Herr Tygel, am Freitag lädt Bayer zur Jahreshauptversammlung in Bonn. Sie reisen aus Brasilien an, um als Vertreter der brasilianischen Kampagne gegen Agrargifte zu den Aktionären zu sprechen. Was wollen Sie den Anlegern mit auf den Weg geben?
Bayer verkauft heutzutage insgesamt 110 verschiedene Pestizide in Brasilien. Darin sind zwölf Wirkstoffe enthalten, die in der Europäischen Union (EU) verboten sind. Es ist unverantwortlich, dass Ackergifte, die in der EU verboten sind, in Brasilien weiter versprüht werden. Unsere Körper unterscheiden sich nicht von denen in Europa.
Brasilien zählt weltweit zu den Spitzenreitern beim jährlichen Pestizidverbrauch. Warum ist das so?
Die Landwirtschaft in Brasilien beruht auf dem Anbau von Monokulturen, insbesondere von Soja, Mais, Baumwolle und Zuckerrohr – und diese Monokulturen brauchen viele Pestizide. Der Großteil der Ernte wird in die EU, nach Asien oder auf die arabische Halbinsel exportiert. Dazu kommt, dass seit Anfang der 2000er Jahre viel genmodifiziertes Saatgut verkauft wird, das nicht stirbt, wenn man es beispielsweise großflächig mit Glyphosat spritzt. Die industrielle Landwirtschaft in Brasilien ist total abhängig von Pestiziden.
Wie kommen die Ackergifte auf die Plantagen?
Ein großes Problem ist, dass die Pestizide in Brasilien oft aus Flugzeugen auf die riesigen Plantagen gespritzt werden. Die Agrarindustrie sagt immer, das sei bei richtiger Anwendung kein Problem. Aber das stimmt nicht: Man kann den Wind nicht kontrollieren; ein Großteil des Ackergifts bleibt in der Luft, landet im Wasser oder in Dörfern neben den Plantagen. Das Spritzen aus Flugzeugen ist in der EU nicht ohne Grund bis auf wenige Ausnahmen schon verboten. Es gibt auch immer wieder Berichte, dass Plantagenbesitzer Pestizide einsetzen, um Indigene und Landlose von ihren Grundstücken zu vertreiben.
Was sind die gesundheitlichen Folgen?
Viele Anwohner rund um Plantagen klagen über Kopfschmerzen und Atemprobleme. Dazu kommen die chronischen Folgen: Wir wissen, dass Pestizide das Krebsrisiko erhöhen oder zu Missbildungen und vielen anderen gesundheitlichen Problemen führen können.
Wer entscheidet in Brasilien über die Zulassung von Pestiziden?
Ein neues Pestizid muss heutzutage beim Gesundheitsministerium, beim Umweltministerium und beim Landwirtschaftsministerium registriert werden. Der Verband der Pestizidindustrie Sindiveg hat in allen drei Ministerien Vertreter, die darum kämpfen ihre Ackergifte durchzukriegen. Grundsätzlich haben Agrarindustrie und Plantagenbesitzer in Brasilien einen großen Einfluss auf die Politik. Seit der Amtsübernahme von Präsident Jair Bolsonaro Anfang des Jahres wurde ihre Position nochmal gestärkt. Die neue Regierung will unter anderem, dass in Zukunft nur noch das Landwirtschaftsministerium über neue Zulassungen entscheidet.
Im August 2018 hatte ein brasilianisches Gericht entschieden, die Anwendung von Glyphosat bis zu einer Prüfung zu stoppen. Die Regierung erhob dagegen Einspruch und ein anderes Gericht hob die Entscheidung wieder auf. Wie bewerten Sie dieses Hin und Her?
Wir fordern schon lange, dass der Einsatz von Glyphosat verboten wird, und manchmal gewinnen wir auch Kämpfe in der Justiz. An dem Beispiel sieht man aber, dass es auch Richter gibt, die auf der Seite der Agrarindustrie stehen.
Macht sich die Präsidentschaft von Bolsonaro bereits im Pestizidgeschäft bemerkbar?
Bolsonaro hat der Agrarindustrie und den Plantagenbesitzern unter anderem versprochen, dass er noch mehr Pestizide zulassen wird; in den ersten 100 Tagen nach seinem Amtsantritt waren es bereits 152 neue Pestizide. Die Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina ist eng mit der Pestizidindustrie verbunden und hat bereits als Abgeordnete versucht, Gesetze einzubringen, durch die neue Ackergifte leichter zugelassen werden können.
Welche Rolle spielt Bayer im brasilianischen Pestizidmarkt?
Gemeinsam mit anderen Unternehmen wie Syngenta oder BASF zählt Bayer seit Jahren zu den größten Verkäufern von Pestiziden in Brasilien – im Jahr 2017 war Bayer der drittgrößte Pestizid-Verkäufer in Brasilien. Allerdings ist es schwierig, an genaue Zahlen zu der verkauften Menge oder den Umsätzen in Brasilien zu kommen.
Vor knapp einem Jahr hat Bayer den US-Amerikanischen Chemiekonzern Monsanto übernommen. Hat das die Position von Bayer in Brasilien gestärkt?
Durch die Übernahme werden die Kräfte von Bayer und Monsanto gebündelt. Vorher hatten wir zwei Probleme – jetzt haben wir ein einziges Megaproblem. Wenn sich zwei große Unternehmen zusammentun, haben sie noch mehr Geld für Lobbyarbeit und für Studien, die Ergebnisse in ihrem Sinn hervorbringen. Jedes Mal wenn Wissenschaftler die Gefährlichkeit von Pestiziden belegen, kommt ein industrienaher Wissenschaftler und sagt: „Nein, das ist nicht so.“ Es gibt in Brasilien eine regelrechte Gegenwissenschaft, die versucht, kritische Studien zu widerlegen. Außerdem vergrößert sich die Marktmacht von Bayer: Monsanto hat in Brasilien vor allem durch den Verkauf von genmanipuliertem Saatgut Geld verdient. Durch die Übernahme kontrolliert Bayer jetzt über 50 Prozent des Marktes mit genmanipuliertem Saatgut. Auch bei den Pestizidverkäufen könnte Bayer nach der Übernahme von Monsanto möglicherweise auf Platz eins vorrücken.
Was erwarten Sie vom Bayer-Vorstand und den Aktionären?
Von Bayer selbst erwarte ich nichts. Bayer ist ein Unternehmen, das Profit machen muss. Es ist logisch, dass sie sich nicht um unsere Gesundheit oder um die Umwelt kümmern.
Warum reisen Sie dann nach Bonn?
Wir wollen internationale Aufmerksamkeit erzeugen für das, was hier passiert. Die brasilianische Landwirtschaft ist total abhängig vom Ausland. Wenn europäische Länder keinen brasilianischen Mais oder kein Soja mehr kaufen, würde das die Profite der Agrarindustrie schmälern. Das würde vielleicht einen Raum öffnen, um den Einsatz von Pestiziden hierzulande etwas stärker zu regulieren und um ökologischere Anbaumethoden durchzusetzen.
Das Gespräch führte Moritz Elliesen
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