Konzerne aus dem Markt gedrängt

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Cecibel Romero
Arbeiter auf La Maroma . Seit 2009 fördert der Staat gezielt Kooperativen, die Saatgut herstellen wollen.
Saatgut
In El Salvador fördert die Regierung den Anbau von eigenem Saatgut. Für staatliche Programme wird fast keines mehr importiert.

Vivian Santos hat die Kapuze ihres Pullovers über den Kopf gezogen. Sie trägt Handschuhe und ein Tuch vor dem Mund. Damit schützt sie sich nicht nur vor der stechenden Sonne, sondern vor allem gegen die trockenen Maisblätter. Deren Ränder sind manchmal so scharf, dass man sich daran die Hände aufschneiden kann. Santos arbeitet auf einem Feld der Kooperative La Maroma in Jiquilisco, nahe der pazifischen Küste von El Salvador.

Es ist Erntezeit. Die 25-Jährige ist eine geschickte Arbeiterin. Behände reißt sie die Kolben vom trockenen Kraut und packt die weiße Frucht aus den Blättern. Dieser Mais ist nicht für den Verzehr bestimmt. Die Kooperative verkauft die Körner als zertifizierte Samen an das Landwirtschaftsministerium von El Salvador. Die Regierung reicht das Saatgut dann an Kleinbauern weiter. Es soll ihnen helfen, mehr zu produzieren als den bloßen Eigenbedarf und so auch etwas verkaufen zu können. Noch vor wenigen Jahren kaufte der Staat das Saatgut für das Programm bei wenigen Großimporteuren, die sich bei internationalen Konzernen eindeckten. Die Mitglieder der Kooperative La Maroma wussten damals noch nicht einmal, dass sie in dieses Geschäft einsteigen könnten.

Weißer Mais, rote Bohnen und Reis sind die wichtigsten Grundnahrungsmittel in El Salvador. Über viele Jahre war das kleine Land nicht in der Lage, genügend zu produzieren, um die Nachfrage zu decken. Noch 2010 wurden ein Viertel der Bohnen, 87 Prozent des Reises und 43 Prozent des Maises importiert. Alle drei gehören laut der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zu den Grundnahrungsmitteln, deren Preise auf dem Weltmarkt am stärksten schwanken. In den vergangenen Jahren hieß dies vor allem: Sie wurden teurer und teurer. Vor allem die Ärmsten in El Salvador hatten nicht genug zu essen, ihre Kinder litten an Unterernährung, die Sterblichkeitsraten stiegen.

Einmal im Jahr werden Saatgut und Dünger verteilt

Mehr als ein Drittel der salvadorianischen Haushalte auf dem Land lebt in Armut. Die Familien besitzen meist nur ein kleines Stückchen Land, oft kaum einen Hektar groß. Zur schmalen Ernte, die meist nicht einmal den Eigenbedarf deckt, kommt in der Regel etwas Geld, das Familienangehörige überweisen, die sich illegal in die USA durchgeschlagen haben. Seit Ende der 1990er Jahre bekommen arme Familien vom Landwirtschaftsministerium einmal im Jahr ein Paket mit Saatgut und Dünger. Zunächst aus politischem Kalkül, wie der Berater des Landwirtschaftsministeriums, Wilfredo Rubio, meint.

„Dieses Programm hatte zunächst nicht das Ziel, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern und den Familien aus der Armut zu helfen“, kritisiert er. „Es verfolgte eindeutig wahlpolitische Ziele.“ Die damalige rechtsnationale Regierungspartei Arena habe die Saatgut- und Düngerpakete benutzt, um Stimmen für die nächste Bürgermeister-, Parlaments- oder Präsidentschaftswahl zu fangen. Tatsächlich ist die landwirtschaftliche Produktion in den Jahren der Arena-Regierungen (1989 bis 2009) stetig gesunken, sogar im Vergleich zu den Zeiten des Bürgerkriegs (1980 bis 1992), der hauptsächlich in ländlichen Gegenden gewütet hatte.

Seit 2009 regiert die Partei, die nach dem Friedensschluss aus dem Bündnis verschiedener Guerilla-Gruppen FMLN hervorgegangen ist. Mit ihrem „Plan für die familiäre Landwirtschaft“ will sie nun Kleinbauern den Sprung aus der Subsistenzwirtschaft ermöglichen und die Lebensmittelproduktion des Landes steigern. Sie hat unter anderem die Verteilung von Saatgut und Dünger ausgeweitet. Nach einer Studie von Oxfam und der regierungsunabhängigen Salvadorianischen Stiftung für Wiederaufbau und Entwicklung (Redes) bekamen 2008, im letzten Regierungsjahr von Arena, 325.920 Familien ein Hilfspaket, 2013 waren es 541.927. Mehr als achtzig Prozent dieser Kleinbauern verfügen über weniger als zwei Hektar Land.

