Die Corona-Pandemie führe zu Reisebeschränkungen mit der Folge, dass Redaktionen weltweit lokale Journalistinnen und Journalisten für ihre Auslandsberichterstattung suchen, erläutert Tabea Grzeszyk, Mitgründerin und Geschäftsführerin von Hostwriter. Das Journalistennetzwerk mit rund 5000 Mitgliedern aus 150 Ländern dient dazu, Hintergrundinfos und Kontakte auszutauschen, sich bei Visaangelegenheiten zu unterstützen, gemeinsam Themen zu recherchieren und zu bearbeiten oder eine Übernachtungsmöglichkeit bei Kollegen zu finden.
Die Suche nach Journalisten vor Ort sei für die Kollegen und Kolleginnen im Netzwerk eine Chance, Einkommensverluste auszugleichen und gleichzeitig vielfältigere Perspektiven in die Medien zu bringen, dachte sich das Team in Berlin und entwickelte den „Covid 19 Collaboration Wire“. Ende Mai stellte Hostwriter ein Anfrageformular online, in dem Redaktionen beschreiben, aus welcher Region, zu welchem Thema und für welches Medium sie Journalistinnen oder Journalisten suchen und welches Honorar sie zahlen. Hostwriter vermittelt dann zwischen beiden Seiten.
Bis Ende Juli habe es 55 Anfragen gegeben, sagt Grzeszyk. So suchte der Onlinedienst „Peace Data“ Autorinnen und Autoren in den USA, in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika zu Themen wie Menschenrechte, Kriegskriminalität, Korruption und Umweltschutz. Die polnische Plattform „Outriders“ habe eine Journalistin aus Brasilien beauftragt, über ein Projekt zur Bekämpfung von Covid-19 zu berichten. Die meisten Redaktionsanfragen seien von kleineren Medien aus Europa gekommen, sagt Grzeszyk.
Den direkten Draht zu Journalistinnen und Journalisten hätten nur wenige Redaktionen genutzt, die meisten wollten mit Hostwriter als Agentur zusammenarbeiten. Ein Grund für die Zurückhaltung der Redaktionen sind nach Einschätzung von Grzeszyk unterschiedliche Traditionen, Geschichten zu erzählen. Statt des westlich-angloamerikanischen Nachrichtenstils, der die zentrale Aussage an den Anfang setzt, werde in vielen Ländern wie in einem Krimi das Ergebnis der Recherche im Verlauf des Beitrags hergeleitet. Zudem ist Deutsch oder Englisch nicht die Muttersprache von Autorinnen in Ländern des Südens und es muss mehr redigiert werden.
Der „springende Punkt“ sei aber, das zunächst einmal Vertrauen in die der Redaktion noch nicht bekannten Journalistinnen und Journalisten hergestellt werden müsse, erklärt Grzeszyk. Unbewusste Vorurteile und eng getaktete redaktionelle Abläufe verhinderten, dass gerade Redaktionen etablierter Medien „andere“ Perspektiven und Texte einholen.
Von weißen, akademisch-westlich geprägten Menschen dominiert
Die bisherigen Erfahrungen mit dem „Covid 19 Collaboration Wire“ zeigen für Grzeszyk, dass man „sehr dicke Bretter bohren“ muss, um „vielfältigere Stimmen in den Mainstream zu bekommen“. Eine „vielversprechendere Variante“ sei eine aktivere Rolle des Hostwriter-Teams, das Autorinnen suche und mit ihnen und der Redaktion gemeinsam an den Geschichten arbeite – wie eine Agentur. Das machen auch andere Medienagenturen wie Journafrica, das seit 2014 differenziertere Bilder vom afrikanischen Kontinent vermitteln will. So habe Hostwriter mit dem „Covid 19 Collaboration Wire“-Projekt erste gute Erfahrungen als „publizierendes Netzwerk“ gesammelt, sagt Grzeszyk.
Die „größte Erfolgsgeschichte“ sei für sie die stärkere Zusammenarbeit der Netzwerkmitglieder untereinander gewesen. Die habe vom „Covid 19 Collaboration Wire“ einen neuen Schub bekommen, etwa weil Mitglieder gemeinsam leichter Recherchestipendien bekämen. Wie eine solche Zusammenarbeit auch zu redaktionellen Aufträgen führen kann, zeigt das chinesische Hostwriter-Mitglied Lulu Ning Hui, die in Brüssel als Korrespondentin für das in Hongkong ansässige Digitalmagazin „The Initium“ arbeitet. Sie vergibt über Hostwriter regelmäßig Aufträge an Kolleginnen und Kollegen und sucht im Netzwerk Ko-Autorinnen für grenzüberschreitende Recherchen. So habe sie sich mit einem Mitglied in Madagaskar erfolgreich um ein Stipendium beworben und zu einer milliardenschweren Großinvestition aus China auf der Insel im Indischen Ozean recherchiert. Ein weiteres Beispiel sind die weltweiten Proteste gegen Rassismus: So hat ein Hostwriter-Mitglied innerhalb weniger Tage ein Autorenteam für ein Multimedia-Projekt zusammenstellen können, um über institutionellen Rassismus in europäischen Städten zu berichten.
Durch diese Vernetzung komme Vielfalt in die Medien, sagt Grzeszyk. So bringe Hostwriter Lulu Ning Hui immer wieder differenzierte europäische Perspektiven in ihr Magazin, während deutsche Redaktionen noch sehr von weißen, akademisch-westlich geprägten Menschen dominiert werden und Vielfalt oft ein „Lippenbekenntnis“ bleibe.
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