Armut länderübergreifend zu messen, ist schwierig. Die meist benutzten Zahlen dazu erstellt die Weltbank. Als extrem arm gilt für sie jetzt, wer weniger Geld pro Tag zur Verfügung hat als den Gegenwert von 2,15 US-Dollar im Jahr 2017. Die Inflation und Unterschiede in der Kaufkraft von Land zu Land werden herausgerechnet, um die Angaben vergleichbar zu machen. Die meisten extrem Armen leben heute in Afrika südlich der Sahara oder in Südasien, ein großer Teil in fragilen Staaten oder Ländern im Bürgerkrieg.
Zweifel gibt es aber, ob die von der Weltbank angesetzte unterste Armutsgrenze angemessen ist. Sie entspricht etwa dem Mittel der nationalen Armutsgrenzen in den ärmsten Ländern. Aber grob die Hälfte der „extrem Armen“ lebt nicht dort, für sie müsste eine höhere Grenze für extreme Armut gelten. Zudem fallen Menschen, die knapp über der unteren oder mittleren Armutsgrenze leben, bei Krankheit, Unfällen oder Wetterschäden sehr leicht wieder darunter zurück.
Das Einkommen ist auch kein ausreichendes Maß für Armut: Zugang zu freien Gütern und öffentlichen Diensten wie dem Gesundheits- und Bildungswesen beeinflussen den Lebensstandard stark. Die Universität Oxford hat daher einen Index der multidimensionalen Armut entwickelt, der das berücksichtigt. Danach sind noch über eine Milliarde Menschen multidimensional arm. Die Zahlen der Weltbank verleiten also dazu, das Problem zu unterschätzen.
Was Armut mindert und was sie verfestigt, ist im Grunde klar. Die Pro-Kopf-Einkommen in armen Ländern schnell und deutlich zu steigern, erfordert Wirtschaftswachstum – aber das genügt nicht. Entscheidend sind gezielte politische Schritte zugunsten armer Menschen. Dazu gehört der Ausbau der Sozialsicherung; Bargeldleistungen an Bedürftige sind wirksam, populistische Regierungen nutzen sie zunehmend. Wichtig ist, soziale Dienste wie das Bildungs- und Gesundheitswesen und Strom- und Wasserversorgung für Menschen mit wenig Geld zugänglich zu machen.
Und es gilt, soziale Ungleichheit zu verringern. Wachstum hilft den Armen umso mehr, je mehr sie davon abkriegen. Die Ungleichheit hat in den jüngsten Jahrzehnten innerhalb vieler Entwicklungsländer zugenommen, darunter in Indien und China; in anderen ist sie gesunken. Ein Weg, sie einzudämmen, ist, soziale Dienste aus Steuern auf hohe Einkommen und auf Kapitalgewinne zu finanzieren. Das ist allerdings keine rein nationale Aufgabe: Nötig sind auch globale Regeln für Konzernbesteuerung und für einen fairen Umgang mit Staatsschulden sowie die Austrocknung von Steuerparadiesen, in denen Superreiche aus Nord wie Süd ihren Reichtum verstecken können.