Armut und Reichtum

Marén Gröschel

Knapp 700 Millionen Menschen müssen mit weniger als 2,15 US-Dollar täglich auskommen. Diese Zahl ist in der Corona-Krise wieder gestiegen, zugleich hat die Zahl der Milliardäre zugenommen. Dabei sollen laut den UN-Nachhaltigkeitszielen extreme Armut bis 2030 beseitigt und soziale Ungleichheit verringert werden. Beides ist nicht in Sicht – und das eine geht nicht ohne das andere. 

Aktuell zum Thema

Entwicklung
Indien gilt als aufstrebende Wirtschaftsmacht, bleibt aber bei Gesundheit und Lebenserwartung hinter Nachbarländern wie Nepal zurück. Das liegt an der enormen Ungleichheit.
Die neoliberale Politik hat ein Wirtschaftssystem geschaffen, das Vermögensbesitzer reich und einen Großteil der Arbeitenden arm macht. Ein Grundeinkommen wäre ein wichtiger Ansatz, dies zu ändern.

weitere Artikel zum Thema

Sambia
Sambia im südlichen Afrika wandelt sich, wie ein Gang durch die Hauptstadt Lusaka deutlich macht. Schicke Viertel entstehen dort für die wachsende Mittel- und Oberschicht. Aber selbst hier zeigt sich die breite Kluft zwischen Arm und Reich, die das Land auch heute noch kennzeichnet.
Fünf Fragen
Carina Vetye, eine Enkelin von nach Argentinien ausgewanderten Deutschen, leitet eine Apotheke in Armenvierteln von Buenos Aires und koordiniert Hilfe von Apotheker ohne Grenzen Deutschland.
Ein junger Mann kniet zwischen Kreuzen mit Rosen, eine Faust geballt, in der anderen Hand eine Fahne Kenias.
Kenia
Kenias Präsident William Ruto hat Ende Juni nach heftigen Protesten ein Gesetz zu einigen Steuererhöhungen gestoppt. Kurz zuvor hatten ihn Kirchenführer ins Gebet genommen. Bischof David Kodia zu Hintergründen und wie es weitergeht.

Gut zu wissen

Armutsgrenze
Wer sind die Ärmsten und was würde ihnen helfen?
Alle Menschen sollen genug für ein würdiges Leben haben – das ist auch ein Hauptziel der Entwicklungspolitik. Da gab es seit 1990 große Fortschritte, vor allem dank des Wirtschaftswachstums in Ländern Asiens: 1990 war noch jeder dritte Mensch extrem arm, 2022 weniger als jeder zehnte. In großen Teilen Afrikas und in Indien sind die Fortschritte aber zu langsam – auch weil der Reichtum sehr ungleich verteilt ist.

Armut länderübergreifend zu messen, ist schwierig. Die meist benutzten Zahlen dazu erstellt die Weltbank. Als extrem arm gilt für sie jetzt, wer weniger Geld pro Tag zur Verfügung hat als den Gegenwert von 2,15 US-Dollar im Jahr 2017. Die Inflation und Unterschiede in der Kaufkraft von Land zu Land werden herausgerechnet, um die Angaben vergleichbar zu machen. Die meisten extrem Armen leben heute in Afrika südlich der Sahara oder in Südasien, ein großer Teil in fragilen Staaten oder Ländern im Bürgerkrieg.

Zweifel gibt es aber, ob die von der Weltbank angesetzte unterste Armutsgrenze angemessen ist. Sie entspricht etwa dem Mittel der nationalen Armutsgrenzen in den ärmsten Ländern. Aber grob die Hälfte der „extrem Armen“ lebt nicht dort, für sie müsste eine höhere Grenze für extreme Armut gelten. Zudem fallen Menschen, die knapp über der unteren oder mittleren Armutsgrenze leben, bei Krankheit, Unfällen oder Wetterschäden sehr leicht wieder darunter zurück. 

Das Einkommen ist auch kein ausreichendes Maß für Armut: Zugang zu freien Gütern und öffentlichen Diensten wie dem Gesundheits- und Bildungswesen beeinflussen den Lebensstandard stark. Die Universität Oxford hat daher einen Index der multidimensionalen Armut entwickelt, der das berücksichtigt. Danach sind noch über eine Milliarde Menschen multidimensional arm. Die Zahlen der Weltbank verleiten also dazu, das Problem zu unterschätzen.

