„Auch die Linke ist in ihrem Hauptstrom auf Wachstum fixiert“

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Nachhaltigkeitspolitik
Ein Rückblick auf drei Jahrzehnte Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Gespräch mit Reinhard Loske

Wie Deutschland zukunftsfähig werden kann, haben Studien schon vor Jahrzehnten ausbuchstabiert. Reinhard Loske hat daran mitgearbeitet. Wo sieht er die Wirkung dieser Denkanstöße und wieso stockt der sozial-ökologische Umbau?


Umweltministerin Svenja Schulze hat gerade ein überraschend weit gehendes Klimaschutzgesetz vorgeschlagen. Hatten Sie ihr die alten Studien zum zukunftsfähigen Deutschland zugeschickt?
Nein. Aber was sie anstrebt, war tatsächlich schon damals unsere Forderung: Alle Sektoren brauchen verbindliche Klimaschutzziele. Dazu gibt es Ansätze in einigen Bundesländern, aber nach wie vor ist Klimaschutz bei uns weitgehend auf die Stromerzeugung beschränkt – bei Verkehr und Landwirtschaft geht es mit Volldampf weiter in die falsche Richtung. Dabei wissen wir: Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, muss bei uns in zwei Jahrzehnten alles vom Kopf auf die Füße gestellt werden und bis 2060 muss die Wirtschaft weltweit im Wesentlichen ohne fossile Brennstoffe auskommen. Gesellschaften brauchen für Anpassungen Zeit. Aber es wird immer mehr Zeit verspielt. Ich habe 1987 nach dem Studium bei einem Abgeordneten und Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ angefangen, das ist über 30 Jahre her. Im Abschlussbericht der Enquete von 1990 steht im Grunde schon alles drin, was geschehen muss – auch wenn jetzt die Zahlen genauer klar sind.

Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ hat auch Leitbilder für einen sozialen und kulturellen Wandel entworfen mit dem Tenor „gut leben statt viel haben“. Die haben nicht viel bewirkt, oder?
Das würde ich nicht sagen. Die Studie vom damals jungen Wuppertal-Institut wurde von zwei gesellschaftlich bedeutenden Großgruppen getragen, nämlich den Kirchen und der Umweltbewegung. Die zusammengebracht zu haben, ist eine bleibende Wirkung. Die Studie wurde 1995 präsentiert – übrigens mit der damaligen Umweltministerin Angela Merkel – und es gab dann Hunderte Veranstaltungen dazu im ganzen Land. Sie fand große Resonanz auch über Kirchen und die Umweltbewegung hinaus; einzelne Gewerkschaften und Unternehmen fingen an, sich zu öffnen. Teile dieser Ideen haben dann ab 1998 die Politik der rot-grünen Bundesregierung beeinflusst, zum Beispiel die ökologische Steuerreform und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Aber es sind leider Inseln des Richtigen in einem Ozean des Falschen geblieben.

Anstößige Studien

Nachhaltige Entwicklung fängt bei uns an – der Einsicht haben zwei viel beachtete Studien „Zukunftsfähiges Deutschland“ von 1996 und 2008 Nachdruck verliehen. Die erste erschien 1996 im ...

Wie weit haben die Leitbilder Lebensstile in der Gesellschaft beeinflusst?
Leitbilder wie „Entschleunigen“ und „Entschlacken“ haben wir uns nicht ausgedacht, sondern es waren damals erkennbare Trends. Und man darf sich Prozesse des Wandels nicht so vorstellen, dass jemand ein kohärentes Konzept vorlegt und das wird alles übernommen. In meinem jüngsten Buch „Politik der Zukunftsfähigkeit“ habe ich ein Modell für gesellschaftliche Umbrüche entwickelt. Am Anfang steht immer das große Nein, zum Beispiel: Atomkraft wollen wir nicht. Dann kommen praktische Pioniere in Nischen. Freaks, Tüftler und Landkommunarden haben angefangen, erneuerbare Energien voranzubringen, erste Handwerker und Wissenschaftler sind hinzugekommen, man hat voneinander gelernt, es entsteht eine kritische Masse. Aber dann muss die Politik den Rahmen setzen und von Bremsen auf Fördern umschalten. Bei der Energiewende hat sie das bei aller Detailkritik getan, bei Landwirtschaft und Verkehr bis heute nicht.

Deshalb werden die meisten der Leitbilder immer noch nur in Nischen praktiziert?
Ja. Wir haben damals viele Lebensstiltendenzen richtig eingeschätzt, aber wir haben gehofft, sie würden breitere Schichten erfassen. Und wir haben die soziale Frage vor allem als Nord-Süd-Frage gesehen und nicht bedacht, dass eine ökologische Politik nur funktionieren kann, wenn sie auch bei uns sozial akzeptiert wird.

