Afrikanische Regierungen sperren immer wieder - angeblich aus Angst vor Protesten oder vor Verbreitung von Hass und Fake News - das Internet. Doch die Bevölkerung kann die Sperren umgehen.
Kurz nach 23 Uhr in der Nacht des 22. Juni 2019 ging Äthiopien offline. Das Land am Horn von Afrika griff nicht zum ersten Mal zu dieser Maßnahme. Da es nur einen einzigen, staatlich kontrollierten Provider gibt, hatten es die Behörden leicht, den Internetzugang zu kappen. Sie haben das in den vergangenen Jahren immer wieder getan, wenn es zu Protesten gegen die Regierung kam oder der Notstand ausgerufen wurde. Im Juni war der Grund ein Putschversuch im nordwestlichen Bundesstaat Amhara. Nach einem Jahr hoffnungsvoller politischer, wirtschaftlicher und diplomatischer Fortschritte drohte der blutige Umsturzversuch den demokratischen Wandel in Äthiopien zum Erliegen zu bringen.
Die Abschaltung Ende Juni beeinträchtigte User und Unternehmen, schürte Unzufriedenheit mit der reformorientierten Staatsführung von Premierminister Abiy Ahmed und machte es Journalisten schwer, Informationen zu überprüfen. Aber sie warf auch erneut eine Frage auf, die sich Akademiker und Aktivisten zunehmend stellen: Warum beschränken Regierungen eigentlich den Internetzugang? Sind sie dazu überhaupt berechtigt? Und haben sie Erfolg damit?
Der erste bekannte digitale Blackout im Afrika südlich der Sahara ereignete sich im Jahr 2007, als der damalige Präsident Guineas, Lansana Conté, in Reaktion auf Rücktrittsforderungen das Internet abschaltete. Seitdem haben schätzungsweise 26 der 54 afrikanischen Staaten Netzwerkunterbrechungen angeordnet. Besonders häufig griffen sie während der Protestwelle des Arabischen Frühlings 2011 zu diesem Mittel, um soziale Unruhen und Massenkundgebungen einzudämmen.
Auch das Internet kann Gewalt anheizen
Aktivisten sagen, dass die Abschaltungen zusammen mit einer schärferen Regulierung des Online-Austauschs und der sozialen Medien den freien Zugang zum Internet aushebeln und die Entwicklung offener, pluralistischer und demokratischer Gesellschaften behindern. Demnach spielt die digitale Kommunikation eine wichtige Rolle bei Protesten gegen Regierungen und bei Bemühungen, die Lebensverhältnisse zu verbessern.
Andere hingegen warnen, dass auch das Internet Gewalt anheizen kann. Sie werfen den sozialen Medien vor, Gerüchte zu verbreiten, Angst zu schüren und Menschen zur Brutalität anzustacheln – so wie das über das Radio während des Völkermords 1994 in Ruanda oder über SMS-Nachrichten während der gewaltsamen Auseinandersetzungen nach den Wahlen im Jahr 2007 in Kenia getan wurde. In Kenntnis dieser Geschichte und angesichts der Unmöglichkeit, die Online-Aktivitäten der Menschen zu kontrollieren, haben Regierungen in ganz Afrika wiederholt den Internetzugang eingeschränkt und das mit der Aufrechterhaltung der Ordnung begründet.
So wies die Kommunikationsbehörde Ugandas im Jahr 2016 während der Wahlen, die von gewaltsamen Protesten und der Verhaftung von Oppositionskandidaten begleitet waren, die Internetprovider an, den Zugang zu sperren. Anfang 2018 blockierte Tschads Präsident Idriss Déby aus „Sicherheitsgründen“ die sozialen Medien für über ein Jahr, obwohl nicht einmal sieben Prozent der 15 Millionen Einwohner Zugang zum Internet hat.
Internetblockaden gibt es oft während der Wahlen
Auch die Behörden der Demokratischen Republik Kongo haben nach einer Präsidentschaftswahl Internetbeschränkungen verfügt. Sie wollten damit verhindern, dass gefälschte Resultate in Umlauf gebracht werden und womöglich „Chaos“ und einen „Volksaufstand“ auslösen. Und während der Bürgerproteste im Januar vor einem Jahr zog Simbabwe den Internetstecker. Gleichzeitig verhafteten die Behörden Oppositionsführer, die sie für Unruhen verantwortlich machten. In Kenia beließ es die Regierung 2017 bei der Drohung, den Internetzugang einzuschränken, falls die Lage „außer Kontrolle“ gerate.
