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Enttäuscht von den Nationalstaaten mischen sich immer mehr Bürgermeister in die globale Politik ein. Und dort werden sie zunehmend gehört.

Bill Peduto ist zum Helden des Widerstands geworden. Der Bürgermeister von Pittsburgh bot im vergangenen Sommer US-Präsident Donald Trump die Stirn – der hatte ankündigt, das Pariser Abkommen zum Klimaschutz zu verlassen. Paris sei ihm näher als Washington, twitterte Peduto und unterzeichnete einen eigenen Vertrag mit seiner Amtskollegin aus der französischen Hauptstadt, Anne Hidalgo. Bis 2035 wolle er Pittsburgh, ein ehemaliges Zentrum der Schwerindustrie, komplett aus erneuerbaren Energien versorgen. Peduto ist mit seiner Haltung nicht allein: Kurz nach ihm bekannten sich 350 US-amerikanische Stadtregierungen zum Pariser Abkommen, darunter die von New York, Chicago, Orlando, San Francisco und Los Angeles.

Bürgermeister gehen in Opposition zu den Regierungen ihrer Länder – für Peter Kurz ist das ein Trend, der sich international immer deutlicher zeigt. Viele Städte hätten die Erfahrung gemacht, dass sie von den Nationalstaaten keine Lösungen für globale Probleme, etwa Schutz vor der Erderwärmung oder eine geregelte Migration, erwarten könnten, sagt der Oberbürgermeister von Mannheim. Das bringe sie dazu, selbst mehr Verantwortung auf der internationalen Ebene zu übernehmen. Kurz engagiert sich als stellvertretender Vorsitzender beim Weltparlament der Bürgermeister und meint, der Leitspruch „Global denken, lokal handeln“ sei aktueller denn je.

Denn in den Städten werden die großen Krisen konkret. Bürgermeister müssen Flüchtlinge unterbringen, Armut lindern, mehr Busse und Bahnen auf die Straßen bringen und ihre Bürgerinnen und Bürger – vor al lem im globalen Süden – vor Überschwemmungen und Wirbelstürmen schützen. Sie können auf kluge Köpfe und Kapital zurückgreifen: Metropolen und Mittelstädte sind Zentren der Innovation und der Wirtschaftskraft. Sie ziehen kreative Geister und Unternehmen ebenso an wie Menschen vom Land, die sich dort ein besseres Auskommen erhoffen. Laut UN-Habitat lebt derzeit schon mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, Tendenz schnell steigend. 80 Prozent der Wirtschaftsleistung wird in Städten erbracht – aber auch die ökologischen Fußabdrücke sind dort gewaltig: Drei Viertel der weltweit erzeugten Energie wird hier verbraucht und ein ebenso hoher Anteil des dabei entstehenden Kohlendioxids in die Luft gepustet.

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber hat das Potenzial der Städte und die Pflichten, die daraus erwachsen, schon vor Jahren erkannt. Ihnen gehöre das 21. Jahrhundert, betonte er in seinem 2013 erschienenen Buch „If Mayors ruled the World“; die Zeit der Nationalstaaten sei vorbei. Denn die seien inzwischen „ineffektiv, festgefahren und dysfunktional“. Barber, der vor gut einem Jahr gestorben ist, setzte für den sozial-ökologischen Wandel vor allem auf die Bürgermeister.

Weltparlament der Städte

Mit einem Weltparlament wollte er ihnen zu mehr Selbstbewusstsein und Durchschlagskraft auf der internationalen Ebene verhelfen. Im Herbst 2016 wurde es gegründet, inzwischen hat es etwa 50 Mitglieder und ein Sekretariat in Den Haag. Alle Kontinente sind vertreten, wobei der Schwerpunkt auf Europa liegt und hier eher die mittelgroßen Städte vertreten sind. Peter Kurz ist zufrieden: „Das ist kein schlechter Start“, findet er. Das Netzwerk Eurocities habe mit nur fünf Kommunen begonnen, inzwischen zähle es 130. Das Weltparlament konzentriere sich als Lobbyorganisation vor allem auf Fragen der Steuerung, erläutert Kurz. „Wir versuchen, die politischen Spitzen der Städte in einen Dialog zu bringen“, sagt er. „Ziel ist es, die Selbststeuerungsfähigkeit von Kommunen und auch ihre finanzielle Ausstattung zu verbessern.“

Darin unterscheidet sich das Parlament der Bürgermeister von den schätzungsweise rund 200 nationalen und transnationalen Städtenetzwerken weltweit. Zwar dienen die ebenfalls dem Austausch von Erfahrungen, von Wissen, Innovationen und Good-Practice-Modellen, sie konzentrieren sich aber jeweils auf einzelne inhaltliche Schwerpunkte, etwa den Klimaschutz oder Gesundheitsfragen. Neben entwicklungspolitischen Partnerschaften zwischen Kommunen aus Nord und Süd sind sie eine wichtige Säule der kommunalen „Außenpolitik“.

