Freiwilligendienst in der Kritik

Der Einsatz von Freiwilligen in der Entwicklungszusammenarbeit ist seit Jahren in der Diskussion. Werden sie noch gebraucht? Auch in der Schweiz kämpft die Branche um Anerkennung.

Gesucht seien nicht mehr junge Leute, „die sich im Süden ihre Sporen verdienen wollen“, sagt Konrad Specker von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). „Die Anforderungen sind gestiegen; es braucht technisches, thematisches und methodisches Wissen sowie eine starke Persönlichkeit für die Einsätze im Süden.“ Erik Keller, der Geschäftsführer von Interteam, einer der größten Entsendeorganisationen der Schweiz, ergänzt, die Partnerorganisationen wollten einen „spürbaren Mehrwert“ für ihre Organisation haben.

Von Gesundheit bis Tiefbau

Fünfzig Jahre ist es her, dass sich verschiedene Schweizer Organisationen, die freiwillige Fachkräfte in den Süden entsenden, zu einem Verband zusammengeschlossen haben. Insgesamt hat die ...

Solche Fachleute zu finden ist aber nicht einfach – und ein Grund dafür sei der schweizerische Arbeitsmarkt, sagt Unité-Präsident Sepp Gähwiler. Ein längeres Engagement im Ausland bedeute ein „erhöhtes Risiko für die zukünftige berufliche Laufbahn“, denn Arbeitsplätze, in denen die im Einsatz gewonnenen Kompetenzen genutzt werden könnten und geschätzt würden, seien rar.

Die Schweizer Entsendeorganisationen selbst kämpfen in erster Linie mit der Finanzierung. Bis vor kurzem anerkannte die öffentliche Hand den Lohnverzicht als Eigenleistung der Freiwilligen und finanzierte die Einsätze zu 75 Prozent. Seit 2013 sind es nur noch 50 Prozent. Entsprechend mehr Eigenmittel müssen die Entsendedienste beisteuern. Doch es ist schwer, Geld für die personelle Zusammenarbeit zu sammeln, denn viele Spender fordern, dass ihr Geld direkt bei der bedürftigen Zielgruppe im Süden ankommt. Die Leute wüssten zu wenig, wie wirksam ein Personaleinsatz sein könne, sagt Erik Keller von Interteam. Gerade die Stärkung der Zivilgesellschaft durch Entwicklungshelfer ermögliche oft erst, dass die Projektgelder auf fruchtbaren Boden fallen.

Allerdings ist es schwierig, die Wirkungen von personeller Zusammenarbeit zu messen. Selten könnten Veränderungen direkt Personaleinsätzen zugeschrieben werden, heißt es dazu in einer Studie der ETH Zürich von 2010. Der Autor empfiehlt den Entsendediensten, sie sollten ihren Partnerorganisationen das Know-how vermitteln, wie sie Entwicklungsziele messen können.

Unité-Präsident Gähwiler sieht weiteren Rechtfertigungsdruck auf die personelle Entwicklungszusammenarbeit zukommen: In Europa wachse die Armut und die Zahl der Ausgeschlossenen; Personalentsendung finde heute aber nur in den Süden statt. Die Entwicklungen im Norden erfordere von den Entsendediensten, dass sie die Nord-Süd-Einsätze durch Süd-Nord-Programme ergänzten, die zusammen mit Süd-Partnern wie Gewerkschaften oder anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelt und umgesetzt würden.

Skepsis gegenüber einem Jugendaustausch

In ein solches Konzept passen zum Beispiel Jugend-Austausch-Programme. Konrad Specker von der DEZA steht dieser Art von Austausch, wie er in Deutschland im Rahmen des „weltwärts“-Freiwilligenprogramms seit kurzer Zeit ausprobiert wird, aber kritisch gegenüber. In der personellen Entwicklungszusammenarbeit gehe es um den Einsatz von Fachkräften, nicht um den Austausch von Jugendlichen.

