Waldbrände am Amazonas in Brasilien füllten vor genau einem Jahr auch in Europa die Schlagzeilen. Von der sterbenden Lunge der Erde war die Rede und davon, dass man alles tun müsse, um denjenigen das Handwerk zu legen, die Brände legten, um großflächig Vieh- und Ackerland zu gewinnen. Dass Staatspräsident Jair Bolsonaro die Brandrodungen deckte, ja sogar förderte, machte die Sache umso empörender.
Ein Jahr später wird die Umweltkatastrophe am Amazonas viel weniger beachtet. Dabei hat sie sich sogar verschärft – nicht zuletzt als Folge der Corona-Pandemie, in deren Schatten sie weniger wahrgenommen und weniger bekämpft wird. Die brasilianische Regierung hat das Budget der Umweltbehörde Ibama und damit auch die Kontrollen im Regenwald drastisch zusammengekürzt. Entsprechend wurde von August 2019 bis Juni 2020 in Brasilien 34 Prozent mehr Regenwald gerodet als im Vorjahr, berichtet das Nationale Institut für Weltraumforschung Inpe mit Sitz in Sao Paulo, das seit Jahrzehnten die Abholzung des Regenwaldes per Satellit beobachtet.
Die EU spielt eine unrühmliche Rolle
Nun betonen eine wissenschaftliche Studie sowie ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, dass auch die Europäische Union (EU) in der Misere eine unrühmliche Rolle spielt. Laut der in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Science veröffentlichten Studie stammt ein Fünftel der brasilianischen Soja- und Rindfleischexporte in die EU von illegal entwaldetem Land. Und das, obwohl sich nach Erkenntnissen der Forschungsgruppe unter der Leitung von Raoni Rajãos von der Bundesuniversität von Minas Gerais rund 80 Prozent der Farmer an das brasilianische Waldgesetz halten und nicht illegal roden. Es sieht also so aus, als machten die EU-Staaten Geschäfte just mit denjenigen Plantagen- und Farmbesitzern, die sich selbst oder deren Zulieferer sich nicht an die Regeln halten. Ein Anliegen der Wissenschaftler war es, nicht den ganzen Agrarsektor der Entwaldung des Amazonasgebietes zu bezichtigen, sondern das Bild zu differenzieren – und dabei auch die Verantwortung der gesamten Lieferkette herauszustellen.
Der größte Fleischproduzent Brasiliens, die Aktiengesellschaft JBS, gehört zu denjenigen, die sich kaum um ihre Lieferketten scheren. Gleichzeitig ist er gut mit der EU im Geschäft. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Er belegt, dass regelmäßig Rinder, die auf illegal gerodeten Weideflächen gehalten wurden, zur Schlachtung und Verarbeitung an JBS verkauft werden. Der Konzern hat sich zwar 2009 verpflichtet, keine Rinder auf illegal abgeholztem Grund weiden zu lassen – seine Zulieferer aber überwacht er nicht.
Indigene werden bedroht und vertrieben
Die Folgen sind nicht nur für das Klima verheerend, sondern auch für die Indigenen, die im Amazonasgebiet leben. Wie der Bericht dokumentiert, werden viele von ihnen von Vertretern der Rinderlobby eingeschüchtert, bedroht und von ihrem Land vertrieben.
Selbst wenn in erster Linie JBS und die brasilianische Regierung für diese Missstände verantwortlich sind – auch die EU kann und muss ihr Teil dazu beitragen, das Amazonasgebiet und die Menschen, die dort leben, zu schützen. Das Freihandelsabkommen, das die EU-Kommission mit den Mercosur-Staaten ausgehandelt hat und das demnächst vom EU-Rat unter deutscher Präsidentschaft gebilligt und dann von den nationalen Parlamenten genehmigt werden soll, enthält keine verbindlichen Umwelt- oder Menschenrechtsstandards. Die braucht es aber, um den Regenwald und seine Bewohner, um die Menschenrechte und das Klima zu schützen. Sonst würden einmal mehr nur die großen Handelspartner von dem Zollabbau profitieren. Die Zerstörung von Lebensräumen trifft dagegen vor allem die Indigenen, die dort leben, und auch die weltweiten Folgen des Klimawandels würden so weitgehend sozialisiert.
Übrigens hat der EU-Ministerrat im Juni 2004 Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern verabschiedet, die sich für den Erhalt ihrer und unserer Umwelt einsetzen. Auch in Brasilien sind in den vergangenen Jahren Aktivisten in Umweltkonflikten und auch Menschenrechtsverteidiger wegen ihres Einsatzes kriminalisiert und getötet worden. Jetzt wäre also ein guter Zeitpunkt, auch dieser Zusage Taten folgen zu lassen und das EU-Mercosur-Abkommen nur zu verabschieden, wenn es auch dem Schutz von Mensch und Natur Rechnung trägt. Ganz im Sinne eines europäischen Lieferkettengesetzes zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht. Einen Gesetzentwurf dazu hat April EU-Justizkommissar Didier Reynders Ende April für das Jahr 2021 angekündigt. Auf dass er sich daran erinnert!
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