Entwicklungshilfe vor Gericht

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Unterhaltsame Alternative zu drögen Podiumsdiskussionen: In Wien saß unlängst die Entwicklungszusammenarbeit auf der Anklagebank. Die Anschuldigungen wogen schwer, aber am Ende hatte die Verteidigung die besseren Argumente.

Der Festsaal der Österreichischen Entwicklungsbank wird zum Tribunal. In einen richterlichen Talar gehüllt eröffnet Johanna Mang von der Behindertenhilfsorganisation Licht für die Welt mit einem Hammerschlag die Verhandlung. „Staatsanwalt“ Friedbert Ottacher, der als entwicklungspolitischer Berater viel Erfahrung mitbringt, beginnt mit seiner Anklageschrift. Die Entwicklungszusammenarbeit habe sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht: Vorspiegelung falscher Tatsachen, Förderung von Korruption, Schaffen von Abhängigkeiten, Förderung korrupter Regierungen, Mittelverschwendung und Bereicherung. Dafür will er Beweise liefern, die die Höchststrafe rechtfertigen würden: Einstellung der Entwicklungszusammenarbeit binnen fünf Jahren. Ottacher „beweist“ dann mit Fotos und Statistiken, wie die Entwicklungshilfe Rassismus und Klischees von der armen Dritten Welt bedient und sich zu einer regelrechten Industrie entwickelt habe, die hauptsächlich Arbeitsplätze in den Geberländern sichere, während die Zielländer in Afrika weiter von Armut geplagt würden.

Zur Verteidigung der Angeklagten tritt Thomas Vogel von der Entwicklungsorganisation Horizont3000 auf. Er gibt zwar der Anklage recht, dass in den vergangenen 60 Jahren viele Millionen in den Sand gesetzt worden seien und die Zahl der Skandale groß sei. Doch habe man aus den eigenen Fehlern gelernt und immerhin 100 Millionen Menschen ein besseres Leben ermöglicht. Für die Verfehlungen sei meist die Politik verantwortlich. Daher müsse man die Entwicklungszusammenarbeit nicht als Täter, sondern als Opfer sehen.

Beide Seiten haben anschließend Gelegenheit, Zeugen zu befragen, die aus verschiedenen Perspektiven zur Belastung oder Entlastung beitragen. Es sind Fachleute aus der Entwicklungszusammenarbeit oder der entwicklungspolitisch engagierten Privatwirtschaft, eine Studentin aus Mali, eine Journalistin und ein Mitarbeiter der zuständigen Sektion im Außenministerium. Da wird von Skandalen wie einem Skilift in Pakistan berichtet, der einzig für das Freizeitvergnügen des damaligen Handelsdelegierten mit Geld der Entwicklungshilfe errichtet wurde und seither still steht.

Ein Überraschungszeuge tritt auf 

Die Verteidigung versucht gar nicht, diese Entwicklungsruine zu rechtfertigen, setzt die geschätzten Verluste aber in Relation zu Industrieruinen, die der Politik anzulasten sind: zum Beispiel 3,77 Milliarden Euro für das österreichische Atomkraftwerk Zwentendorf, das nie in Betrieb ging, oder die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, die acht Milliarden gekostet hat. Der neue Berliner Flughafen, der vor vier Jahren eröffnet werden sollte, habe bis jetzt sieben Milliarden verschlungen. In der Vergangenheit seien zwar viele undurchsichtige Geschäfte gelaufen, aber die weltweit wichtigste Organisation gegen Korruption, nämlich Transparency International, sei von einem Entwicklungsexperten gegründet worden, dem ehemaligen Weltbankdirektor Peter Eigen.

Im Laufe der Verhandlung, die im Stil eines TV-Gerichtsdramas durchgeführt wird, werden die meisten Argumente der Anklage entkräftet oder die offensichtlichen Verfehlungen als überwunden dargestellt. Die Verteidigung bringt noch einen Überraschungszeugen von der Caritas und einen weiteren Gutachter. Dem Publikum ist schon zu Beginn die Rolle der Geschworenenbank zugewiesen worden. Alle dürfen am Ende mit einem grünen oder roten Zettel für oder gegen die Entwicklungszusammenarbeit. Auch für Beratungen ist in einer kurzen Pause Zeit. Dann verliest „Richterin“ Johanna Mang das Urteil: Die „Geschworenen“ haben mit einer Mehrheit von 78 zu 34 einen Freispruch gefällt.

Friedbert Ottacher und Thomas Vogel, deren Buch über Entwicklungshilfe inzwischen in zweiter Auflage erschienen ist, haben dieses Gerichtsspiel erstmals bei den Entwicklungstagen 2014 in Salzburg erprobt und seither in verschiedenen Provinzstädten aufgeführt. Anfang Oktober fand es erstmals in Wien statt. Bisher hat noch jede Verhandlung mit einem Freispruch geendet. Doch die Veranstalter halten einen anderen Ausgang für möglich. Denn das Publikum ist nicht berechenbar und die Zeugen müssen jedesmal lokal rekrutiert werden. Das Publikum in Wien honorierte die Verhandlung als unterhaltsame Alternative zu drögen Podiumsdiskussionen.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2016: Frauen: Gemeinsam stark
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