Schwester Clistanes Silva (im Bild rechts) lebt und arbeitet seit fünf Jahren auf einer Missionsstation im Amazonas. Das hat ihren Blick auf den Dschungel verändert.
Der Brasilianer Cleanton Curioso ist normalerweise nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Der gedrungene Mann mit dem grauen Vollbart trotzt Tropenstürmen ebenso wie Morddrohungen – und davon hat der Mitarbeiter des kirchlichen Indigena-Missionsrates CIMI in den 30 Jahren seiner Arbeit am Amazonas schon einige bekommen. Doch jetzt ist auch er besorgt. „Ich weiß nicht, wie wir die Invasion stoppen können. Die Justiz ist viel zu langsam und korrupt“, klagt er. Curioso ist zuständig für das Schutzgebiet des indigenen Volks der Parakanã: rund eine Million Hektar am Oberlauf des Xingú in Brasilien, eines Nebenflusses des Amazonas. 1200 Menschen leben dort, seit 2007 steht ihr Siedlungsgebiet unter gesetzlichem Schutz.
Perfekt war der allerdings nie. Immer wieder mussten die Indigenen sich wehren gegen Goldgräber, Holzfäller, Siedler und den Bau des Xingú-Staudammes, der letztlich doch durchgeboxt wurde vom linken Präsidenten Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Doch in ihrem Kampf hatten sie Verbündete auch außerhalb der Kirche: die staatliche Indigena-Behörde Funai, die Umweltbehörde Ibama, einige Staatsanwälte und Richter. Das hat sich geändert, seit Jair Bolsonaro regiert. Der evangelikale Rechtspopulist will den Amazonas urbar machen und die Indigenas entweder dem Kapitalismus zuführen oder in Minireservaten zusammenpferchen.
Das Militär, zusammen mit evangelikalen Pfingstkirchen die wichtigste Stütze Bolsonaros, sieht die Chance, die einst unter der brasilianischen Diktatur mit dem Bau der Transamazônica begonnene Erschließung Amazoniens zu vollenden. Damit soll untermauert werden, dass Brasilien die staatliche Souveränität über das Gebiet besitzt. Brasilianische und ausländische Bergbau-, Holz- und Agrarkonzerne hoffen auf neue Ressourcen.
Curioso und die CIMI stehen auf ziemlich verlorenem Posten gegen die geballte Macht dieser von Profitgier getriebenen Allianz. Die Alarmglocken läuten bereits jetzt, obwohl Bolsonaro erst ein Dreivierteljahr im Amt ist: Laut dem World Wildlife Fund (WWF) haben die Waldverluste am Amazonasgebiet, an dem Brasilien den größten Teil hat, dieses Jahr um 150 Prozent zugenommen.
Einsatz für die Schöpfung und indigene Völker
Vor diesem Hintergrund findet im Oktober im Vatikan die Amazonas-Synode statt. Als Papst Franziskus im Jahr 2017 diese Synode einberief, setzte er ein Zeichen. Sie gilt unter Fachleuten für die katholische Kirche als Fortsetzung seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato Si‘“. In ihr hat der erste lateinamerikanische Papst 2015 den Einsatz für die Schöpfung und indigene Völker zum Thema der Kirche gemacht und den Blick auf eine von ihr bis dahin wenig beachtete Weltgegend gerichtet: Wer in der Kirchenhierarchie aufsteigen wollte, ging nicht auf einen Posten im schwach besiedelten Regenwald. Hierher zog es vielmehr wagemutige Missionare; viele Bischöfe in der Region Amazonien stammen ursprünglich aus Europa.