Autor
Abdi Latif Dahir
ist Ostafrika-Korrespondent der „New York Times“. Zuvor arbeitete er für Quartz Africa. Dort ist der Artikel auch zuerst erschienen.Beobachter merken jedoch an, dass solche Blockaden ein stumpfes Werkzeug sind, wenn man bedenkt, mit welcher Geschwindigkeit sich Gerüchte und Desinformationen auch offline verbreiten. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Blockaden keine präzise, zielgenaue Maßnahme sind, Hetzreden zu unterbinden. Sie sind eher das digitale Äquivalent dazu, ein Problem mit dem Vorschlaghammer lösen zu wollen“, meint Jan Rydzak, der die Dynamik von Internetabschaltungen am Global Digital Policy Incubator der Stanford University untersucht.
Aktivististen greifen auf traditionelle Strategien zurück
Forscher haben gezeigt, dass sich Demonstranten in Ägypten ebenso wie gewalttätige aufständische Gruppen in Nigeria an das Informationsvakuum infolge einer Internetblockade anzupassen vermochten, indem sie auf traditionellere Strategien zurückgriffen. Für den Sudan haben neue, noch unveröffentlichte Forschungsergebnisse ergeben, dass Beschränkungen der sozialen Medien friedliche Proteste nicht verhindern konnten, sondern es gerade während der Internetblockaden während des Jahreswechsels 2018/2019 mit zu den größten Demonstrationen im Land kam.
Über den Einzelfall hinaus jedoch können Internetblockaden „weitreichende Folgen haben“, sagt Juliet Nanfuka vom Forschungszentrum Collaboration on International ICT Policy in East and Southern Africa. Sie verweigern den Bürgern Grundrechte, schließen sie von Dienstleistungen im Gesundheits- und Bildungswesen aus und beschneiden wirtschaftliche Möglichkeiten.
Laut Rydzak haben Abschaltungen auch einen „allgemein abschreckenden Effekt“ auf die freie Meinungsäußerung und verstärken düstere Annahmen über soziale Medien. „Blackouts können die Wahrnehmung des Internets insgesamt oder einzelner sozialer Medien verändern und den Menschen den Eindruck vermitteln, dass sie unsicher sind.“ Die Folge könne sein, dass die Nutzung der Technik in schlecht vernetzten Gegenden gar nicht mehr angestrebt wird.
Internetsperren werden juristisch angefochten
Zunehmend verweisen staatliche Behörden auf die Verbreitung sogenannter Fake News, wenn sie Blockaden des Internets bei Katastrophen, Terroranschlägen und sozialen Unruhen begründen. Besser wäre es jedoch, wenn die Regierungen sich um Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Medien bemühten, „um zu helfen, Desinformationen aufzudecken und mit Information zu kontern“, sagt Julie Posetti, Leiterin des Journalism Innovation Project an der University of Oxford. Die Regulierungsbehörden könnten auch direkt mit den Plattformen zusammenarbeiten. Facebook etwa wolle 100 Mitarbeiter einstellen, um als bedenklich gemeldete Inhalte in Sprachen wie Somali, Oromo, Suaheli und Hausa zu überprüfen, sagt der Leiter der Facebook-Abteilung Öffentlichkeitsarbeit in Afrika, Kojo Boakye.
Aber da sich die Verwendung von Internetsperren in ganz Afrika ausbreitet, werden viel mehr Nutzer auf sogenannte virtuelle private Netzwerke (VPN) zurückgreifen, um die Zensur zu umgehen, sagt Berhan Taye, die bei Access Now eine globale Kampagne leitet, um Internetsperren zu stoppen. Zudem werden staatlich angeordnete Internetsperren zunehmend juristisch angefochten, manchmal mit Erfolg wie in Uganda, Sudan, Simbabwe, Kamerun und der Demokratischen Republik Kongo. Auf Dauer, sagt Berhan, „wird sich die Holzhammermethode, das Internet einfach abzuschalten, nicht halten lassen“.
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.
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