Gähwiler ist überzeugt, dass der Freiwilligendienst allen Widrigkeiten zum Trotz „ein wirkungsvolles, wichtiges Element“ der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit ist. Der Einsatz von Freiwilligen gebe der Kooperation ein menschliches Gesicht und leiste einen „einzigartigen Beitrag“ im Kampf gegen die Armut.

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Der Einsatz von Freiwilligen in der EZ ist seit Jahren in der Diskussion, schreibt Rebecca Vermont, und listet in ihrem Artikel eine Reihe von Argumenten auf, die auch in Deutschland immer wieder ins Feld geführt werden. Drei davon möchte ich hier einmal kurz beleuchten:

1. Die EZ braucht heute Profis und keine jungen Leute, die sich ihre ersten Sporen verdienen wollen.
Das Argument trifft die Realität nicht. Freiwilligendienste in Deutschland, wie der SES oder der Entwicklungsdienst - früher DED (heute in der GIZ) - rekrutieren sich keinesfalls nur aus Berufsanfängern. Das ist beim Senior Expert Service selbstevident und beim DED lag vor der Fusion der Altersdurchschnitt über 40. Dass er danach gesunken ist, hat andere Gründe. Für das Entsendeprogramm Weltwärts wurden keine Entwicklungsziele im Süden definiert, sondern Entwicklungsziele für die Menschen im Norden. Das möge man bitte nicht verwechseln. Berufserfahrung hilft ungemein dabei, sich in der Partnerorganisation richtig zu verhalten und Respekt zu erwerben. Berufserfahrung haben also nicht nur professionelle Weltverberbesserer, sondern gerade auch freiwillige. Die jungen Leute, die sich ihre ersten Sporen erwerben wollen, finden sich häufig in den Organisationen, die Karrierewege in die EZ offerieren.

2. Zur Verfügung gestellte Gelder, ob aus Spenden oder Steuermitteln, sollen möglichst direkt bei den Zielgruppen ankommen.
Dann möge man sie doch direkt an diese auszahlen. Ich meine: Die Zielgruppen sind nicht nur deswegen arm, weil sie kein Geld haben, sondern auch wegen der Verwendungszwecke, die sie wählen (müssen?), sobald sie über Finanzmittel verfügen. Damit meine ich sowohl Organisationen als auch Privatleute. Für eine nachhaltige Verhaltensänderung, dem Umlernen von Personen und Organisationen, ist eine personelle externe Begleitung wertvoll und zielführend. Nebenbei gesagt, nicht nur im Kontext der EZ - das wissen auch deutsche (oder europäische) Unternehmen.

3. Freiwillige arbeiten meist auf der Mikroebene und sie sind das menschliche Gesicht der EZ. Es ist selbstverständlich wichtig, die Rahmenbedingungen des Handelns der einzelnen Akteure zu modifizieren, um Anreize zur Verhaltensänderung zu setzen, oder sie überhaupt erst zu ermöglichen (siehe Wahl der Verwendungzwecke von Finanzmitteln). Doch oft ist es damit nicht getan. Eine tatsächliche Veränderung vor Ort, kann durch individuelle Begleitung, Unterstützung, Beratung etc. deutlich gefördert werden. Wieviel man diesen Experten in ihrem Fachgebiet - nicht im Entwicklungsbusiness - bezahlt, hat mit der Richtigkeit der Aussage nichts zu tun. Dennoch sind das genau die Aufgaben, die die Freiwilligen übernehmen. Womöglich wäre die Anzahl derer, die individuelle Partnerorganisationen in ihrer Entwicklung unterstützen wegen der Kleinteiligkeit der Aufgabe nicht mehr finanzierbar, sofern sie ein ordentliches Gehalt erhielten. Wenn man außerdem davon ausgeht, dass die "deformation professionelle" der EZ Abgebrühtheit oder gar Zynismus heisst, dann habe ich nichts gegen menschliche Gesichter. Ganz im Ernst: der ursprüngliche Gedanke der Freiwilligendienste - die Völkerverständigung, ja Solidarität mit den Benachteiligten dieser Erde - ist gerade in der aktuellen Weltlage nötiger denn je. Das muss ja nicht gleich auf Kosten der Fachkenntnisse gehen.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2014: Gesichter der Karibik
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