Die Grünen waren sozialpolitisch blind, behauptet der Historiker Joachim Radkau sogar. Sie saßen von 1998 bis 2007 für die Grünen im Bundestag; geben sie ihm recht?
Wir hatten schon Vorstellungen vom Sozialen, zum Beispiel von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Aber wir haben uns tatsächlich sehr wenig mit dem Sozialstaat befasst. Nur bei der ökologischen Steuerreform ist es gelungen, Umwelt- und Sozialpolitik zu verbinden: Die Einnahmen aus Steuern auf Ressourcen und Energie sollten verwendet werden, um Sozialbeiträge, vor allem Rentenbeiträge, zu senken und so Beschäftigung anzuregen. Weil das aber zu heftigen Protesten aus einer unheiligen Allianz von „Bild“, Bundesverband der deutschen Industrie, ADAC, CDU und FDP und Teilen der Gewerkschaften geführt hat, hat Bundeskanzler Schröder einen Rückzieher gemacht und gesagt: Feierabend, das betreiben wir nicht weiter. Bei den Hartz-Reformen ab 2003 war in der Koalition die ungute Arbeitsteilung, dass die SPD für die Sozialpolitik zuständig war und die Grünen für die Umweltpolitik. Deshalb konnte Gerhard Schröder bei der Sozialpolitik im Grunde machen, was er wollte. So konnte der gefährliche Eindruck entstehen, Umweltthemen seien ein Spleen der Bionade-Bourgeoisie, unter dem die kleinen Leute zu leiden haben. Unser zweiter Fehler war, dass wir nicht auf der Verbindlichkeit von Umweltzielen bestanden haben. Die rot-grüne Bundesregierung hat sogar ambitionierte Ziele abgeschwächt – etwa das der Regierung Kohl, die CO₂-Emissionen von 1990 bis 2005 um 25 Prozent zu senken. Unter Rot-Grün wurden daraus 21 Prozent bis 2012.

Nach der Zeit im Parlament waren Sie dann 2007 bis 2011 Senator für Verkehr, Umwelt, Bau und Europa in Bremen. Hatten Sie in der Rolle mehr Einfluss als vorher?
Das ist schwer zu sagen, die Wirkungen waren von anderer Art. In Bremen hatte ich große Gestaltungsmöglichkeiten in konkreten Fragen wie Radverkehr fördern, Zersiedelung bremsen oder die ­S-Bahn ausbauen. Das hat Zuspruch der Wähler gebracht, aber auch extrem harte Konflikte bis hin zu Hass. Zum Beispiel hat Bremen damals als erstes und bis heute einziges Bundesland ein flächendeckendes Tempolimit auf Autobahnen eingeführt. Das hat mir härteste Angriffe eingebracht.

Wie viele Kilometer Autobahn hat Bremen?
Nur etwa 60, aber es ging um das Symbol: Darf ein Land gegen den erklärten Willen der Bundesregierung ein Tempolimit einführen?

Finden Sie heute Debatten in der Gesellschaft, die von den beiden Studien angestoßen worden sind?
Ideen von Postwachstum und postmaterielle Werthaltungen wie das Teilen von Gütern finden mehr Zuspruch als früher. Aber sie wirken sich wenig aus, weil das wachstumsgetriebene Wirtschaften daneben weitergeht. Teilen ist gut, wenn es andere Formen des Konsums ersetzt. Der Kapitalismus hat aber die Eigenart, soziale Innovationen in Geschäftsfelder zu verwandeln und sich so zu erneuern. Ein schönes Beispiel ist Kleidertausch: Erst ging es darum, dass Kleider so lange wie möglich genutzt werden. Jetzt werden Kleider-Flatrates eingeführt, bei denen man für 50 Euro im Monat immer die neuesten Kleider bekommen und sie nach drei Monaten wieder zurückschicken kann, um immer auf der neuesten Welle mitreiten zu können. Das ist keine Konsumminderung, sondern eine Konsumstimulierung.

Haben sich die beiden Studien um das Problem des Wachstumszwangs herumgemogelt?
Das haben wir gerade nicht getan. Wir haben ganz klar den Konsumismus kritisiert. Allerdings haben viele Linke, etwa mein akademischer Lehrer Elmar Altvater, kritisiert: Reinhard, ihr könnt nicht von Nachhaltigkeit reden und vom Kapitalismus schweigen. Das war durchaus richtig, aber nicht die ganze Wahrheit. Denn die Linke ist in ihrem Hauptstrom heute kaum weniger wachstumsfixiert als der neoliberale Mainstream.

Was motiviert sie, trotz allem weiter für eine sozial-ökologische Transformation zu streiten?
Na ja, ich habe Kinder, Familie, Freunde, fühle mich irgendwie fürs Ganze mitverantwortlich und mache lieber Sinnvolles als Sinnloses. Und in der Natur zu sein, einer möglichst intakten, ist für mich einfach eine Quelle von großem Glück. Gegen Mitweltzerstörung nichts zu machen, käme mir irgendwie feige vor. Mag sein, dass es für manches zu spät ist, aber zum Zynismus tauge ich nicht.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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