Das Dilemma im Umgang mit China

Diplomatie
Europa darf trotz Zusammenarbeit beim Klimaschutz auch Konflikte nicht scheuen.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von "welt-sichten".

Ein Lichtblick für den Klimaschutz kam Ende September aus China: Vor der UN-Generalversammlung verkündete Staatspräsident Xi Jinping, die Volksrepublik wolle ihre Wirtschaft bis 2060 klimaneutral machen. China ist mit grob einem Viertel der Treibhausgase der weltweit größte Emittent vor den USA (wo der Ausstoß pro Kopf aber doppelt so hoch ist). Sollte China bis 2060 klimaneutral werden, dann bringt allein das mehrere Zehntel Grad weniger Klimaerwärmung. 

Xi Jinping erfüllt mit dem Zieldatum eine von zwei Klimaschutzforderungen der EU (die andere ist, keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr zu finanzieren). Doch China tut das im eigenen Interesse. Das Land gehört zu den größten Opfern einer Erd­erhitzung, Klimaschutz verringert auch seine hohe Luftverschmutzung, und er passt zu Chinas heutiger Entwicklungsstrategie: Das Land setzt auf Hochtechnologie und will, verstärkt von der Corona-Krise, die Abhängigkeit von äußeren Märkten, Rohstoffen und Energieimporten nach und nach verringern.

Die Volksrepublik will nun beim Klimaschutz gemeinsam mit der EU vorangehen – ohne die USA. Das hat gute Gründe: 2015 hatte die Verständigung Chinas mit den USA das Pariser Klimaabkommen ermöglicht; daraus sind die USA wieder ausgestiegen, und Präsident Trump hat selbst die kleinen Klimaschutzansätze seines Vorgängers rückgängig gemacht. Es ist aber auch ein politischer Schachzug. Die USA führen einen Handelskrieg gegen China, wollen das Land schwächen und auf der Weltbühne zurückdrängen. Das würde eine Regierung unter Joe Biden nicht grundsätzlich ändern. Die USA wollen, dass Europa das mitträgt, und das will China verhindern.

Das größte Dilemma in der Zusammenarbeit ist aber, dass sich das Regime in Peking seit dem Amtsantritt Xi Jinpings 2012 fundamental zum Schlechteren gewandelt hat. Auch vorher war nichts geduldet, was ein Machtkeim neben der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) werden könnte. Doch um Missstände erkennen und sozialen Unmut eingrenzen zu können, ließ die Partei Bürgerinitiativen, Medien, Anwälten und Wissenschaftsinstituten gewisse Spielräume. Die Staatsführung entschied im Kollektiv und in Parteizirkeln wurde kontrovers diskutiert, so dass Fehlentwicklungen erkannt werden konnten. 

Rückfall in ein totalitäres System?

Xi Jinping hat mit seiner Seilschaft diese Mechanismen außer Kraft gesetzt. Er hat die Macht zentralisiert und im Namen der Korruptionsbekämpfung die KPCh von Kritikern gesäubert. Die Zensur wurde verschärft, Umweltschutzgruppen an die Kandare genommen, Menschenrechtsanwälte verhaftet oder mundtot gemacht. Selbstverwaltungsrechte nationaler Minderheiten werden ausgehöhlt und Uiguren und Tibeter im Westteil des Landes zwangsweise umerzogen und indoktriniert. In Hongkong werden die im Übergabevertrag mit Großbritannien garantierte Autonomie und Rechtsstaatlichkeit zusehends erstickt. Cai Xia, eine frühere Professorin der Zentralen Parteischule der KPCh, die jetzt in den USA lebt, diagnostiziert einen Rückfall in ein totalitäres System, das dank elektronischer Überwachung die Gesellschaft umfassender kontrollieren könne als je zuvor. 

Nach außen tritt Xi Jinping viel offensiver auf als seine Vorgänger. Dass China die vom Westen dominierte globale Ordnung zum eigenen Nutzen mitgestalten will, ist nachvollziehbar. Nicht aber, wie aggressiv es zum Beispiel seine Ansprüche auf das ganze Südchinesische Meer gegenüber Nachbarländern vertritt. Der neue Gestus der nationalen Größe ist für manche ein Zeichen innerer Schwäche: Das Wirtschaftswachstum, die wichtigste Legitimation der Parteiherrschaft, ist niedriger als vor 2008, und laut Cai Xia sieht die Mehrheit der Parteimitglieder Xi Jinping kritisch. Doch das macht diesen Gestus nicht weniger bedrohlich. 

Gut also, dass Europa eine Chinastrategie sucht. Nicht gut aber, dass mehr Marktzugang – etwa eine Öffnung des chinesischen Banken- und Gesundheitswesens für Auslandsinvestoren – das vordringliche Ziel der EU zu sein scheint. Besonders Berlin hat sich lange zu stark von den Interessen in China tätiger deutscher Unternehmen leiten lassen. Immerhin deutet sich jetzt ein Ende der Leisetreterei bei großen Menschenrechtsverletzungen an. Die sollten die EU und ihre Mitglieder klar benennen, Provokationen im Südchinesischen Meer verurteilen und Chinas Einwirkungen etwa auf Medien in Europa sowie Industriespionage unterbinden. 
Trotzdem kann und muss die EU in der Klimapolitik und in globalen Fragen wie Biodiversität mit China zusammenarbeiten. Ohne Peking kann die Erd­erhitzung nicht mehr gebremst werden. Europas Diplomaten werden Rückgrat brauchen – und die Fähigkeit zu Drahtseilakten.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2020: Erbe des Kolonialismus
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