Der Blues der Feministinnen

Odile Jolys

Macht Vergewaltigung zur Straftat, fordern Demonstrantinnen in Dakar im Mai 2019.

Senegal
Im Senegal haben sich Frauen in den vergangenen Jahren mehr Rechte erstritten. Doch jetzt drohen um ihre Macht besorgte Männer und ein konservativer Islam manche Fortschritte zunichtezumachen.

Aida Sopi Niang ist erschöpft: „Ich spiele zurzeit mit der Idee aufzugeben“, sagt die junge Frau resigniert. Die 31-Jährige lebt im westafrikanischen Senegal, einem überwiegend muslimischen Land. Sie ist seit 15 Jahren Mitglied einer linken politischen Partei. Sie hat einen Verein gegründet, der jungen Frauen hilft, in politische Führungspositionen zu kommen, sie ist gewählte Gemeinderätin in einem Viertel der Hauptstadt Dakar und Vorsitzende einer Jugendorganisation. Sie bezeichnet sich selbst als Feministin – und sie fühlt sich weitgehend allein.

„Ich wurde mehrmals geschlagen“, erzählt sie. „Einmal sogar krankenhausreif.“ Die Täter kamen aus der Partei, der sie angehört, und anderen Jugendorganisationen. „Für manche ist es unerträglich, dass ihnen eine junge Frau die Stirn bietet“, sagt sie. „Dass eine Frau eine Organisation anführt, in der ihr auch Männer unterstellt sind, bleibt eine Seltenheit im Senegal. Frauen erwartet man an der Spitze von Frauengruppen.“

Mariama Dème war immerhin Kandidatin bei den Parlamentswahlen Ende Juli 2017. Außerdem hat sie eine nichtstaatliche Organisation für Frauen gegründet. „Politik ist längst nicht so gefährlich wie das Eintreten für Frauenrechte“, meint sie. Ihre Tochter entging nur knapp einer Entführung. Das sei aus Vergeltung geschehen, glaubt Dème. Denn sie hatte zuvor einem Mädchen geholfen, sich zu verstecken, um einer Zwangsheirat zu entgehen. Die Familie des Mädchens versuchte daraufhin, Dèmes Tochter zu entführen. Und eines Morgens entdeckte Dème eine Schlange vor ihrer Haustür, die jemand dort hingelegt hatte, erzählt die 46-Jährige und bricht in Tränen aus. Sie ist sicher, dass diese Tat mit ihrem Engagement für Frauen zusammenhängt. Es hilft ihr, sagt sie, dass sie verheiratet ist, obwohl ihr Mann in New York lebt.

Aida Sopi Niang ist dagegen alleinstehend – und das ist ein Problem: „Solange eine Frau nicht verheiratet ist, wird sie als nicht ganz vollwertig angesehen.“ Sie ist Angestellte in der Stadtverwaltung Dakars, wohnt aber noch bei ihren Eltern, weil die Mieten in Dakar für Singles zu teuer sind. „Viele meiner Treffen als Aktivistin finden spät abends statt, jemand fährt mich dann nach Hause. Doch das ist nicht gut für meinen Ruf. Das Engagement kostet sehr viel Kraft“, berichtet sie.

Dennoch verbessert sich die Lage der Frauen im Senegal stetig. Vor allem in der Politik geht es seit der Verabschiedung des Gleichstellungsgesetzes im Jahr 2010 voran. Im Parlament sitzen nun knapp über 40 Prozent Frauen. Bei den Einschulungsraten in der Grundschule haben die Mädchen sogar die Jungs überholt, wobei Mädchen öfter die Schule vorzeitig abbrechen. Die Müttersterblichkeit ist gesunken. 2017 starben laut Ministeriumsangaben bei 100.000 Geburten 236 Mütter. Im Vergleich zu den anderen Ländern Westafrikas, wo 2015 im Durchschnitt 564 Mütter bei 100.000 Geburten starben, steht Senegal gut da, dennoch sind die Zahlen noch zu hoch.

Frauen ziehen von zu Hause weg

Berufstätige Frauen sind keine Seltenheit mehr. „Die Frauen werden autonomer, sie sind nicht mehr nur zu Hause, wo die Traditionalisten sie gerne haben wollen. Das zeigt sich auch in der Migration. Frauen ziehen von zu Hause weg, und zwar aus den gleichen Gründen wie die Männer“, berichtet die Soziologin Rosalie Diop, die an der Universität Dakar forscht.

