Kontrolle im Cyberspace

Mehr als 40 Länder weltweit zensieren das Internet: Sie wollen pornografische Inhalte oder religiöse Hasstiraden verbieten, aber auch Kritik und freie Meinungsäußerungen unterbinden. Vor allem junge Internet-Nutzer wollen sich das nicht gefallen lassen.

Vor zehn Jahren hielt kaum jemand eine Zensur des Internets für denkbar. Eben erst hatte John Perry Barlow die Unabhängigkeit des Cyberspace von staatlicher Kontrolle verkündet: „Ich erkläre den globalen sozialen Raum, den wir errichten, als gänzlich unabhängig von der Tyrannei, die Ihr über uns ausüben wollt.“ Nur eine Handvoll Staaten begrenzte den Zugang ihrer Bürger zu Informationen im Netz. Inzwischen gibt es in mehr als 40 Ländern die eine oder andere Form der Internetzensur, und noch mehr vertrauen darauf, dass Unternehmen in ihrem Sinne tätig werden und Inhalte einschränken.

Die Gründe dafür reichen von Verboten für freizügige sexuelle Inhalte bis hin zu einer umfassenden Zensur von Webseiten der politischen Opposition oder von Menschenrechtsorganisationen. Aber die Motivation dafür ähnelt sich oft: Nicht selten scheint Angst dahinter zu stecken. Das zeigte sich auch im vergangenen Jahr. Als Reaktion auf die Aufstände in Tunesien und Ägypten und die davon inspirierten Nachahmer griffen Regierungen hart gegen die freie Meinungsäußerung durch. Webseiten wurden zensiert, und wer sich im Internet zu äußern wagte, wurde verfolgt. Es handelt sich um ein globales Phänomen, das nicht abzuklingen scheint.

Autorin

Jillian C. York

arbeitet bei der „Electronic Frontier“-Stiftung in San Francisco und befasst sich vor allem mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Zensurversuchen im Internet.

Als Saudi-Arabien seine Bürger im Jahr 2000 erstmals ins Internet ließ, war man gut vorbereitet und blockierte von Anfang an den Zugang zu einer Reihe von Webseiten. Nur anderthalb Jahre später monierte das arabische Netzwerk für Menschenrechtsinformationen in einem Bericht, dass die Regierung nicht weniger als 200.000 Seiten blockiere. Bis 2004 hatte sich diese Zahl mehr als verdoppelt. Saudi-Arabien, bekannt für seine restriktive Haltung gegenüber allen Medien, stellt den Erfolg seiner Internetzensur durch ein Team mit mehreren tausend Mitarbeitern sicher, das unannehmbare Inhalte identifiziert.

An solcher Gründlichkeit können sich nur Iran und China messen. Dessen „Große Firewall“, wie sie von den Medien genannt wird, sperrt unzählige Internetseiten, die auf Servern außerhalb Chinas liegen, während Unternehmen im Inland zu einer weitgehenden Zensur ihrer Online-Plattformen gezwungen sind. Die chinesische Zensur findet praktisch in Echtzeit statt. Vor kurzem bannte die Regierung das Suchwort „Ferrari“ aus den Suchmaschinen, um den Bürgern den Zugang zu Informationen über einen Autounfall mit mutmaßlicher Beteiligung eines Regierungsbeamten zu verwehren.

Andere Länder zeigen sich lockerer, nutzen aber Verleumdungsgesetze, um die Entfernung von Inhalten zu erzwingen oder Blogger aufgrund irgendwelcher Vorwürfe festnehmen zu lassen. In der Türkei kann praktisch jeder bei einem Richter im Rahmen einer Verleumdungsklage die Sperrung einer Seite beantragen. So lässt sich auch legitime Kritik an öffentlichen Personen unterdrücken. Die marokkanischen Behörden haben vor kurzem einen Blogger wegen „Online-Piraterie“ verurteilt, nachdem er die zehn Jahre alte Karikatur eines französischen Journalisten mit einer Abbildung von Mohammed VI. hochgeladen hatte. In einem ähnlichen Fall nahmen die Behörden in Südkorea im Februar 2011 einen Blogger wegen seiner sarkastischen Kommentare über das nordkoreanische Regime auf Twitter fest – mit der Begründung, seine Kurznachrichten verstießen gegen das nationale Sicherheitsgesetz.

