Der Schiedsrichter wird entmachtet

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Die Welthandelsorganisation (WTO) verliert als Hüter der globalen Handelsregeln an Bedeutung. Die Ansichten, wie man sie retten kann, gehen auseinander.

Die WTO galt lange als besonders starke multilaterale Organisation. Denn sie hat ein Schiedsgremium, das über Verstöße gegen Handelsregeln urteilen und geschädigten Staaten Gegenmaßnahmen erlauben kann. Doch die USA, die diese Regeln wesentlich mitgestaltet haben, scheren sich unter Donald Trump kaum noch darum. Der US-Präsident will mittels einseitigen Zöllen oder der Drohung damit nicht nur Importe aus China und Europa verringern und US-Exporte fördern. Er hat damit zuletzt auch Mexiko gezwungen, seine Migrationspolitik zu ändern. Die US-Regierung blockiert zudem die Ernennung neuer Mitglieder für das WTO-Schiedsgremium und droht, dieses so zu lähmen.

Doch der Niedergang der WTO hat lange vor Donald Trumps Amtsantritt begonnen. 2001 haben die WTO-Mitglieder in Doha verkündet, sie würden die Welthandelsregeln fortentwickeln und dabei Anliegen der Entwicklungsländer berücksichtigen. Die Verhandlungen darüber sind immer wieder gescheitert und seit 2015 praktisch tot.

Entwicklungsländer fordern vergebens, dass sie die eigene Landwirtschaft schützen dürfen und Industrieländer ihre hohen Agrarsubventionen abbauen. Dagegen wollen Industrieländer neue Bereiche regeln wie Investitionsschutz, die Vergabe öffentlicher Aufträge, den Onlinehandel und den freien Datentransfer, der für Plattformunternehmen wie Google entscheidend ist. Weil sie das in der WTO nicht durchsetzen können, schließen sie Freihandelsabkommen zwischen einzelnen Staaten oder Regionen – die Europäische Union etwa 2015 mit Vietnam, 2016 mit Kanada und 2018 mit Japan.

Interessensgegensätze lähmen die WTO

Über die Ursachen für die Krise und die nötigen Gegenschritte gehen die Ansichten auseinander. Die in Edinburgh lehrende Politologin Kristen Hopewell führt die Blockade vor allem auf den Aufstieg großer Schwellenländer zurück. Vor Gründung der WTO 1995 waren die Welthandelsregeln in erster Linie Vereinbarungen der den Welthandel dominierenden Industrieländer untereinander. Seitdem ist aber der Anteil von Ländern wie China, Indien und Brasilien am Welthandel stark gestiegen und früher kommunistische Länder sind der WTO beigetreten, darunter China im Jahr 2001. Interessengegensätze zwischen starken Ländern mit unterschiedlichem Entwicklungsstand werden jetzt in der WTO ausgetragen und lähmen sie, so Hopewell.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".
Eine andere Ursache stellen „aufgeklärte Freihändler“ ins Zentrum, zum Beispiel Edward Alden von der US-amerikanischen Denkfabrik Council on Fo­reign Relations. Die Welle der Globalisierung seit 1990 habe zwar alle beteiligten Länder reicher gemacht – auch im Norden, obwohl der Süden mehr gewonnen habe. Aber gerade im Norden hätten Kapitaleigentümer besonders profitiert auf Kosten von Arbeitskräften, deren Jobs in den Süden verlagert worden sind. Schuld daran sei innenpolitisches Versagen: Die Regierungen hätten für eine faire Verteilung der Gewinne aus dem Handel sorgen müssen. Dass sie dies endlich tun, ist für Alden entscheidend, um das multilaterale Handelsregime zu retten. Es müsse aber auch den neuen Wirtschaftsverhältnissen angepasst werden – etwa mit Regeln für den elektronischen Handel, für die Einschränkung des Steuerwettbewerbs und gegen Indus­triesubventionen. Diese nutzt laut Alden vor allem China exzessiv.

Globale Regeln begünstigten große Konzerne

Anders sieht das die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Dass die Ungleichheit steigt und Gegner des Freihandels erstarken, liegt laut ihrem Trade and Development Report 2018 nicht bloß an falscher Sozialpolitik, sondern an der Globalisierung selbst, besonders der Finanzmärkte. Globale Regeln begünstigten große Konzerne, die einen wachsenden Teil des produzierten Werts abschöpften, unter anderem mit Patentrechten und Monopolen. Ihre enorme Macht erschwere es Firmen aus dem Süden, in technisch fortgeschrittene Produktionsstufen vorzudringen, wo die meiste Wertschöpfung stattfindet – außer der Staat unterstützt sie energisch, wie China es tut. Im Ergebnis, schreibt die indische Ökonomin Jayati Ghosh, sind viele Entwicklungsländer nicht Gewinner der Globalisierung, sondern auf Tätigkeiten festgelegt, die wenig Ertrag bringen und kaum den Erwerb von modernster Technik fördern.

Auch Ghosh und die UNCTAD halten nichts davon, mit Zöllen den Handel einzuschränken. Aber sie fordern ganz andere Reformen der globalen Regeln als Freihändler: solche, die Konzernen Grenzen setzen und den Spielraum für staatliche Wirtschaftspolitik vergrößern. Laut UNCTAD muss es zum Beispiel möglich sein, einheimische Unternehmen zu fördern und Plattform-konzerne aufzuspalten oder so zu regulieren wie Wasser- und Stromversorger.

Noch weiter geht Walden Bello, ein alter Kritiker der WTO aus den Philippinen. Er fordert angesichts der ökologischen Grenzen ein Ende des Wachstums im Norden, eine Regionalisierung des Handels und eine spürbare Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Mit ein paar Reformen der Sozialpolitik und der Handelsregeln könne man die kapitalistische Ordnung nicht mehr vor Finanzkrisen und vor Rechtspopulisten à la Trump retten. Die, so Bello, nehmen die Idee einer De-Globalisierung für ihr chauvinistisches Projekt in Dienst, die eigene Nation auf Kosten anderer Länder zu stärken und Zuwanderer und Minderheiten von den Früchten auszuschließen. Die Frage sei heute, ob sich diese Variante der De-Globalisierung durchsetze oder eine linke, sozialdemokratisc

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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