Überall auf der Welt, auch in Entwicklungsländern, sind Metropolen darauf erpicht, ihren Status als „global cities“ zu festigen: als wichtige kulturelle und wirtschaftliche Knotenpunkte in der verflochtenen globalen Welt. Einige Fachleute nennen dies das „Modernitätsspiel“. Und Sport erweist sich zunehmend als wichtiges Mittel, Modernität zur Schau zu stellen und sich das Prädikat „globale Stadt“ zu verdienen.
Früher haben Städte in westlichen Ländern Großveranstaltungen wie die Weltausstellung ausgerichtet, um ihren Status als moderne Weltstädte zu festigen. Länder außerhalb des Westens versuchten aufzuholen, was aber außer Japan, Südkorea und Singapur nur wenigen gelungen ist. Die Weltausstellungen von heute sind internationale Sportwettkämpfe. Die Olympischen Spiele, die Commonwealth-Spiele oder Weltmeisterschaften in Einzeldisziplinen wie Fußball bringen Städten Prestige, auch wenn die Gewinne zum überwiegenden Teil etwa an den Weltfußballverband FIFA gehen. Länder, die Gastgeber der Fußball-WM sind, müssen der FIFA großzügige Steuervorteile gewähren, sind aber selbst für den Bau der nötigen Infrastruktur und der Stadien zuständig.
Aufstrebenden Städten in Schwellenländern bieten solche Sportspektakel eine Möglichkeit, ihre anscheinend wachsende geopolitische Bedeutung zu demonstrieren. Für Fans des Modells „global city“, von denen viele zur Elite in Entwicklungsländern gehören, ist das ein Grund zum Feiern. Die spektakulären Bauten in Dubai versinnbildlichen diesen Trend, westliche Modernität nachzuahmen, und illustrieren den fortwährenden Versuch nicht westlicher Länder, im Sport und auch wirtschaftlich und kulturell mit den ehemaligen Kolonialmächten zu wetteifern.
Immer noch das Spiel des Westens
Aber wer entscheidet bei diesem Modernitätswettstreit über Gewinner und Verlierer? Wer bestimmt, was als „global“ zählt und was „Moderne“ ausmacht? Bislang kommen die Schiedsrichter überwiegend aus der westlichen Welt. Gewonnen oder verloren, das ist immer noch das Spiel des Westens. Er stellt die Regeln auf.
Wenn die Eliten in Entwicklungs- und Schwellenländern die Regeln des heutigen Modernitätsspiels akzeptieren und einhalten, bedienen sie einen jahrhundertealten Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Kolonialmacht. Indem sie die Regeln akzeptieren, haben sie das Spiel bereits verloren – und zwar in mehr als einer Hinsicht. Dadurch, dass sie den früheren Kolonialmächten erlauben, die Wettbewerbskriterien zu definieren, treten sie die Fähigkeit an sie ab, ihre eigene Definition von „modern“ und „global“ zu entwickeln.
Wer die Regeln dieses Spiels verinnerlicht hat, hat damit auch akzeptiert, dass die Urteile, ob etwas gut ist, westlichen Idealen folgen und ein idealisierter Zustand der Perfektion erreicht werden soll. Das klingt abstrakt, führt jedoch in der Praxis dazu, dass Geld, das woanders dringender gebraucht würde, für Sportspektakel ausgegeben wird, um die eigene geopolitische Bedeutung zu steigern. So hat China 2008 die Olympischen Spiele in Peking ausgerichtet, Indien 2010 die Commonwealth-Spiele und im selben Jahr Südafrika die Fußball-WM. Brasilien war 2014 Gastgeber der WM und zwei Jahre später der kontrovers beurteilten Sommerolympiade.