Google muss sich an die Regeln des Gastlandes halten

Der Einsatz von Filter-Software und anderer Technologien, oft aus dem Westen, ermöglicht Ländern wie Katar die wirksame Blockade einer ganzen Reihe von Inhalten. Zwar ist die Zensur insofern transparent, als die Internetnutzer auf eine karikaturhafte Seite weitergeleitet werden, sobald sie versuchen, eine gesperrte Webseite zu öffnen. Der Einsatz des kanadischen Tools Netsweeper zog 2011 aber auch die Sperrung der beliebten Blogging-Plattform „Tumblr“ nach sich, weil eine große Anzahl der dort gehosteten Seiten angeblich pornografische Inhalte enthielt. Ähnliche Geschichten wurden aus Jemen, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten bekannt. Sogar Länder wie Finnland, in den weltweiten Rankinglisten für Pressefreiheit ganz oben, laufen Gefahr, bei der Sperrung von Inhalten im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch übereifrig harmlose Inhalte zu blockieren, weil die Filter-Software nicht präzise arbeitet.

Westliche Technologie wird darüber hinaus von vielen, zuweilen auch demokratischen Regierungen genutzt, um Bürger auszuspähen. Vor der Amtsenthebung des früheren Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali zensierte und überwachte die tunesische Regierung ungeniert ihre Bürger, und das auch noch zu einem Rabattpreis: Im Gegenzug für einen günstigen Preis testeten amerikanische Unternehmen in dem Land ihre Software auf Fehleranfälligkeit. Neben Zensursoftware und Spyware spielen auch Anbieter von Onlinediensten eine Rolle beim Zugang zu Informationen. Tritt ein Unternehmen wie Google auf einem ausländischen Markt auf und eröffnet vor Ort Büros, muss es sich an die Regeln des Gastlandes halten.

Zwar argumentieren die Unternehmen, wie Google 2006 in China, dass ihre Expansion den Zugang zu Informationen verbessere. Aber ihre Rolle bei der Unterstützung einer repressiven Zensurpolitik ist problematisch. Laut dem Transparency Report von Google forderten Regierungen das Unternehmen innerhalb eines halben Jahres mehr als 500 Mal auf, bestimmte Inhalte zu entfernen. Zwar hat Google nicht allen Aufforderungen entsprochen, aber die Zahl der entfernten Inhalte – wie etwa 461 in Brasilien – lässt nichts Gutes ahnen. Google steckt nicht allein in dieser Klemme. Andere multinationale Anbieter von Onlinediensten wie Yahoo! und Microsoft hatten schon mit ähnlichen Problemen zu tun. Erst kürzlich kündigte Twitter einen neuen Mechanismus an, mit dem das Unternehmen nach Erhalt einer von den Gesetzen gedeckten Aufforderung Inhalte nur für das Land sperren kann, aus dem diese Aufforderung stammt.

Der Kampf für die digitalen Rechte hat eine Eigendymanik entfaltet

Die Onlinedienste gehen sehr unterschiedlich mit Zensur um. Die Ankündigung von Twitter verärgerte Nutzer, die die Plattform zuvor für ihre eindeutige Haltung zur freien Meinungsäußerung gelobt hatten. Andere Unternehmen sind in den Ruf geraten, in vorauseilendem Gehorsam eine Zensur im Sinne der Regierungsbeamten walten zu lassen. Facebook wurde 2010 kritisiert, als es das Foto zweier sich küssender Männer zensierte, und steht auch im Visier von Frauen, die sich daran stören, dass das kategorische Vorgehen gegen Nacktfotos auf der Plattform auch vor den Bildern stillender Mütter nicht Halt macht. Am Ende bleibt den Unternehmen nur eine Wahl: Zensur oder Rückzug. Neu gegründete Unternehmen müssen angesichts dieser Anforderung entscheiden: Ist es den finanziellen Aufwand – und die Mühe – wert, sich etwa in China zu engagieren? Wiegt das Ziel, mehr Informationen bereitzustellen, die möglichen Kosten auf?

Aber auch der Widerstand gegen die zunehmende Internetzensur ist stärker geworden, wie zuletzt die globale Kritik an Twitters jüngstem Strategiewechsel gezeigt hat. Je mehr die Meinungsfreiheit im Internet bedroht ist, desto mehr interessiert sich die Öffentlichkeit dafür. Der iranische Aufstand 2009, der Aufschrei nach der Veröffentlichung und der nachfolgenden Zensur von diplomatischen Berichten auf WikiLeaks und die Proteste gegen geplante Copyright-Gesetze zeigen, dass der Kampf für die digitalen Rechte gewachsen ist und eine Eigendynamik entfaltet hat, die sich mitunter auch außerhalb des Netzes auswirkt.