Was Armut mindert und was sie verfestigt, ist im Grunde klar. Die Pro-Kopf-Einkommen in armen Ländern schnell und deutlich zu steigern, erfordert Wirtschaftswachstum – aber das genügt nicht. Entscheidend sind gezielte politische Schritte zugunsten armer Menschen. Dazu gehört der Ausbau der Sozialsicherung; Bargeldleistungen an Bedürftige sind wirksam, populistische Regierungen nutzen sie zunehmend. Wichtig ist, soziale Dienste wie das Bildungs- und Gesundheitswesen und Strom- und Wasserversorgung für Menschen mit wenig Geld zugänglich zu machen. 

Und es gilt, soziale Ungleichheit zu verringern. Wachstum hilft den Armen umso mehr, je mehr sie davon abkriegen. Die Ungleichheit hat in den jüngsten Jahrzehnten innerhalb vieler Entwicklungsländer zugenommen, darunter in Indien und China; in anderen ist sie gesunken. Ein Weg, sie einzudämmen, ist, soziale Dienste aus Steuern auf hohe Einkommen und auf Kapitalgewinne zu finanzieren. Das ist allerdings keine rein nationale Aufgabe: Nötig sind auch globale Regeln für Konzernbesteuerung und für einen fairen Umgang mit Staatsschulden sowie die Austrocknung von Steuerparadiesen, in denen Superreiche aus Nord wie Süd ihren Reichtum verstecken können.

Hintergrund

Die Ungleichheit weltweit ist in den vergangenen Jahrzehnten etwas gesunken. Aber innerhalb vieler Länder ist sie gewachsen, und eine winzige internationale Gruppe von Superreichen ist entstanden – mit sehr schädlichen Folgen.

Das empfiehlt die Redaktion

In der Debatte darüber, was gegen internationale Ungleichheit zu tun ist, wird die Kolonisierung meist ausgeblendet. Dabei hat sie den Norden reicher und große Teile des Südens ärmer gemacht – mit Folgen bis heute.
Der Jahresbericht der OECD zur Entwicklungszusammenarbeit steckt die Ziele hoch: Die Aufgabe sei, den Übergang zu grünem Wirtschaften zu fördern und zugleich Armut und Ungleichheit zu bekämpfen.
Die US-Wohltätigkeitsorganisation GiveDirectly überweist seit 2018 rund 22.000 Dorfbewohnern in Kenia monatlich je 22,50 US-Dollar. Die bedingungslose Hilfe wirkt, so eine Zwischenstudie.

Tipp

Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Ashoka Mody zeigt in seinem Buch "India Is Broken", wie Indiens Premierminister Narendra Modi zunehmend autoritär regiert, ethnische und religiöse Konflikte schürt und Korruption auf allen gesellschaftlichen Ebenen duldet.
Alia Trabucco Zerán porträtiert in ihrem Roman "Mein Name ist Estela" die neoliberal geprägte Klassengesellschaft Chiles. Erzählerin der äußerst spannenden Geschichte ist die Hausangestellte Estela.
Titelbild Vorsicht Subkultur!
Unbequem sein und gesellschaftlich brisante Fragen aufwerfen – das leisten Kunst und Kultur, die noch nicht massentauglich gezähmt sind. So gibt die Punkband „Crystal Axis“ der kenianischen Jugend eine Stimme. In Nepal nutzen Künstlerinnen eine traditionelle Maltechnik für feministische Bilder. Und im Kulturzentrum „El Mejunje“ hat Kubas Vielfalt ein Zuhause.
„welt-sichten“ per E-Mail
Unsere drei verschiedenen Newsletter informieren jeweils über Neues bei „welt-sichten“, über die aktuellste Ausgabe oder liefern zusätzlich zahlreiche Lesetipps und Studien zu globaler Entwicklung. Sie haben die Wahl!

weitere Themen

Eine gerechtere und friedlichere Welt ist möglich – und die Entwicklungspolitik soll dazu beitragen. Noch dominieren westliche Geberländer das Feld, doch große Schwellenländer wie Brasilien, China und Indien engagieren sich zunehmend in der Süd-Süd-Kooperation. Die Ziele von Entwicklungspolitik ändern sich, seit es sie gibt. Und immer ist sie dem Risiko ausgesetzt, für andere politische Zwecke instrumentalisiert zu werden.

Die Menschenrechte gelten für alle. In der Praxis aber werden sie von repressiven Regierungen oder durch entwürdigende Lebensumstände immer wieder verletzt. Debattiert wird zudem, ob die Menschenrechte in verschiedenen Kulturen Verschiedenes bedeuten und ob politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechten gleich wichtig sind. Und überall müssen Menschen für die Verwirklichung ihrer Rechte kämpfen.

Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!