Welt ohne Hunger zu schaffen, behalten die Unionsparteien einvernehmlich bei.
Während die SPD bessere Arbeitsbedingungen und Umweltschutz als globale Aufgaben hervorhoben, sehen die Grünen sich als Botschafter weltweiter Solidarität und wünschen sich dafür auch einen Menschenrechts-TÜV. Den Einsatz für Kooperationsabkommen statt Freihandelsverträgen stellte für die Linke Jörg Schindler in Aussicht – mit verbindlichen Regeln sowohl auf zwischenstaatlicher Ebene als auch bei den Vereinten Nationen für soziale und ökologische Standards und den Schutz sensibler Märkte in Ländern des globalen Südens. Auch die FDP möchte sich für gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Ernährung und guten Lebensbedingungen einsetzen, allerdings mit offenen Märkten. Afrika etwa wollen die Liberalen dabei helfen, einen funktionierenden Binnenmarkt zu schaffen, sagte Ex-Generalsekretärin Nicola Beer.
Beim Klima werden nur die Grünen konkret
Am ehesten sorgte die Frage der internationalen Impfgerechtigkeit im Kampf gegen Covid-19 für Trennschärfe. Um auch ärmeren Ländern Vakzine verfügbar zu machen, wollen Union und FDP die Produktionsengpässe der Markenhersteller weltweit überwinden und Logistikketten abstimmen. Ärmere Länder wollen sie über die Impfallianz Covax mit Impfstoffen versorgen. SPD, Grüne und Linke halten dagegen eine Freigabe oder zumindest verbilligte Weitergabe von Lizenzen an Länder mit großen Herstellungskapazitäten wie Indien und Südafrika für den Königsweg. Mit Blick auf anstehende Verhandlungen bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagte Klingbeil: „Wer öffentliches Geld bekommt, steht auch in der Verantwortung.“ Er erwarte von der Pharmaindustrie, dass sie sich bewege.
Die Klimakrise hat ungeachtet der Coronakrise aus der Sicht aller Parteien nicht an Dringlichkeit verloren. Für eine zunehmende Dekarbonisierung der Volkswirtschaften setzen sie mit Ausnahme der Linken auf Anreize statt Verbote. Die FDP plädierte für einen wirksamen Ausbau des weltweiten Handels mit Emissionszertifikaten. Union und Liberale haben vor allem Afrika im Blick: Auf dem Kontinent soll mit Wissens- und Techniktransfer zugunsten von erneuerbaren Energien verhindert werden, dass Wachstum auf chinesischer Kohleenergie beruht. Dazu gehöre auch deutsche Wasserstofftechnologie. Finanziell sind bislang allein die Grünen konkret: Sie wollen im Jahr der Klimakonferenz von Glasgow 800 Millionen Euro mehr für den Klimaschutz zusagen, wenn sie in die Regierung kommen.
Das Erbe von Entwicklungsminister Gerd Müller
Unterschiede wurden auch bei der Ernährungspolitik sichtbar. Union und FDP sehen das Heil eher in umweltschonenden neuen Technologien wie im „Smart Farming“; die Grünen hingegen setzen auf den ökologischen Landbau und die Linken auf die Bewahrung regionaler Ernährungssysteme. Um die Natur zu schützen und die Regenwälder vor weiterer Abholzung zu bewahren, will die Union lokale Gemeinschaften stärken. Grüne und SPD hingegen fordern stärkere Naturschutzregeln in internationalen Handelsverträgen.
In einem zeigte sich das Erbe Gerd Müllers ganz konkret: Das Entwicklungsministerium (BMZ) hat an Relevanz gewonnen; alle Parteien sehen es als zentrales Zukunftsressort. Vor allem die FDP, die es sogar einmal abschaffen wollte, plädiert nun ausdrücklich für die Stärkung. Um weltweit gleiche Entwicklungschancen voranzutreiben, müsse die Politik in Deutschland und Europa viel kohärenter werden, sagte Beer. Es sei Aufgabe des BMZ, die Vielfalt von Projekten zu bündeln und verantwortlich zu führen.
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