Laut der Studie kaufte der Staat noch 2008 das Saatgut für dieses Programm bei nur elf Firmen ein, darunter keine einzige Kooperative. Den Hauptteil von fast vierzig Prozent lieferte für einen Einkaufspreis von rund zwölf Millionen US-Dollar die Firma Cristiani Burkhard, ein Importeur, der den Saatgutmarkt in ganz Zentralamerika dominiert. Sie gehörte damals Alfredo Cristiani Burkhard, der El Salvador von 1989 bis 1994 regierte. 2008 verkaufte er die Firma an den US-Konzern Monsanto.

Einkommen deutlich über dem Mindestlohn

Mit dem „Programm für die familiäre Landwirtschaft“ versucht die seit 2009 regierende Linke nicht nur, die Lebensmittelproduktion zu steigern, um weniger von Importen abhängig zu sein. Sie unterstützt auch Kooperativen, die selbst Saatgut produzieren wollen, mit Krediten und Beratung. Außer La Marmona sind das bislang sechs weitere Kooperativen, darunter Nancuchiname, die ihr Land ebenfalls in der Gegend von Jiquilisco hat. „Wir leben hier, seit das Land den Reichen genommen und den Landarbeitern gegeben wurde“, erzählt ihr stellvertretender Vorsitzender Rigoberto Díaz.
Das war 1980. Damals veranlasste eine Regierungsjunta, die aus einem Staatsstreich im Oktober 1979 hervorgegangen war, eine Landreform. Sie wollte damit den Einfluss der linken Guerillagruppen schmälern. Großgrundbesitzer wurden gegen Entschädigung enteignet, Kooperativen bekamen Land. Der Plan, damit die Lebensmittelproduktion zu steigern, scheiterte jedoch, denn 1980 begann auch der zwölfjährige Bürgerkrieg. Danach setzten Präsident Cristiani und alle weiteren Arena-Präsidenten ganz auf ein neoliberales Wirtschaftsprogramm: Der Markt sollte alles regeln.

„Ich kann gerade mit Mühe unterschreiben“, sagt Rigoberto Díaz und lacht. Der 61-Jährige ist nie zur Schule gegangen und heute trotzdem der Chef der 200 Frauen und Männer, die auf den knapp sechzig Hektar mit Pflanzungen für Saatgut arbeiten. Sie verdienen zehn US-Dollar am Tag, deutlich über dem üblichen gesetzlichen Mindestlohn von 6,67 Dollar für ein Tagewerk in der Landwirtschaft. Wer Mitglied der Kooperative ist, bekommt am Ende des Jahres noch einmal sechs Dollar pro Tag für bis zu 180 Arbeitstage. Ihre Familien erhalten zudem drei Mal im Jahr ein Lebensmittelpaket mit Mais, Bohnen, Zucker und Speiseöl. Früher baute die Kooperative nur Zuckerrohr an, geerntet wurde einmal im Jahr. Inzwischen hat sie ihre Produktion verbreitert, neben Saatgut für Mais züchtet sie Vieh. Möglich wurde das mit Hilfe einer Schenkung der Regierung in Höhe von 220.000 US-Dollar.

Die Ernte der Maiskolben, die bei den Nachbarn der Kooperative La Mormona schon im Gang ist, lässt hier noch drei Monate auf sich warten. Die Pflanzen wachsen erst heran. Ein anderes Feld steht kurz vor der Blüte. Es gehört einem Mitglied der Kooperative. „Wir werden die Blüten abreißen müssen, auch wenn das dem Besitzer nicht gefällt“, sagt Díaz. Das Feld liegt näher als 300 Meter an den Äckern für die Saatgutproduktion. Samenflug könnte die Qualität des Saatguts beeinträchtigen. Mais für den Konsum unterliegt nicht der Qualitätskontrolle des Saatgutmaises. Die beiden Sorten sollen sich deshalb nicht gegenseitig befruchten.

Es sei nicht leicht gewesen, die Landarbeiter zu der Sorgfalt zu erziehen, die bei der Befruchtung der weiblichen Saatgutpflanzen nötig ist, sagt Díaz. Jede Woche kommen Ingenieure des Nationalen Zentrums für angewandte Technologie (Centa) vorbei und helfen mit Ausbildungskursen und Beratung, die Qualität der Saatkörner zu garantieren.

Das staatliche Beratungs- und Ausbildungszentrum sei unter den rechten Vorgängerregierungen fast bis zum Verschwinden vernachlässigt worden, sagt Wilfredo Rubio, der Berater des Landwirtschaftsministeriums. Inzwischen wurde das Personal aufgestockt, es gibt Forschungsabteilungen und Büros in vielen Regionen, die die Landwirte betreuen.

