Wie Dawoud zu David und dann Dawit wird

Haji Jabir: Morgen ein Anderer. InterKontinental, Berlin 2024, 257 Seiten, 24 Euro

Der verstörende Roman des eritreischen Schriftstellers und Journalisten Haji Jabir erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der aus seiner Heimat Eritrea nach Israel flieht und sich dabei selbst verliert.

Jabir macht es den Lesenden nicht einfach, seinen Protagonisten kennenzulernen: Er erzählt dessen Fluchtgeschichte von Eritrea über Äthiopien nach Israel nicht chronologisch. Mal springt die Handlung ans Ende der Flucht, mal ist man mittendrin. Den  eigentlichen Anfang erzählt Jabir erst spät. So weiß man lange nicht so recht, wem man beim Lesen folgt. Klar ist nur: Es ist ein junger Mann, der geflohen ist, weil er dort, wo er herkommt, keine Zukunft hat. 

Je nachdem, wo sich der junge Mann befindet, trägt er einen anderen Namen: Dawoud, David oder Dawit. Damit macht der Autor deutlich, dass der Erfolg einer Flucht auch von der Identität des Flüchtenden abhängt. So gibt sich der Protagonist im Interview mit dem Vertreter einer europäischen Hilfsorganisation den christlichen Namen David, weil er sich davon einen Vorteil verspricht. Seine Lebensgeschichte schmückt er mit Details aus, von denen unklar bleibt, ob sie wahr oder erfunden sind. Schließlich muss er den weißen Mann vor ihm überzeugen, dass er ihn in das Kontingent derjenigen aufnimmt, die aus humanitären Gründen das Lager in Äthiopien Richtung Westen verlassen dürfen. Seine Strategie schlägt fehl, seine Geschichte überzeugt nicht. 

Zu „Dawit“ wird er, als er von den äthiopischen Fallascha-Juden hört, die in einem vom Staat Israel organisierten Einwanderungsprogramm auf ihre neue Heimat vorbereitet werden. Er muss bestechen, sich verstellen und verleugnen, lernt Hebräisch und die nötigen praktischen Kenntnisse, um als vermeintlicher Jude unter Juden nicht aufzufallen. Doch auch Israel, das er so erreicht, ist nicht das gelobte Land. Schnell merkt er, dass auch hier die Identität über Chancen und Möglichkeiten entscheidet. 

Sein eigentlicher Name ist Adal

Warum er ursprünglich als „Dawoud“ – die muslimische Form des Namens – aus Eritrea geflohen ist, kommt erst spät ans Licht. Der junge Mann ist im Umfeld der Schlachtfelder im Unabhängigkeitskrieg Eritreas von Äthiopien geboren. Er kennt weder Mutter noch Vater, ist die Frucht einer kurzen sexuellen Beziehung zwischen einer Freiheitskämpferin und einem Freiheitskämpfer, die sich nach den blutigen Schlachten am Tag in der Nacht ein bisschen Vergnügen gönnten. Aufgezogen wurde er von wechselnden Frauen, alle ebenfalls Kämpferinnen in dem drei Jahrzehnte dauernden Krieg. Sein eigentlicher Name ist Adal, nach der ersten siegreichen Schlacht gegen Äthiopien 1961. Zu „Dawoud“ wird er, als er sich in eine junge Frau verliebt, der er nicht gestehen will, dass er gar nicht weiß, woher er eigentlich kommt. Allein diese Geschichte hätte für einen Roman gereicht. 

„Morgen ein Anderer“ ist Haji Jabirs fünfter Roman, aber der erste, der ins Deutsche übersetzt ist. Der Autor, der mittlerweile in Katar lebt, will mit seinen Büchern Eritrea aus der kulturellen Isolation holen. Doch geht es ihm nicht nur um sein Heimatland. 

Es geht ihm auch um die Menschen, die in Eritrea geboren werden und dort keine Zukunft haben, die fliehen müssen vor einem Militärregime, das kleinste Verstöße mit drakonischen Strafen ahndet. Für Adal/Dawoud/David/Dawit endet die Flucht in Jerusalem und damit in der Stadt, in der religiöse Identität und nationale Zugehörigkeit über das Schicksal eines Menschen bestimmen wie in kaum einer anderen. „Morgen ein Anderer“ ist kompliziert komponiert, grandios erzählt und mit einem scharfen Blick auf die Tiefen und Untiefen der menschlichen Natur geschrieben. 

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