Das Spektrum dieser Städtenetzwerke ist breit. Die Mayors for Peace etwa vereinen mehr als 7000 Städte und Gemeinden in 160 Ländern im Kampf gegen die Verbreitung von Atomwaffen. Die Organisation wurde 1982 auf Initiative des damaligen Stadtoberhauptes von Hiroshima, Takeshi Araki, gegründet – aus der tiefen Überzeugung heraus, dass Bürgermeister für die Sicherheit und das Leben ihrer Bürger verantwortlich sind. Mit Ausstellungen, Gedenkveranstaltungen, Kampagnen und Unterschriftenaktionen versuchen sie, den Kampf gegen die atomare Bedrohung und ihre Folgen in die Öffentlichkeit zu tragen. Am Vertrag über das Verbot von Atomwaffen, den die Vereinten Nationen im vergangenen Sommer verabschiedet haben, waren sie maßgeblich beteiligt.

Gut 90 Städte, in der Mehrzahl aus Afrika und Lateinamerika, haben sich 2014 zur Initiative „Fast Track Cities“ zusammengeschlossen, die sich eine zügige Bekämpfung von Aids auf die Fahnen geschrieben hat. Unterstützt von UN-Organisationen und der Stadt Paris wollen sie bis 2020 unter anderem erreichen, dass 90 Prozent ihrer HIV-positiven Einwohner von ihrer Infizierung wissen und 90 Prozent der Aidskranken eine antiretrovirale Therapie erhalten. Die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV und Aids soll bis dahin überwunden sein.

Besonders viele Kommunen engagieren sich für den Klimaschutz. Dem gewichtigsten Verbund, C40, gehören inzwischen 92 Städte mit insgesamt 650 Millionen Einwohnern an. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister setzen sich für energieeffizientes Bauen, saubere Energie und abgasarme Verkehrskonzepte ein. Über einen eigenen Finanztopf der C40 fließen derzeit für zwei Modellprojekte jeweils eine Million US-Dollar an Kolumbiens Hauptstadt Bogotá für ein Fahrradwegenetz und an Mexiko-Stadt für den Einsatz von emissionsfreien Bussen. Darüber hinaus reden die beteiligten Städte immer wieder ihren nationalen Regierungen ins Gewissen, die Ziele der UN-Klimaverträge einzuhalten.

Städte aus dem globalen Süden unterrepräsentiert

Diese Klimadiplomatie zeige Früchte, meint der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz. Bei den Verhandlungen von Paris habe sich das Netzwerk C40 als „Treiber der internationalen Politik“ erwiesen. Er ist überzeugt: „Ohne die C40 und andere kommunale Netzwerke wäre der Vertrag so nicht zustande gekommen.“Wissenschaftler aus Amsterdam und Potsdam beurteilen die Städtenetzwerke skeptischer. 13 von ihnen, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben haben, haben sie in einer Studie vom April 2016 verglichen und kommen zu eher ernüchternden Ergebnissen. Städte aus dem globalen Süden seien unterrepräsentiert, nur eine Minderheit der Netzwerke verpflichte sich, die Kohlendioxidemissionen messbar zu reduzieren – und wenn sie es tun, seien ihre Ziele nicht ehrgeiziger als die im UN-Klimaabkommen festgeschriebenen Verpflichtungen der Nationalstaaten. Zudem seien ihre Kontrollmechanismen „sehr eingeschränkt“. Kurz: Transnationale Städtenetzwerke seien beim Klimaschutz noch nicht die ehrgeizigen und transparenten Akteure, als die sie angesehen würden.

Auch im Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern gehen viele Städte andere Wege als die Staaten. In den USA haben sich mehr als 300 Kommunen zu „Zufluchtsstädten“ zusammengeschlossen. Sie widersetzen sich der Abschiebepolitik der US-Regierung und weigern sich, mit den Bundesbehörden und der Sonderpolizei für Abschiebungen zusammenzuarbeiten. Und sie sind standhaft geblieben, obwohl ihnen Präsident Trump wegen ihrer Haltung im Januar 2017 per Erlass öffentliche Zuschüsse gestrichen hat. In Europa gibt es ebenfalls einige wenige „Zufluchtsstädte“, darunter Barcelona. Und die Hafenstadt Danzig liegt mit ihrem „Rat der Migranten“ und den Integrationsprogrammen für Flüchtlinge im offenen Streit mit der polnischen Führung, die sich weiter weigert, im Rahmen des Umverteilungsprogramms der EU Geflüchtete aufzunehmen.

