Für die Studie wurden mehr als 27.000 Personen interviewt. Die EU wollte ermitteln, was die Europäer von Hilfe halten, wie viele sich für arme Länder engagieren – unter anderem mit Spenden – und was sie über die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung und das Europäische Jahr für Entwicklung wissen. Die letzten beiden Fragen sind schnell beantwortet: wenig. Von den SDGs hat ein gutes Drittel der Europäer schon gehört – in Nord- und Zentraleuropa, darunter Deutschland und Österreich, etwas mehr –, aber nur ein Zehntel weiß, was sie sind. Und nicht einmal jede und jeder fünfte wusste, dass die EU 2015 zum Europäischen Jahr für Entwicklung ausgerufen hatte. Über Hauptprobleme armer Länder zeigen sich viele besser im Bilde: Die Mehrheit nennt an erster Stelle Frieden und Sicherheit, gefolgt von Gesundheit und Bildung.
Laut der Befragung finden es mehr als 90 Prozent der Europäer im Grunde wichtig, Menschen in armen Ländern zu helfen; der Anteil ist in keinem Land kleiner als 70 Prozent. Nur: Wer äußert sich schon grundsätzlich gegen Hilfe? Wenn es konkreter wird, sind die Antworten weniger eindeutig. So finden knapp 70 Prozent, dass Entwicklungshilfe eine Priorität der EU sein soll, und etwa 50 Prozent, dass es eine vorrangige Aufgabe ihrer jeweiligen nationalen Regierung ist. Man sieht also hier Brüssel stärker in der Pflicht als das eigene Land.
Und wer Hilfe mehr unterstützt, erwartet auch mehr Nutzen für sich selbst. Rund drei Viertel finden, dass Entwicklungshilfe sich günstig für die EU-Bürger auswirkt und im Interesse der EU liegt – etwa weil sie den Handel und den Zugang zu Rohstoffen fördere, zu Frieden beitrage und ein wirksames Mittel gegen irreguläre Zuwanderung sei. Dass diese Hilfe wie versprochen weiter steigen soll, meinen 52 Prozent; in 17 der 28 Mitgliedsländer gibt es dafür eine Mehrheit. Dass sie sogar noch stärker steigen soll als geplant, sagen 16 Prozent. Jeweils 14 Prozent wollen dagegen die Hilfe nicht steigern oder sie senken.
Zweifel vor allem in Osteuropa
Interessant sind Unterschiede zwischen den Ländern. Die stärkste Unterstützung für Entwicklungshilfe findet sich in Schweden. Hier sowie in Zypern, Spanien und Portugal werten besonders viele Menschen sie sowohl als moralische Pflicht als auch als nützlich für Europa und den Weltfrieden. In Deutschland, Irland, den Niederlanden, Luxemburg und Malta hat Hilfe ebenfalls einen überdurchschnittlich guten Ruf. Am wenigsten hält man davon im Baltikum sowie in Bulgarien, Tschechien und der Slowakei. Dort sowie in Ungarn zweifeln auch überdurchschnittlich viele daran, dass sie der EU selbst nützt und die Zuwanderung bremsen kann. Das alles weist weniger auf allgemeine Hilfsbereitschaft hin als auf eine Spaltung Europas auch in dieser Frage.
Große Unterschiede fördern auch Fragen nach dem persönlichen Engagement zutage. Dass der oder die Einzelne zum Kampf gegen die Armut in der Welt beitragen kann, denkt eine knappe Mehrheit in der EU, doch das Spektrum reicht von 86 Prozent in Schweden über 50 Prozent in Österreich und 46 Prozent in Deutschland bis zu 17 Prozent in Estland und 14 Prozent in Bulgarien. Ebenfalls die Hälfte der Europäer erklärt sich bereit, für Nahrungsmittel und Waren aus dem Süden geringfügig mehr zu bezahlen als jetzt. In Nordeuropa, Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien sind es die meisten – mehr als 60 Prozent –, im Osten der EU nur unter 30 Prozent.
Aufschlussreich sind manche Einzelbefunde. In Deutschland und Österreich nennen deutlich mehr Menschen als anderswo Hunger als Problem armer Länder – vielleicht ein Ergebnis von Kampagnen- und Bildungsarbeit der damit befassten Hilfswerke. In Deutschland sind die Unterstützung für Entwicklungshilfe und die Bereitschaft, sich persönlich einzusetzen, deutlich größer als im Durchschnitt der EU. Doch anders als im Rest der EU sind beide nicht unter jungen, sondern unter älteren Menschen stärker ausgeprägt: Junge Deutsche engagieren sich weniger als alte und sind weniger bereit, für Waren aus dem Süden einen Aufpreis zu zahlen.
Sind Schulen wichtiger als Entwicklungshilfe?
In Österreich zeigt sich die öffentliche Meinung gespalten: Der Anteil der Unterstützer für die Entwicklungshilfe ist so hoch wie im europäischen Durchschnitt, aber er ist gesunken. Das gleiche gilt für die Bereitschaft, für Güter aus dem Süden mehr zu zahlen. Es treten zwar mehr Menschen als anderswo für starke Erhöhungen der Hilfe ein, zugleich gibt es aber mehr Gegner jeder Erhöhung und mehr Befürworter einer Kürzung als früher.
Bei der Interpretation der Zahlen ist Skepsis angebracht. In den meisten Fällen, in denen sie einen Anstieg der Unterstützung ausweisen, ist dieser nur klein. Wichtiger noch: In der politischen Praxis kommt es nicht darauf an, was Bürgerinnen und Bürger an sich sinnvoll finden. Da die Gesamtausgaben stets begrenzt sind, wäre die relevante Frage: Wie viel Gewicht wird der Entwicklungshilfe im Vergleich zu zum Beispiel Schulen, Straßen, Forschung, Sozialhilfe oder diverse Subventionen gegeben? Das ist eher wenig; Entwicklungspolitik beeinflusst zum Beispiel das Stimmverhalten bei Wahlen kaum. Würde man fragen, ob man für Hilfe auch Geld ausgeben soll, wenn dafür anderswo gekürzt werden muss, dann bekäme man wohl andere Ergebnisse als die vorliegenden.
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