Debatte über deutsche Menschenrechtspolitik

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Amar Mehic, Picture Alliance
Ende Dezember versuchen sich Flüchtlinge im Lager Lipa in Bosnien-Herzegowina notdürftig zu versorgen. Die ­Opposition wirft der Bundesregierung vor, sie versage in der Flüchtlingspolitik.
Regierungsbericht
Die Bundesregierung hat zum Jahresende über ihre ­Menschenrechtspolitik berichtet. Die Opposition erkennt viel Gutes, kritisiert aber eine Kluft zwischen Wort und Tat.

Alle zwei Jahre legt die Bundesregierung eine Bilanz ihrer Menschenrechtspolitik vor. Universell geltende Standards hochzuhalten und einzuklagen, wird immer schwerer, lautet das Fazit vom Dezember 2020. „Wo wir auch hinschauen, gibt es Rückschritte“, beklagt Außenminister Heiko Maas. Mancherorts werde dafür die Corona-Pandemie als Vorwand benutzt: „Repressive Regime missbrauchen sie als Deckmantel, um Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger zu bedrängen und freie Medien zum Schweigen zu bringen.“

Trotz dieser „schweren Zeit für die Menschenrechte weltweit“ habe deutsche Politik im Rahmen der EU, der Vereinten Nationen und in Deutschland Fortschritte errungen, betonte Maas bei einer Debatte im Bundestag im Dezember. Er nannte europäische Exportbeschränkungen und die Aussetzung von Auslieferungsabkommen gegenüber Hongkong sowie ein drittes Sanktionspaket gegen Belarus als Beispiele gemeinsamer Reaktionen gegen die Unterdrückung von Regierungskritikern andernorts. 

Zudem habe die deutsche EU-Ratspräsidentschaft einem Sanktionsregime zum Durchbruch verholfen, das zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen künftig Vermögenswerte von Personen, Unternehmen und Organisationen einfrieren kann, die zum Beispiel an Folter, Versklavung oder systematischer sexueller Gewalt beteiligt sind. Maas: „Es muss damit Schluss sein, dass Täter unbehelligt ihr Geld in der EU parken.“ Bislang war das nur im Rahmen von Strafmaßnahmen gegen Staaten oder von besonderen Sanktionsregimen wie im Kampf gegen Cyberangriffe oder den Einsatz von Chemiewaffen möglich.

Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war Deutschland in den vergangenen zwei Jahren gewähltes Mitglied und zeitweise im Vorsitz. Dort hat es Menschenrechte auf die Tagesordnung gesetzt, wo diese wegen des Widerstands einiger Mitglieder in der Regel nur ausnahmsweise explizit behandelt werden. Besser verankert und inhaltlich weitergetrieben wurde dem Bericht zufolge der Schwerpunkt Frauen, Frieden und Sicherheit, zum einen mit einer Resolution zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt in Kriegen, zum anderen mit zwei offenen Debatten im Sicherheitsrat hierzu. Maas wies jedoch darauf hin, dass selbst die UN inzwischen ein Ort seien, an dem bislang universell geltende Werte und Standards „auf einmal wieder infrage gestellt werden“.

Die Opposition begrüßt die Kritik an China

Dem „Brennpunktthema“ sexueller Gewalt in Konflikten widmet der Bericht auf Wunsch des Bundestags ein eigenes Kapitel, ebenso wie der Problematik der Straflosigkeit und dem Schutz von zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräumen. Dem Auftrag des Bundestags, stärker auf aktuelle Probleme einzugehen, kommt der Bericht mit ausgewählten Länderberichten etwa zu China, Russland und der Türkei sowie mit Informationen zu geförderten Menschenrechtsprojekten nach.

Die Opposition lobte die „klaren Worte“ zu Menschenrechtsverstößen der Kommunistischen Partei Chinas in Hongkong und der Region Xinjiang, wo die uigurische Minderheit lebt. Die Liberale Gyde Jensen unterstrich allerdings, entscheidend sei die tatsächliche China-Politik der Bundesregierung: Ihre Partei könne „absolut nicht erkennen“, dass aus der Darstellung im Bericht entsprechende Konsequenzen abgeleitet würden. Der Bericht erwecke den Eindruck einer integrierten Menschenrechtsstrategie. Aber wenn Ministerien zusammenarbeiten müssten, „dann holpert es ordentlich“, sagte Jensen.

In einem eigenen Antrag forderte die FDP zudem, bedrohte Menschenrechtsverteidiger stärker zu schützen. So startete im Juni zwar die nach der Frauenrechtlerin benannte „Elisabeth-Selbert-Initiative“, die Aktivistinnen und Aktivisten nach Deutschland einlädt, um sie für eine Zeit aus der Schusslinie zu nehmen. Laut Außenminister Maas gibt es bereits Anträge, und die erste Einreise einer Frau stehe bevor: Sie werde in ihrer Heimat wegen des Engagements für die Rechte ehemaliger Kindersoldaten bedroht. Für Jensen garantiert die Initiative aber nicht, dass Aktivisten hier ihre Arbeit machen können. Sie befürchtet, dass Dissidenten auch in Deutschland ausgespäht werden könnten. Jensen fordert deshalb eine Anlaufstelle beim Bundeskriminalamt, wo Betroffene und Behörden Bedenken anmelden könnten, wenn sich Erkenntnisse ergeben.  

Die Unionsfraktion begrüßte vor allem das Potenzial des neuen EU-Sanktionsmechanismus gegen Straflosigkeit, betonte aber, auch hier sei die Tagespolitik entscheidend. Und selbst aus Sicht des Koalitionspartners SPD lässt die oft zu wünschen übrig. So hielt Frank Schwabe, SPD-Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, nicht zurück mit Kritik am Umgang mit Geflüchteten im Allgemeinen („europäische Schande“) und am Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten (Pushbacks) im Besonderen („Verstoß gegen internationales Recht“). Margarete Bause von den Grünen brachte es so auf den Punkt: Die Regierung mogle sich an Themen vorbei, „wo die Groko versagt, oder heillos zerstritten ist“. Dazu gehöre neben dem blockierten Lieferkettengesetz auch die „beschämende Realität der europäischen Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen“.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2021: Gesundheit weltweit schützen
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