In Amazonien wurden junge lateinamerikanische Priester einer Feuertaufe unterzogen oder „strafversetzt“, wenn sie linke, der Befreiungstheologie nahestehende Ansichten vertraten, die den konservativen Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. suspekt waren. Das Arrangement nutzte beiden Seiten: Die progressiven Geister blieben der Kirche erhalten, waren gleichzeitig aber weitab vom Schuss – in einer Art Labor, wo sie ihre neuen pastoralen Ideen ausprobieren durften. Während andere innerkirchlich Karriere machten, kämpften Kirchenleute wie der österreichische Bischof Erwin Kräutler, die 2005 ermordete Nonne Dorothy Stang oder der Spanier Luis Azcona, der die florierende Kinderprostitution am Amazonas anprangerte, an der medialen Front gegen kriminelle Netzwerke und Großprojekte.
Jesuiten begannen mit ihrem politischen Instinkt im Jahr 2010 als Erste, ein Panamazonisches Netzwerk aufzubauen, das seit 2015 seinen Sitz im kolumbianischen Leticia hat. Als im Jahr 2014 im ecuadorianischen Puyo dann das ordens- und länderübergreifende kirchliche Amazonas-Netzwerk Repam gegründet wurde, berief Franziskus den respektierten emeritierten Erzbischof aus São Paulo, Claudio Hummes, zu dessen Präsidenten.
Autorin
Sandra Weiss
ist Politologin und freie Journalistin in Mexiko-Stadt. Sie berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksender aus Lateinamerika.Die Vorbereitungen zur Synode lagen damit in Händen einer jüngeren Generation von Praktikern, die direkt mit den Problemen Amazoniens konfrontiert sind. Das ist entscheidend: Wer einmal länger die Urgewalten des Dschungels erlebt hat, verändert sich und seine Ansichten. Wie Clistanes Silva vom Orden der Töchter des Unbefleckten Herzens Maria: „Als ich dem Orden beigetreten bin, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal mit der Machete hantiere“, sagt die 50-Jährige aus dem Nordosten Brasiliens. Sie lebt seit fünf Jahren auf der Missionsstation São Paulo de Olivença im Bundesstaat Amazonas und legt nun mit indigenen Gemeinden Waldgärten an.
Machete statt Rosenkranzgebeten
In diesem abgelegenen Grenzgebiet, wo Peru, Kolumbien und Brasilien aneinanderstoßen und Drogenhandel, illegaler Goldabbau und Menschenhandel blühen, kam sie mit Rosenkranzgebeten nicht weiter. „Kleinbauern, Indigene und Fischer werden brutal überrannt“, hat sie festgestellt. Softdrinks, Satellitenfernsehen, Drogen, Plastiktüten, Brandrodung – all das hat den Regenwald in den vergangenen 50 Jahren im Sturm erobert und traditionelle Lebensweisen verdrängt. Vieles, was Siedler, Goldgräber und der Staat gebracht haben, ist Gift für den Regenwald, erweckt Begehrlichkeiten und schafft letztlich nur mehr Armut, Gewalt und Hunger – und schwächt die lokale Bevölkerung, sich für den Erhalt des Dschungels einzusetzen. Deshalb legt Schwester Clistanes jetzt mit Tikuna-Indigenen Agroforst-Parzellen an, um eine gesunde, vielseitige Ernährung im Einklang mit dem Wald zu gewährleisten.
Auch sie hat an Vorbereitungstreffen für die Synode teilgenommen. Aus dieser Nähe zur Basis und dem ökologischen Impetus der jungen „Amazonas-Clique“ von Repam sowie angesichts der Drohung von Bolsonaro ist ein Arbeitsdokument (Instrumentum Laboris) für die Synode entstanden, das gleich nach seiner Veröffentlichung im Juni für eine Menge Wirbel gesorgt hat. Da ist zum einen die klare Sprache, die an die Befreiungstheologie erinnert: Vom „brutalen Neokolonialismus“ und „politischer Perversion“ ist die Rede und von einer „Todeskultur“. Skizziert wird eine „integrale Ökologie“, die Naturschutz und ganzheitliche soziale und spirituelle Entwicklung verbindet – angelehnt an das „buen vivir“, die indigene Philosophie vom Guten Leben. „Das Dokument ist ein Kairos“, betont López, der Generalsekretär von Repam – also ein Schlüsselmoment, den man nicht ungenutzt verstreichen lassen darf.