Autorin

Odile Jolys

ist freie Journalistin in Dakar, Senegal, und berichtet aus Westafrika, unter anderem für den Evangelischen Pressedienst und „Neues Deutschland“.
Senegal hat eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die die Frauen schützen sollen, etwa das Verbot der Genitalverstümmelung und der Kinderheirat. Das Familiengesetzbuch gibt den Frauen das Recht auf Scheidung. Außerdem werden die Ehepartner auf dem Standesamt gefragt, ob sie eine monogame oder polygame Ehe schließen wollen. Die Frau kann zwischen dem muslimischen und dem staatlichen Erbrecht wählen, das eine Gleichberechtigung vorsieht. „Alles muss aber im Alltag noch durchgesetzt werden“, sagt die Feministin Fatou Sow. „Die Frauen haben Rechte bekommen, aber die Gesetze werden nicht eingehalten“, beklagt die pensionierte Professorin. Die Arbeit der zahlreichen Frauenvereine sei wichtig, weil viele Frauen ihre neuen Rechte noch nicht kennen.

Eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts bleibt im Senegal trotz Reformen ein Tabu. Die Regierung traut sich nicht einmal, einen Gesetzentwurf ins Parlament zu bringen, der eine Abtreibung im Falle von Inzest oder Vergewaltigung erlauben würde. Und im Gesetzbuch steht, dass der Mann als Familienoberhaupt gilt. „So steht es im Koran. Daran wird festgehalten. In der Praxis bedeutet das, dass im Parlament die Frauen gleichberechtigt sind, nicht aber im eigenen Bett!“, sagt Fatou Sow.

Aida Sopi Niang, die überall unterwegs ist, sowohl auf dem Land als auch in den Problemvierteln Dakars und in Fernsehshows, beklagt einen neuen religiösen Konservatismus im Land. Das macht ihr Angst: „Heute gibt es auf dem Unicampus viele religiöse Vereine, die großen Einfluss auf die Studenten ausüben. Früher war das anders. Aber darüber wird kaum gesprochen. Die religiösen Bewegungen breiten sich in den armen Vierteln aus. Sie sind aktiv und geben den Menschen Halt.“ Fatou Sow ist der gleichen Meinung. Sie gehört der ersten Generation der Feministinnen Senegals nach der Unabhängigkeit an. Als sie 1960, im Jahr der Unabhängigkeit, an der Uni Dakar im Hörsaal saß, war sie eine von gerade mal zwei Afrikanerinnen.

Mehr Rechte – aber die öffentliche Meinung ist konservativer geworden

Die Entwicklung der Gleichberechtigung im Senegal ist widersprüchlich: Auf der einen Seite nehmen Frauen mehr Platz in Politik und Wirtschaft ein, sie haben zumindest auf dem Papier mehr Rechte. Aber die öffentliche Meinung, vor allem in den Medien, ist konservativer geworden. „Das Land ist in den letzten 20 Jahren politisch nach rechts gegangen“, sagt Fatou Sow. „Die Medien werden von den Religiösen förmlich überschwemmt. Bei öffentlichen Kundgebungen wird heute immer öfter am Anfang gebetet. Das gab es früher nicht.“

Auch Fatou Sow ist manchmal entmutigt: „Wir machen Sensibilisierungskampagnen für Frauenrechte und dann folgen die Leute religiösen Programmen in Radio und Fernsehen, die Fragen stellen wie: Wie kann ich eine gute Ehefrau und Mutter sein? Was sagt der Koran? Und dann wird behauptet, die Ehefrau soll gehorsam sein, das sexuelle Bedürfnis ihres Ehemannes erfüllen, die Stimme nicht gegen den Mann erheben und seine Autorität nicht infrage stellen.“ Für sie sind solche Betrachtungen nach jahrzehntelangen Diskussionen und erkämpften Rechten unerträglich.

Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern seien rauer geworden, meint die Soziologin Rosalie Diop. „Die Frauen treffen jetzt selbst Entscheidungen. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Männer sich wehren.“ Und die Frauen? Sie leben in vielen Fällen zwischen alten und neuen Rollen. „Es gibt viele autonome, studierte und gutverdienende Frauen, die als zweite oder dritte Frau in polygamer Ehe leben. Sie erzählen, dass sie damit mehr Zeit für sich haben – denn der Mann ist ein paar Tage in der Woche bei seinen anderen Frauen.“ Rosalie Diop fragt sich allerdings, was das bedeutet. Ist es für Frauen im Senegal noch zu schwierig, statt in einer polygamen Ehe wirklich alleinstehend zu sein? Eine Antwort darauf hat sie nicht.

