Die internationale Nahrungsmittelhilfe laufe vor allem über den staatsnahen Syrisch-Arabischen Roten Halbmond und andere vom Regime anerkannte Organisationen, erklären José Ciro Martínez und Brent Eg in einem Beitrag in der Zeitschrift „International Affairs“. Die Hilfsorganisationen beriefen sich zwar auf das humanitäre Grundprinzip der Neutralität, das jegliche Zusammenarbeit mit einer Konfliktpartei untersagt. Doch sie seien längst in die Dynamik der politischen und militärischen Auseinandersetzung verstrickt.
Hilfslieferungen gelangten in erster Linie in die von Regierungstruppen kontrollierten Gebiete. Das ermögliche der Regierung, diese Regionen als relativ ruhig und sicher darzustellen. Indem das Regime die Verteilung von Nahrungsmitteln gestatte, könne es zudem Geld für die soziale Unterstützung der Bevölkerung sparen und für militärische Zwecke einsetzen.
In den oppositionellen Städten Babila, Beit Shem und Yelda habe das Regime nach mehrmonatiger Belagerung Nahrung als Druckmittel benutzt, um 2014 einen Waffenstillstand zu schließen. Unmittelbar nach den Abkommen habe der Rote Halbmond begonnen, die Bevölkerung zu versorgen und tue das bis heute. Den Einwohnern sei damit eine „enorme Last von den Schultern genommen“ worden, wird ein Aktivist zitiert, der anonym bleiben will. „Nun müssen sich die Menschen nicht mehr sorgen, zu verhungern.“
Belagerte Dörfer und Städte wie Madaya oder von Rebellen kontrollierte Regionen erweckten hingegen den Eindruck von Hunger und Chaos, heißt es in der Studie weiter. Zugleich berichten die Autoren jedoch auch von Versuchen des sogenannten Islamischen Staates und anderer Gruppen wie Jaish al-Islam, Hilfslieferungen unter ihre Kontrolle zu bringen und teils ihren Kämpfern zukommen zulassen.
Deutschland will 200 Millionen Euro bereitstellen
Martínez und Eg haben für ihre Studie zwischen 2013 und 2015 mehr als 100 Gespräche mit humanitären Helfern, einheimischen Freiwilligen sowie Vertretern der syrischen Regierung und oppositionellen Gruppen geführt. Sie äußern grundsätzliche Kritik am Anspruch der Neutralität der Hilfe: Das Prinzip verschleiere in Wirklichkeit nur die Art, wie Hilfslieferungen in Konflikten für politische und militärische Zwecke vereinnahmt werden. Und es verhindere die dringend notwendige Diskussion darüber, wie Menschen in Not geholfen werden kann, ohne unbeabsichtigt politischen Schaden anzurichten.
Am Donnerstag kommen in London Vertreter von mehr als 70 Regierungen zusammen, um über Hilfen für Syrien zu beraten. Darunter ist auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Neben finanziellen Zusagen sollen Zukunftsperspektiven für Flüchtlinge in der Region geschaffen werden, vor allem durch Bildung und den Zugang zum Arbeitsmarkt. Deutschland will nach Angaben des Entwicklungsministeriums 200 Millionen Euro für ein „cash-for-work-Programm“ bereitstellen. Rund 500.000 Flüchtlinge sollen sich gegen Bezahlung an der Errichtung von Gesundheitsstationen, Schulen und Unterkünften beteiligen.
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