Doch die katholische Kirche ist kein Schnellzug. In dem Dokument geht es neben Umweltschutz auch um Reformen des Klerus. Gerade was es an innerkirchlichen Reformen vorschlägt, ist für die konservative Kurie inakzeptabel – etwa die Weihe von verheirateten Priestern oder der Einsatz von Diakoninnen, die beide am Amazonas längst üblich sind. Selbst wenn all das auf Amazonien beschränkt bleiben soll und mit dem dortigen „pastoralen Notstand“ begründet wird, sehen konservative Bischöfe wie der Deutsche Walter Brandmüller darin einen Angriff auf den Zölibat und die Substanz des Katholizismus. Es gehe nicht um Amazonien, sondern um einen von Papst Franziskus gewollten radikalen Umbau der Kirche, kritisierte Brandmüller in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Die Jesuiten hielten sofort dagegen: Die Argumentation Brandmüllers sei keine „Verteidigung von Tradition“, sondern eine „Destruktion von Dialog“, sagte der Jesuit und Vatikanexperte Pater Bernd Hagenkord in einem Interview mit dem Onlinedienst „katholisch.de“. „Bei der Amazonas-Synode geht es um Umweltschutz, den Respekt vor anderen Kulturen und pastorale Herausforderungen. Wenn die Antwort darauf die ist, dass wir um den Zölibat kämpfen müssen – sei es dafür oder dagegen –, dann bin ich ziemlich deprimiert“, so Hagenkord.
Schwarze, Fischer und Kleinbauern bleiben außen vor
Unbequemere, weil besser fundierte Kritik kommt direkt aus dem Amazonas. Der emeritierte Amazonasbischof Azcona beispielsweise sieht „der Synode mit Sorge entgegen, denn im Arbeitspapier schlägt sich ein Einheitsdenken des Repam-Netzwerkes nieder“. Laut Azcona ist es einseitig auf Indigene und Ökologie fokussiert. Es blende Schwarze, Fischer und Kleinbauern ebenso aus wie Sicherheitsfragen, etwa den Menschenhandel, oder die Tatsache, dass die Mehrzahl der Amazonasbewohner längst evangelikalen Kirchen angehört. Deshalb steht ihm zufolge auch die brasilianische Bischofskonferenz längst nicht geschlossen hinter dem Dokument.
Sollte die Synode an innerkirchlichem Zwist scheitern, wäre dies Wasser auf Bolsonaros Mühlen. Schon im Vorfeld zeigt sich sein Sicherheitsberater General Augusto Heleno besorgt. Die Synode sei vom progressiven Klerus unterwandert und treibe eine linke Agenda voran, sagte er nach Amtsantritt auf die Frage eines Journalisten. Das brasilianische Militär soll immer wieder versucht haben, sich in die Vorbereitungstreffen einzuschleusen, heißt es aus dem Sekretariat der brasilianischen Bischofskonferenz.
Mit Lateinamerika vertraute Geistliche wie der Geschäftsführer des Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel, der in Brasilien gelebt und gearbeitet hat, bemühen sich, die Wogen zu glätten. In Amazonien gebe es andere Aufgaben und Probleme und eine andere Kirchengeschichte als in Deutschland, sagte er im Domradio. „Insofern denke ich, dass man unsere Fragen nicht einfach übertragen kann. Damit instrumentalisiert man die Synode letztendlich auch ein Stück weit für unsere Belange.“
Der Amazonas-Bischof Erwin Kräutler setzt derweil vor allem auf den Papst: „Er ist ganz auf unserer Linie“, sagte Kräutler in einem Interview mit „Vatican news“. „Er will eine Kirche, die bis zu den äußersten Peripherien geht, und zwar nicht nur zu den geografischen, sondern den existenziellen.“
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