Die junge Aktivistin Sopi Niang beklagt diesen Zustand: „Die ältere Generation von Frauen hat gekämpft. Heute haben die Jüngeren das Feld verlassen. Sie katzbuckeln, um nicht stigmatisiert und marginalisiert zu werden. Sie sind, was die Frauenrechte betrifft, Anhängerinnen des ,Ja, aber‘.“ Für die 31-Jährige sind insbesondere die erfolgreichen Frauen an dieser zögerlichen Haltung schuld: „Sie sprechen über ihre Karriere, über die Frauenrechte und zum Schluss sagen sie, dass sie auch gute Ehefrauen und gute Mütter sind. Sie vermitteln die traditionellen Rollen weiter.“

Import von Ideen aus dem Westen?

Damals wie heute sind Feministinnen oder Frauenrechtlerinnen dem Verdacht ausgesetzt, nur Ideen aus dem Westen zu importierten. Fatou Sow erinnert sich: „Es war schwierig, sich in den 1980er Jahren gegen kulturelle Praktiken wie Frauenbeschneidung und Polygamie zu wenden, weil dann sofort der Vorwurf kam, entfremdet zu sein. Man muss bedenken, dass die Entkolonialisierung noch nicht lange her war.“ Die eigene Kultur zu kritisieren, galt als Verrat. Heute begegnet Aida Sopi Niang den gleichen Vorwürfen, wenn sie bei öffentlichen Kundgebungen etwa über das Thema Gleichberechtigung das Wort ergreift: „Es ist aber grundfalsch. Wir hatten in unserer Geschichte mächtige Königinnen! Unsere Gesellschaft ist nicht patriarchalisch wie die der Araber und des Westens.“ Ihre Argumentation stützt sich auf heute weitverbreitete Meinungen unter Feministinnen im Senegal.

Fatou Sow Sarr, Gründerin und Leiterin des Genderinstituts der Universität Dakar, gilt als die einflussreichste Feministin des Landes. In einem langen Interview im senegalesischen Fernsehsender 2STV verteidigt die Professorin – die nicht verwandt ist mit ihrer Namensvetterin Fatou Sow – ihren afrikanischen Standpunkt: „Gender ist für unsere Gesellschaft ein Mittel, um Entwicklungsprobleme zu lösen. In Europa sprechen sie über sexuelle Orientierung. Das ist für uns irrelevant.“

Sarr meint, dass das Patriarchat erst durch die Kolonialisierung Einzug gehalten hat. Fatou Sow, die emeritierte Professorin, sieht das etwas anders. Mächtige Frauen könnten als Vorbilder dienen, doch Westafrikas Gesellschaften seien auch vor der Kolonialisierung nicht matriarchalisch gewesen, sagt sie. Die Frauen hatten zwar die Macht, Könige zu gebären, und ein Mann konnte auch nur König werden, wenn seine Mutter königlicher Abstammung war. Aber das bedeutete nicht, dass die Frauen tatsächlich politische Macht hatten.

Für Sow ist das Bedürfnis, auf die alten Werte zurückzugreifen, ein Ausdruck dafür, wie schwer sich die senegalesische Gesellschaft weiter tut, sich vom Entfremdungsvorwurf zu lösen. Sow hat für sich die Frage geklärt. Feministin sei sie durch den Kontakt mit der Welt jenseits des Senegal geworden. Vor allem die Begegnungen mit Feministinnen aus Lateinamerika und Asien haben ihr gezeigt, sagt sie, dass der Feminismus keine rein westliche Angelegenheit ist.

Der jungen Aktivistin Aida Sopi Niang geht es vor allem um die Praxis. Der Hinweis auf starke Frauenfiguren, etwa Königinnen, in der Geschichte hilft ihr genauso wie die neuen Frauenstimmen in den sozialen Netzwerken: Sie geben ihr das Gefühl, nicht allein zu sein. Aber es löst nicht alle Probleme. Mit ihrem Verein wollte sie die Kandidatur junger Frauen bei den Gemeindewahlen im Dezember unterstützen. Aber es klappt nicht – zu wenig Geld, zu wenig Unterstützung der etablierten Parteien, zu wenig Netzwerke. Das gleiche Problem begegnete Frauen bei der Zulassung zur Präsidentschaftswahl im Februar dieses Jahres. Trotz Gleichstellungsgesetz schaffte es keine Frau, alle Hürden zu nehmen, um Kandidatin zu werden.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2019: Ab in die Steueroase
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