Ein Kurswechsel zeichnet sich in der deutschen Entwicklungspolitik ab: Der neue Minister Dirk Niebel betrachtet es als eine ihrer Hauptaufgaben, zur Sicherheit Deutschlands beizutragen. Dabei hat er besonders Gefahren im Blick, die von schwachen Staaten ausgehen.
Das scheint zunächst nichts Neues zu sein. Schließlich befasst sich die Entwicklungspolitik seit den 1990er Jahren immer stärker mit Sicherheitsfragen – aus mindestens zwei guten Gründen: Erstens hat sie es häufig mit unsicheren, von Gewalt und Rechtlosigkeit geprägten Umfeldern zu tun. Wenn man nicht unbeabsichtigt Gewalttäter unterstützen, sondern Friedensansätze fördern will, muss man genau überlegen, welche Art Hilfe dort sinnvoll ist. Zweitens sind Kriege eins der größten Entwicklungshemmnisse. Seit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auch eine Reihe von Bürgerkriegen im Süden beigelegt werden konnte, ist die Unterstützung von Friedensprozessen zu einem wichtigen Arbeitsfeld der Entwicklungspolitik geworden, oft im Rahmen von UN-Friedenseinsätzen. In Deutschland wurde dafür 1999 auch der Zivile Friedensdienst geschaffen.
Bei all dem stand freilich die Sicherheit der Bevölkerung in von Gewalt betroffenen armen Ländern im Zentrum. Zwar hat auch Niebels Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul oft gesagt, die Entwicklungspolitik vermindere Gefahren für uns wie die, dass Afrikaner massenhaft nach Norden wandern oder verelendete Jugendliche sich transnationalen Terrorgruppen anschließen. Aber sie nutzte das als taktisches Argument, um den Stellenwert der Entwicklungspolitik und damit ihr Budget zu steigern. Viele nichtstaatliche Organisationen sind ihr darin gefolgt. Seit den Terroranschlägen in New York 2001 hat das auch funktioniert. Was sie als Nebeneffekt der Hilfe angepriesen hat, erklärt aber nun Dirk Niebel zu einem ihrer Hauptziele: „Die Bundesregierung hat zu allererst die Sicherheitsinteressen Deutschlands im Blick zu haben und das mit den Entwicklungsinteressen der Partnerländer zu verbinden“, sagt er (siehe Seite 50 in diesem Heft). Es geht nun also mehr um „unsere“ als um „ihre“ Sicherheit.
Man wird genau beobachten müssen, ob damit die Hilfe an – teils oft kurzsichtigen – Bedrohungswahrnehmungen ausgerichtet wird. Was der Sicherheit Deutschlands zu dienen scheint, muss ja keineswegs zugleich der Mehrheit der Einheimischen nutzen. Die Benachteiligten zu stärken, kann zum Beispiel politische Konflikte zunächst anheizen und Regierungen destabilisieren. Sicherheitspolitiker geben in solchen Zielkonflikten in der Regel der Stabilisierung der bestehenden Ordnung Vorrang. Im Kalten Krieg musste auch die Entwicklungspolitik dem folgen. Die Hilfe für Zaires Diktator unter dem Motto „Mobutu oder das Chaos“ hat gezeigt, dass dies langfristig nicht einmal sicherheitspolitisch klug ist. Sollte sich dieser Fehler jetzt im Jemen wiederholen? Und soll man die Hilfe auf fragile Staaten konzentrieren wie Afghanistan, von denen vermeintlich Gefahren für uns ausgehen, und solche wie die Zentralafrikanische Republik weiter vernachlässigen? Soll sie auch die Sicherheit unserer Rohstoff-Importe in den Blick nehmen?
Natürlich muss die Bundesregierung die Sicherheit Deutschlands im Auge haben. Doch dafür tragen das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium ausreichend Sorge. Das Entwicklungsministerium hat bisher die Interessen und Sichtweisen der Partnerländer ins Kabinett eingebracht. Sollte es sich jetzt auch vorrangig an der Sicherheit Deutschlands orientieren, dann verlören diese ihren Anwalt im Kabinett. Das wäre so, als würde das Justizministerium seine Rolle als Anwalt der Bürgerrechte aufgeben und sich auf die Seite der Staatsschützer im Innenministerium schlagen.
Der Anspruch, sie solle unserer Sicherheit dienen, dürfte die Entwicklungspolitik zudem überfordern. Es ist fraglich, ob sie etwa zur Eindämmung der Migration beitragen oder die Loyalität der Bevölkerung gegenüber einer Interventionsarmee gewinnen kann. Hierfür hat die Regierung Bush sie in Afghanistan in Dienst genommen – mit zweifelhaftem Erfolg. Die Befürworter der Entwicklungsarbeit sollten sich auf deren Eigenwert besinnen und den auch dem Minister deutlich machen. Auch wenn der Einsatz gegen Armut und Ungerechtigkeit wenig zur Abwehr akuter Bedrohungen beiträgt: Er stärkt am Ende dieselben Werte, die der Vision von gemeinsamer, kooperativer Sicherheit zugrunde liegen.