Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Ashoka Mody zeigt in seinem Buch "India Is Broken", wie Indiens Premierminister Narendra Modi zunehmend autoritär regiert, ethnische und religiöse Konflikte schürt und Korruption auf allen gesellschaftlichen Ebenen duldet.
Der Autor zeichnet anhand der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes mit zum Teil bitteren Worten die indische Geschichte seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1947 nach. Schon den ersten Premierminister, Jawaharlal Nehru, beschreibt Mody als „Traumtänzer“, der falsche Prioritäten gesetzt habe. Statt die landwirtschaftlichen Familienbetriebe und die Kleinindustrie zu fördern und so die grundlegenden Bedürfnisse nach Nahrung und Unterkunft der Bevölkerung zu befriedigen, habe er mit Hilfe von Großprojekten wie Stahlwerken und Raffinerien versucht, den schnellen Anschluss an die Moderne zu schaffen. Die Entwicklung einer bescheidenen Mittelschicht als erster Stufe der wirtschaftlichen Konsolidierung sei so ausgeblieben.
Nehrus Tochter und Nachfolgerin Indira Gandhi habe das Land weiter heruntergewirtschaftet und tiefer in die Korruption geführt. Nicht besser kommen ihre Nachfolger weg, bis hin zum heutigen Premierminister Narendra Modi. An dessen Rechtschaffenheit und demokratischer Gesinnung meldet der Autor allergrößte Zweifel an. Sein Fazit: Die Demokratie in Indien ist seit langem zerstört.
Schreiende Ungleichheit
Als besonders gravierend beschreibt Ashoka Mody die schreiende Ungleichheit im Land, die sich von Jahr zu Jahr vertieft habe. Statt ein breit gefächertes Schulwesen von der Grundschule aufwärts zu schaffen, hätten Indiens Regierungen von Anfang an die elementare Bildung vernachlässigt und stattdessen viel Geld in das Hochschulwesen gesteckt, das nur einer kleinen Minderheit zugutegekommen sei. Die Frauen hätten zwar formal Zugang zu allen Bildungsformen, doch blieben die unteren Kasten davon weitgehend ausgeschlossen und der Staat habe nichts getan, um das zu ändern.
Während Indiens Nachbarländer beispielsweise in der elektronischen und der Textilindustrie zunächst Massenarbeitsplätze für wenig gebildete Menschen schufen und damit eine Grundlage zu bescheidenen, aber stabilen Einkommen für breite Schichten legten, sei das in Indien ausgeblieben. Jetzt sei „dieser Zug abgefahren“, konstatiert der Autor.
Inzwischen habe zudem trotz nur begrenzter Entwicklungserfolge die Umweltverschmutzung gigantische Ausmaße angenommen. Dagegen werde nichts getan, weil die Bauwirtschaft ebenso wie das Gesundheits- und Bildungswesen fest in den Händen mafiöser Strukturen sei. Das Heer von jungen Leuten mit minderwertigen Abschlüssen habe keine Aussicht auf qualifizierte, fair bezahlte Jobs.
Enttäuschte Liebe spricht aus jeder Zeile
All diese Aussagen belegt der Wirtschaftsprofessor, der lange bei der Weltbank beschäftigt war, mit zahlreichen Tabellen und Grafiken. Sein Stil ist lebendig und gut lesbar. Das Buch hat über 500 Seiten, von denen jedoch kaum eine Zeile entbehrlich ist, denn der Autor schildert anhand vieler Beispiele, wie verletzlich die demokratische Regierungsform generell ist. Indiens Demokratie ist noch nicht ganz am Ende, aber Mody zeigt, wie groß die Gefahr ist, dass sie von innen her zerstört werden kann.
Seine Kritik begründet er mit seiner tiefen Liebe für das Land seiner Vorfahren – und enttäuschte Liebe spricht auch aus jeder Zeile seines Werks. Am Schluss wird ihm das wohl selbst bewusst, und er versucht sich an einem „trotz allem optimistischen Ausblick“, wie er schreibt. Der beschränkt sich allerdings im Wesentlichen auf die Forderung nach Dezentralisierung der Verwaltung, einer Kehrtwende bei der Umweltpolitik und der Bekämpfung der Korruption. Wenn nichts dergleichen geschähe, so mahnt er, wäre die Alternative der soziale und politische Zusammenbruch mit Folgen nicht nur für Indien, sondern weltweit.
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