Eine transnationale Allianz von Städten zum Umgang mit Schutzsuchenden und Migranten fehlt indes. Zwar trafen sich im vergangenen Juni unter dem Motto „Städte ohne Angst“ (Fearless Cities) in Barcelona mehr als 700 Bürgermeister und Stadträte aus Brasilien, Chile, Indien, Europa und den USA, um „in Zeiten von Hass und von autoritären Regimen für Menschenrechte, Demokratie und Gemeinwohl“ einzutreten. Auch daraus sollte eine internationale Bewegung werden, wie die Organisatoren betonten. Doch bislang scheint sich wenig zu bewegen: Die Internetseite fearlesscities.com bietet lediglich das Programm und die Redebeiträge der Konferenz. Weitergehende Aktivitäten: Fehlanzeige.

Die schwache gemeinsame Stimme in Flüchtlingsfragen könnte ein Grund dafür sein, dass die Staatengemeinschaft bislang ohne Vertreter der Städte über einen globalen Pakt für den Umgang mit Flüchtlingen verhandelt. Ein folgenschwerer Fehler, meinen Jessica Brandt und Lucy Earle von der US-amerikanischen Denkfabrik Brookings. Noch sei genug Zeit, Bürgermeistern den vorliegenden Entwurf zukommen und ihn kommentieren zu lassen, schreiben sie in einem aktuellen Papier. Das UN-Flüchtlingshilfswerk solle Wege entwickeln, auf denen Stadt- und Gemeindeverwaltungen über ihre Bedürfnisse und Erfahrungen berichten und sich über bewährte Praktiken im Umgang mit Flüchtlingen austauschen könnten. Für technische und finanzielle Hilfe solle es sich direkt mit ihnen in Verbindung setzen – ungeachtet, welche Politik die nationale Regierung verfolge. Diese Schritte trügen dazu bei, den angestrebten globalen Pakt „maximal effektiv und legitim“ zu machen, betonen sie.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".
Trotz weißer Flecken: Insgesamt wächst der Einfluss der Städte auf internationaler Ebene – und sie werden dort mit ihren Anliegen und Vorschlägen zunehmend ernst genommen. Die 2013 gegründete Global Task Force of Local and Regional Governments, ein Zusammenschluss von 24 nationalen und internationalen Städtenetzwerken, hat sich erfolgreich für ein „eigenes“ Nachhaltigkeitsziel in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen stark gemacht. Mit Ziel Nummer elf sollen Städte und Siedlungen „inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig“ gestaltet werden. Zudem war die Global Task Force an der Erarbeitung der „Neuen Urbanen Agenda“ zur Stadtentwicklung beteiligt, die 2016 auf der UN-Konferenz Habitat III verabschiedet wurde. Sie gibt den Rahmen vor, um die Nachhaltigkeitsziele und den Klimaschutz auf lokaler Ebene voranzubringen.

Die Staatengemeinschaft verpflichtet sich mit der Neuen Urbanen Agenda, Städte zu stärken – und zeigt ihnen zugleich ihre Grenzen auf: Vertreter von Stadtregierungen hatten bei der Habitat III zwar ein Rederecht, aber verabschiedet wurde das 175 Punkte umfassende Dokument von den nationalen Regierungen. Und das aus gutem Grund: Städte besäßen kein völkerrechtliches Mandat, sagt Eva Dick vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Eine stärkere Einflussnahme von Kommunen auf globale Entscheidungen sei wünschenswert, angesichts ihrer Vielzahl jedoch schwierig. Es stelle sich die Frage, wie und von wem ihre Interessen repräsentiert werden könnten. Die Gefahr sei groß, dass vor allem Metropolen aus Industrieländern Einfluss ausübten, die mehr Fachleute und Geld haben. Die Anliegen von kleineren und mittleren Städten aus dem globalen Süden könnten an den Rand gedrängt werden, fürchtet Dick, die das Weltparlament der Bürgermeister gleichwohl als „interessante Initiative“ bezeichne

Der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz hat das Parlament im Februar beim World Urban Forum in Kuala Lumpur vertreten. Dass Städte auf globaler Ebene zwar immer mehr mitreden, aber nicht mitentscheiden dürfen, treibt ihn um. Doch er räumt ein: „Das halte ich für die nächsten zehn Jahre für nicht realistisch.“ Nötig wäre ein direkter Dialog, bei dem Städte und Nationalstaaten gemeinsam am Tisch sitzen. Der Anfang könnte in den Regionen gemacht werden, meint er – etwa, wenn es auf der Ebene der Europäischen Union Budgets für Politikfelder gebe, die direkt von Städten verwaltet würden. In diese Richtung könne man denken, sagt er. „Aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik.“

Der Vordenker Benjamin Barber war da optimistischer. Die Macht der nationalen Regierungen werde „nur noch von kurzer Dauer sein“, sagte er vor vier Jahren in einem Interview. „Am Ende gewinnt die Stadt, da sie die Mehrheit der Bevölkerung beheimatet.“

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erschienen in Ausgabe 4 / 2018: Globale Politik von unten
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