Auch im Süden werden die Bürgerinnen und Bürger zunehmend misstrauisch
Im Westen weigern sich manche Städte mittlerweile wegen der Schwierigkeiten und der hohen Kosten, die der Durchschnittsbürger zu tragen hat, Olympische Spiele auszurichten. Doch immer noch ziehen Eliten in Schwellen- und Entwicklungsländern, deren Großstädte noch weniger auf die Ausrichtung Olympischer Spiele vorbereitet sein dürften, ohnehin beschränkte Mittel von wichtigen sozialen Vorhaben ab, um teure Sportveranstaltungen zu bezahlen.
Doch auch im Süden werden Bürgerinnen und Bürger wegen der enormen Kosten zunehmend misstrauisch und fragen, welchen Sinn es hat, öffentliche Gelder für ein einmaliges Spektakel auszugeben. Vor der Fußball-WM 2010 in Südafrika ebenso wie vier Jahre später in Brasilien demonstrierten Bürgerinnen und Bürgern für eine sinnvollere Verwendung der staatlichen Mittel. Ähnlichen Protest gab es vor der Sommerolympiade in Rio 2016. Und dennoch setzten sich die herrschenden Eliten in jedem dieser Fälle nach dem Motto „The games must go on!“ in herablassender Weise über den lautstarken Widerspruch hinweg.
Warum lenken Regierungen knappe Mittel in Sport-Großveranstaltungen, statt sie für die Befriedigung der Grundbedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger zu verwenden? Warum sind Eliten in Entwicklungsländern so darauf erpicht, im Modernitätsspiel zu punkten und ihre Städte „global“ zu machen? Ein Argument lautet, dass „global cities“ Investoren, Touristen und Wissensarbeiter anziehen. Um Fachkräfte anzulocken, haben viele dieser aufstrebenden Städte auch viel Geld in teure Kunst investiert. Mit Blick auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte und zahlungskräftige Konsumenten ist die Ausrichtung internationaler Sportveranstaltungen und Kunstmessen ein nützlicher Schritt auf dem Weg zur „global city“.
Für die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ist darin allerdings nur wenig Platz. In solchen Städten sind die gesellschaftliche Spaltung und die soziale Ungleichheit oft stärker ausgeprägt als in anderen Kommunen. Globale Sportveranstaltungen verschärfen diese Probleme noch: Ärmere Bevölkerungsanteile müssen Platz machen für neue Stadien oder andere Infrastruktur und werden verdrängt.
Sportstätten: Enklaven für die Elite
In ihrer Studie über die Olympischen Spiele 2008 in Peking hat die kanadische Wissenschaftlerin Anne-Marie Broudehoux gezeigt, dass der Bau spektakulärer Sportkomplexe Millionen einkommensschwacher Bürgerinnen und Bürger verdrängt hat und dass nach den Spielen diese Sportstätten zu Enklaven für die Elite wurden. Arme Stadtbewohner werden an die städtischen Randgebiete umgesiedelt, während die Wohlhabenden den besten innerstädtischen Wohnraum für sich beanspruchen – das ist ein wesentliches Merkmal der „global city“ und verdeutlicht die mit der Globalisierung einhergehende sich vertiefende sozio-räumliche Ungleichheit.
Autorin
Melissa Tandiwe Myambo
ist assoziierte Forscherin am „Centre for Indian Studies in Africa“ der University Witwatersrand (Südafrika) sowie Schriftstellerin und Aerobiclehrerin. Sie stammt aus Simbabwe und lebt zeitweise in New York.Das Modernitätsspiel – aber nicht die Modernität – hat seinen Ursprung im Westen. Städte können dabei nur gewinnen, wenn sie sich an westliche Standards anpassen. Das kann durchaus nützlich sein, wenn es zu einer guten allgemeinen Infrastruktur und zu Zugang zu sauberem Wasser und Dienstleistungen führt – Vorteile, die vielen Menschen zugutekommen. Gegenwärtig aber hilft der Bau eindrucksvoller Sportinfrastruktur der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht, sondern verdrängt sie. Wenn das Modernitätsspiel nur zu mehr Ungleichheit führt, ist es höchste Zeit, seine Regeln zu ändern. Doch dazu haben die Eliten weltweit zu viel in das Spiel investiert.
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.
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