Wenn sich die Staatschefs der bedeutendsten Länder zusammensetzen, hofft man, dass sie Lösungen für globale Krisen zumindest näher bringen. Der Gipfel der 20 großen Industrie- und Schwellenländer (G20) im chinesischen Hangzhou Anfang September hat denn auch in einer langen Erklärung viele Probleme und Gegenmittel aufgeführt. Doch ein Wegweiser für eine abgestimmte Krisenbewältigung ist das nicht. Eher haben die Regierungen dokumentiert, wie wenig sie zurzeit zu koordinierter Politik fähig sind.
Das war einmal anders. Die G20 sind entstanden, als die acht führenden Industrieländer nach der Weltfinanzkrise 2008 große Schwellenländer in ihren Club aufnahmen. Es gelang den 20 Regierungen, Konjunkturprogramme abzustimmen, den Zusammenbruch der Weltwirtschaft nach dem Muster der Jahre seit 1929 zu verhindern und begrenzte Reformen des Finanzsektors anzustoßen.
Dann hat der Club immer mehr Themen in seinen Arbeitsplan aufgenommen wie Landwirtschaft, Korruption und Entwicklungspolitik. Er kann aber immer schwerer strategische Absprachen treffen, die auch umgesetzt werden – sogar für seine Kernaufgabe, die Steuerung der globalen Wirtschaft. In Hangzhou hat die Gruppe besorgt festgestellt, dass die Geldpolitik nicht mehr ausreiche, das Wachstum anzutreiben, und Innovation und Digitalisierung gefragt seien. Doch ob man wie Deutschland auf Strukturreformen und ausgeglichene Staatshaushalte setzen soll oder wie China und die USA auf mehr staatliche Investitionen – dieser Dissens wurde nur notdürftig überdeckt.
Immerhin hat die G20 sich zur Agenda 2030 der Vereinten Nationen und zur Verringerung der Ungleichheit bekannt. Klarer als zuvor ruft die Gruppe auch alle Staaten auf, Transparenz in Steuerfragen zu schaffen und Informationen dazu automatisch auszutauschen. Sie droht sogar mit Sanktionen gegen Steueroasen. Das dürften allerdings da leere Worte bleiben, wo einzelne G20-Länder „Sonderregeln“ bei den Steuern nützlich finden. So liegen große Steuerparadiese in den USA und Großbritannien.
Die Doha-Runde wurde faktisch beerdigt
Es ist ein Kernproblem, dass die G20 ständig gegen die eigenen Einsichten handeln. So ist ihr Bekenntnis wertlos, die Welthandelsorganisation zu stärken und Protektionismus zu verhindern. Das steht schon in früheren Erklärungen – geschehen ist das Gegenteil: Die USA und die EU haben auf der Ministerkonferenz in Nairobi Ende 2015 die Doha-Runde faktisch beerdigt. Sie treiben regionale Freihandelsabkommen voran, die laut Erklärung von Hangzhou die WTO-Vereinbarungen nun „ergänzen“ sollen. Schwellenländer ihrerseits bilden gemeinsam neue Institutionen, die mit etablierten konkurrieren. Und versteckter Protektionismus zwischen großen Handelsnationen hat laut Experten zugenommen.
Eine ähnliche Kluft zwischen Worten und Taten tut sich beim Klimaschutz auf. Die G20 hat das Ziel in Hangzhou rhetorisch aufgewertet, zieht daraus aber nur eine Folgerung für das Wirtschaftswachstum: Es soll mehr Kapital in Energieeffizienz und erneuerbare Energien fließen. Eindeutig hat das Wachstum Priorität. Dabei hat eine Studie von Climate Transparency kurz vor dem Gipfel gezeigt, dass die G20-Staaten eine Erderwärmung von deutlich mehr als zwei Grad ansteuern. Sie nutzten Energie zwar effizienter als früher; da aber zugleich die Wirtschaft wächst, sinke der Ausstoß an Treibhausgasen nicht. Keines der Länder habe die Subventionen für fossile Energie abgeschafft wie versprochen. Und um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssten die G20 sechsmal mehr Treibhausgase einsparen, als ihre Klimaschutzpläne zusammen vorsehen.
Auf Drängen Deutschlands schließlich haben die G20 die globale Flüchtlingskrise in ihre Erklärung aufgenommen: Mit einer „Einladung“ an alle Staaten, mehr Geld für humanitäre Hilfe bereitzustellen. Da die G20 zusammen fast neun Zehntel des Weltsozialprodukts erwirtschaften, ist das ein lahmer Appell an sich selbst. Nun hat der von US-Präsident Barack Obama ausgerichtete Gipfel williger Staaten am Rande der UN-Generalversammlung wenigstens ein paar Zusagen erbracht, die Hilfe aufzustocken und Flüchtlinge aufzunehmen – die G20 war dazu nicht fähig.
Das zeigt, wie schlecht es um die globale Kooperation bestellt ist – und das nicht nur wegen Krisentendenzen in der Weltwirtschaft. Die Kriege im Nahen Osten und der Ukraine, der neue Ost-West-Konflikt, die Auflösungstendenzen in der Europäischen Union und nicht zuletzt nationalistische Strömungen innerhalb vieler Länder machen die Verständigung sehr schwierig — gerade zu einer Zeit, in der sie besonders nötig ist.
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