Garantierte Abnahme von Saatgut

Das Programm hatte Erfolg: 2012 gab es bei Mais eine Rekordernte von mehr als einer Million Tonnen. Danach kamen Jahre der Dürre, die Produktion ging leicht zurück. Trotzdem wurde das Ziel der Lebensmittelsicherheit so gut wie erreicht. „Bei Mais decken wir derzeit mit der nationalen Produktion rund neunzig Prozent der Nachfrage, bei Bohnen sind wir sogar bei über hundert Prozent“, sagt Rubio. Dabei kommen rund drei Viertel der Maisproduktion des Landes und fast achtzig Prozent der Bohnenernte von Kleinbauern, die weniger als drei Hektar bewirtschaften und in den Genuss des Saatgutpakets der Regierung kommen.

Das Zentrum für angewandte Technologie Centa hat alte Sorten wieder verbreitet, die ursprünglich in El Salvador angebaut wurden und gegen Dürren beständiger sind als neuere Sorten. Sie waren wegen des über Jahrzehnte importierten Saatguts so gut wie verschwunden. Der Forschungsabteilung des Instituts ist bei Bohnen eine Neuzüchtung gelungen, die auch auf Meereshöhe angebaut werden kann; die vorher gängigen Sorten gediehen nicht unter 400 Metern Höhe. Die neuen Bohnen wurden unter den Namen Centa Pipil und Centa San Andrés geschützt und bringen den doppelten Ertrag im Vergleich zu den zuvor angebauten Pflanzen.

Autorin

Cecibel Romero

ist freie Journalistin in San Salvador.
Der Staat garantiert der Kooperative Nancuchiname eine jährliche Abnahme von 350.000 Kilo Saatgut. Um diese Menge zu produzieren, bekommt der Betrieb von der Staatsbank für Entwicklung einen Kredit über 350.000 Dollar. Zudem hat die Regierung beschlossen, Kleinproduzenten und Kooperativen bei der Ausschreibung für den öffentlichen Einkauf von Saatgut zu bevorzugen. 2013 gab der Staat nur noch eine Million US-Dollar für den Einkauf von importiertem Saatgut aus, 9,3 Millionen Dollar flossen an nationale Produzenten.

Die US-Regierung protestierte noch im selben Jahr. Die Bevorzugung nationaler Produzenten verletze den Freihandelsvertrag zwischen den USA und Zentralamerika, argumentierte Mari Carmen Aponte, die damalige US-Botschafterin in San Salvador. Zudem verstoße diese Praxis gegen das Gesetz für öffentliche Beschaffung und Verträge, laut denen nationale und ausländische Firmen gleich behandelt werden müssen. Der Protest hatte Erfolg – die Vorzugsbehandlung nationaler Produzenten wurde zeitlich begrenzt und ist längst ausgelaufen.

Doch inzwischen können die nationalen Erzeuger in punkto Qualität und Preis mit den internationalen Konzernen konkurrieren. Obwohl die Mitbewerber aus den USA wieder zugelassen sind, kaufte das Landwirtschaftsministerium 2014 Saatgut nur im Inland, ein Fünftel davon kam aus Kooperativen. Die nationalen Saatguthersteller hätten ihre Produktivität gesteigert, sagt Evelyn Martínez von der Stiftung Redes. Dass sie nun über ein regelmäßiges Einkommen verfügen, habe die lokale Wirtschaft im ländlichen Raum gestärkt und soziale Probleme wie das der hohen Auswanderung gelindert. „Zudem hat der Anbau von Saatgut für Mais viele Arbeitsplätze für Frauen geschaffen“, sagt Martínez.

Vivian Santos in Jiquilisco hat sich einen Sack um die Hüfte gebunden, in den sie die von den Blättern befreiten Maiskolben wirft. Schnell kommt sie voran. Es wirkt fast so, als wäre sie im Wettstreit mit anderen. Zwischen sechs Uhr am Morgen und halb elf will sie vier solcher Säcke füllen, dann wird die Hitze unerträglich. Und weil Samstag ist, wird dann auch Feierabend sein. Im Hof der Kooperative klauben andere Frauen beschädigte Maiskolben aus der Ernte, die nicht der gewünschten Qualität entsprechen. In einem nächsten Schritt soll in Silos investiert werden. Wenn entsprechende Lager vorhanden sind, kann die Anbaufläche erweitert und die Produktion noch einmal gesteigert werde. Dann wäre die Kooperative bereit, Saatgut auch in andere Länder Zentralamerikas zu exportieren.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2017: Indigene Völker: Eingeboren und ausgegrenzt
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