In der Türkei etwa kam es in 30 Städten zu Protesten, nachdem ein Regierungsprogramm zur Filterung des Internets angekündigt worden war. Im Februar 2012 gingen Tausende in ganz Europa auf die Straße, um gegen das geplante Urheberrechts-Abkommen ACTA zu demonstrieren. Die Sorge war, dass das Abkommen mit seinen breit angelegten Maßnahmen zum Schutz der Urheberrechte der Meinungsfreiheit im Internet einen empfindlichen Schlag versetzen würde. Bei den Protesten gegen die US-Gesetzesvorlagen „Stop Online Piracy Act“ (SOPA) und „Protect IP Act“ (PIPA) wurden in den Vereinigten Staaten und weltweit Dutzende kommerzieller Webseiten in einem Akt der Solidarität mit den Verfechtern der Meinungsfreiheit „geschwärzt“. Google änderte sein Logo auf der Homepage in eine „zensierte“ Variante.

Unternehmen sind oft seltsame Kumpane der Bewegung für die digitalen Rechte. Google weiß genau, dass ein freies Internet besser für das Geschäft ist: 2010 veröffentlichte der Internetriese ein Papier, in dem ausgeführt wird, wie die Internetzensur die Wirtschaft bedroht. Die Filterung des Internets erschwere es Internetunternehmen, ihre Kunden zu erreichen, und bedeute für Unternehmen, die auf das Internet angewiesen sind, möglicherweise eine Einschränkung ihrer Produktivität, schreiben die Google-Manager. „Werden solche Filter nur auf das Auslandsgeschäft angewendet, haben ausländische Webseiten – und die Unternehmen, die für das Marketing und den Verkauf ihrer Produkte auf ausländische Webseiten angewiesen sind – gegenüber lokalen Mitbewerbern das Nachsehen.“

Googles Engagement erstreckt sich auch auf die empfindlichste Untergruppe der Internetgemeinde: die Aktivisten. 2010 veranstaltete das Unternehmen in Budapest eine Konferenz unter dem Motto „Internet at Liberty“. Während manche die Veranstaltung als einen Versuch zur Vereinnahmung der Internetnutzer kritisierten, sparten die offenen Diskussionen dort auch kontroverse Themen wie WikiLeaks nicht aus.

Die Herausforderungen für ein freies Internet sind groß

Auch Twitter wurde in die Debatte über die Meinungsfreiheit hereingezogen. Als der saudische Prinz Alwaleed Bin Talal in das Unternehmen investierte, war die Reaktion heftig: Einige Nutzer – darunter nicht wenige im Nahen Osten – sahen eine Beeinträchtigung des Dienstes voraus, weil Alwaleed einen ungebührenden Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben könnte. Twitter stellte klar, dass der Investor keine Stimme im Vorstand haben würde, aber einige Nutzer blieben skeptisch. Twitter hat sich unzählige Male für die Meinungsfreiheit ausgesprochen und der Geschäftsführer Dick Costolo hat das Unternehmen einst den „Flügel für Meinungsfreiheit der Partei für Meinungsfreiheit“ genannt. Die Herausforderungen für ein freies, weltumspannendes Internet sind mit Sicherheit groß. Versuche, seiner „Balkanisierung“ entgegenzuwirken, sind schwierig, weil eine solche Fragmentierung nicht nur von autokratischen Regimen vorangetrieben wird. Sie wird auch von demokratisch gewählten Regierungen, Onlinediensten, Plattformen mit von Nutzern generierten Inhalten und Unternehmen unterstützt.

Zensur existiert nicht im luftleeren Raum. Jeder Schritt hin zu mehr Freiheit hat einen Rückschritt zufolge, weil Regierungen neue Lösungen entdecken, die Äußerung der freien Meinung zu beschneiden. So lange es nicht möglich ist, die weltweit schlimmsten Missetäter von einer Öffnung des Internets zu überzeugen, helfen nur klare Entscheidungen, um die Zensur zu entschärfen. Zwar gibt es reichlich Technologien, sie zu umgehen, aber damit wird das Problem nur kaschiert. Verantwortungsbewusste Unternehmen haben im Grunde nur eine Wahl: sich in einem neuen Land zu engagieren und möglicherweise Zensur in Kauf zu nehmen oder prinzipientreu zuzusehen, wie die Mitbewerber das Geschäft machen.

Das Ideal zu erreichen, scheint fast unmöglich. Aber die Kosten, uns nicht für unsere Rechte einzusetzen, sind zu hoch, um sie zu ignorieren. Unzählige Netzbürger, darunter viele Jugendliche, haben den Kampf für die freie Meinungsäußerung längst selbst in die Hand genommen. Die Bewegung wächst und mischt sich zunehmend in die öffentliche Debatte ein. Es ist unerlässlich, dass dieser Kampf fortgeführt wird. Während wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln, dürfen wir unsere grundlegenden Rechte und Freiheiten nicht aufgeben.

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan

 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2012: Digitale Medien: Das Versprechen der Technik
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