Geht doch: Entwicklungsminister Gerd Müller (links) und Arbeitsminister Hubertus Heil (rechts) präsentieren Mitte Juli bei der Pressekonferenz zum Lieferkettengesetz eine fair produzierte Jeans.
Die Bundesminister für Arbeit und Entwicklungspolitik wollen nach der Sommerpause ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen. Deutsche Unternehmen sollen in Haftung genommen werden, wenn sie nicht tun, was ihnen möglich ist, um Menschenrechtsverletzungen bei ihren Zulieferern verhindern.
Der Ankündigung, noch im August im Kabinett einen Beschluss über Eckpunkte eines Gesetzes herbeizuführen, war eine zweite Unternehmerbefragung vorangegangen, in der 3300 Firmen angeschrieben und um eine Selbsteinschätzung ihrer Vorsorge gegen Menschenrechtsverstöße gebeten wurden. Das Ergebnis zeigte noch deutlicher als das einer ersten Befragung im vergangenen Jahr, dass die Firmen zu wenig gegen ausbeuterische Praktiken, etwa bei Entlohnung oder Arbeitszeit, bei ihren Zulieferern im Ausland tun. Entwicklungsminister Gerd Müller zeigte sich enttäuscht, dass von den 465 Firmen, die freiwillig geantwortet haben, nur 98 – also jede fünfte – die gestellten Ansprüche erfüllt haben. Die zivilgesellschaftliche Initiative Lieferkettengesetz erklärte, die Bundesregierung habe nun schwarz auf weiß, dass freiwillige Selbstverpflichtungen nicht weiterführten, wenn es um Menschenrechte gehe.
Koalitionspartner machen Streit zur Chefsache
Für einen Gesetzentwurf ist SPD-Minister Hubertus Heil federführend. Auf seine Durchsetzungskraft wird es ankommen, ob es bis zum Ende der Legislaturperiode ein Gesetz geben wird. Es ist zu erwarten, dass beide Koalitionspartner den Streit zur Chefsache machen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerten sich grundsätzlich zustimmend. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte, es sei „eine nationale Gesetzgebung“ geplant. Die erwarteten Eckpunkte würden sowohl die Grundlage für ein deutsches Gesetz als auch für europäische Verhandlungen sein. Kramp-Karrenbauer sagte: „Niemand will als mündiger Verbraucher Kinderarbeit oder anderes unterstützen.“ Ein Lieferkettengesetz müsse aber praktikabel gestaltet sein und dürfe die deutsche Wirtschaft im europäischen Wettbewerb nicht benachteiligen.
Der Druck von Wirtschaftsverbänden auf das CDU-geführte Wirtschaftsministerium, eine Haftung von Unternehmen für Missstände in der ausländischen Produktion zu verhindern, bleibt jedoch groß. Wie Recherchen der Initiative Lieferkettengesetz dokumentieren, ist das Wirtschaftsministerium wiederholt auf Eingaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) sowie von Industrie-, Arbeitgeber- und Handwerksverbänden eingegangen, um die Regeln der Befragung zu verwässern oder das Verfahren hinauszuzögern. Zuletzt wird in einem Schreiben an Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus im Bundestag mit Untergangsszenarien gedroht, etwa dass „globale Lieferketten – wie wir sie heute kennen– nicht mehr möglich“ seien.
Unternehmensverbände warnen vor Überforderung
Unternehmensverbände bestreiten, dass ihre Mitglieder die einzelnen Produktionsschritte – etwa 150 bei einem Herrenhemd – lückenlos überwachen könnten. DIHK-Präsident Eric Schweitzer warnte, die Betriebe dürften nicht überfordert werden. Ein Gesetz könne dazu führen, dass in Entwicklungs- und Schwellenländern, die auf Investitionen aus Deutschland hofften, weniger bis gar nicht mehr investiert werde. Eine Reihe großer Unternehmen wie die Otto Group, die Bekleidungskette H&M oder der Modehändler Zalando befürworten jedoch klare Verantwortlichkeiten. Auch die Initiative Lieferkettengesetz unterstützen 60 Unternehmen.
Heil und Müller halten den Einwänden entgegen, soziale und ökologische Standards, die in Deutschland selbstverständlich seien, dürften im Ausland nicht länger unterlaufen werden. Ein Lieferkettengesetz werde dafür sorgen, dass Waren für den deutschen Markt nicht in Sklaven- und Kinderarbeit hergestellt werden, dass Unternehmen Rechts- und Handlungssicherheit haben und dass sie bei Verstößen zivilrechtlich haften. Wenn fundamentale Rechte verletzt würden und Firmen sich nicht darum kümmerten, hätten Geschädigte Anspruch auf Schadenersatz.
EU-Lieferketteninitiatve ist keine Ausrede
Heil machte zugleich deutlich, dass eine auf EU-Ebene angekündigte Lieferketteninitiative keine Ausrede biete, auf nationaler Ebene untätig zu bleiben. Deutschland als EU-Ratsvorsitzender müsse ein Beispiel setzen. „Wir werden von Unternehmen nichts verlangen, was unmöglich ist“, sagte Heil. Ein Gesetz würde für Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigte gelten, insgesamt etwa 7300 in Deutschland.
Was bislang von den Eckpunkten eines Gesetzes bekannt wurde, rief aber auch Kritik in der Opposition hervor. Sie seien zu weich, da sie unter anderem eine „zwingende Beweislastumkehr ignorieren“, sagte Uwe Kekeritz, Sprecher für Entwicklungspolitik der Grünen im Bundestag. Will heißen: Im Schadensfall muss der Geschädigte dem Unternehmen ein Versäumnis nachweisen. Außerdem greife das Gesetz kaum bei der Schädigung von Umwelt und Klima, was ebenso Menschenrechte verletzen könne.
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