Trugbild Souveränität

Zum Thema
UN-Migrationspakt
Nationalistische Reflexe dringen auch in Deutschland in die Mitte der Gesellschaft vor. Das jüngste Anzeichen ist, dass in Teilen der CDU der UN-Migrationspakt unter Beschuss gerät. Die Debatte ist so irritierend wie bezeichnend.

Natürlich wird die Debatte außer von der AfD auch von Macht- und Flügelkämpfen innerhalb der Unionsparteien befeuert. Dass etwa Jens Spahn den CDU-Parteitag über den Migrationspakt abstimmen lassen will, dient seiner Bewerbung um den Parteivorsitz. Und die Einwände gegen diesen „Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ sind fadenscheinig: Staaten sagen darin weder zu, ihre Grenzen einfach zu öffnen, noch schränkt der Pakt ihre Souveränität spürbar ein.

Genau dies versichern Verteidiger des Migrationspaktes. Damit leisten sie allerdings einer These Vorschub, die ursprünglich aus dem rechten politischen Lager stammt und sich weiter verbreitet: Dass Staaten in Migrationsfragen ihre Souveränität wahren sollen. Das ist eine rückwärtsgewandte und gefährliche Illusion nach dem Motto: Probleme anderswo sind für uns zweitrangig. In den USA nennt man das „America First“.

Der Klimawandel wird den Druck erhöhen

Migration ist in der globalisierten Welt eine Tatsache. Menschen verlassen aus vielen gewichtigen Gründen ihre Heimat und suchen anderswo ihr Glück. Das tun sie offensichtlich auch, wenn ihnen Grenzzäune und Soldaten in den Weg gestellt werden wie zurzeit im Süden der USA. Folgen des Klimawandels werden den Abwanderungsruck noch erhöhen.

Der einzig realistische und verantwortliche Ansatz ist da: Aufnahme-, Herkunfts- und Transitländer steuern Migration gemeinsam, damit sie  möglichst viel nutzt und ihre Begleitprobleme wie das Schleusen und die Ausbeutung illegaler Arbeitskräfte begrenzt werden. Das geht aber nur gemeinsam, wenn die Hauptinteressen aller Seiten gewahrt werden. Kein armes Land wird gegen eigene Interessen helfen, Migranten von uns fernzuhalten.

Diesen kooperativen Ansatz, für den der Migrationspakt ein Symbol ist, greifen Verfechter der Souveränität an. Sie wollen in eigener Hoheit beschließen können, arme Schlucker fernzuhalten – ohne Rücksicht auf Länder, aus denen diese Menschen kommen oder in denen sie gestrandet sind.

Jens Spahn bellt am falschen Baum

Dass man sich auf diese Weise das Problem auf Dauer vom Hals halten kann, ist ein Trugbild. Ihm zu folgen führt dazu, dass Staaten sich gegenseitig Migranten zuschieben und Migration ohne Not zum gefährlichen internationalen Konfliktherd machen, wie in der Europäischen Union zu beobachten.

Man müsse Einschränkungen der Souveränität zumindest offenlegen und das Parlament fragen, sagt Jens Spahn. Das stimmt, doch er bellt am falschen Baum. Wenn es Spahn um demokratische Mitbestimmung geht, soll er gegen Abkommen auf die Barrikaden gehen, die, anders als der Migrationspakt, wirklich ohne Mitwirkung des Bundestages staatliche Handlungsmöglichkeiten unverantwortlich beschneiden.

Zum Beispiel EU-Regeln, die Privatisierungen festschreiben, und Freihandelsverträge, die Unternehmen Klagemöglichkeiten gegen staatliche Regulierung geben. Doch das bringt natürlich Konflikte mit mächtigen Firmen. Da beschwören Kritiker des Migrationspakts lieber eine Scheinsouveränität auf Kosten der Schwächsten: der Migranten.

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Es ist schon interessant, wie oft Ihre Meinung fernab vom Mainstream liegt. Da hat Herr Spahn die besseren Antennen. Nun wird endlich offen diskutiert, warum die Vertreter der ungeregelten Zuwanderung auf dem angesägten Ast sitzen. Mit Merkels 1.5 Mio Fehlentscheidung anno 2015 ging‘s bergab mit ihr, mit ihrer Partei, mit der Koalition. Auch Merz spricht jetzt aus, Asylgesetzte ohne Rücksicht auf die Aufnahmefähigkeit der Staaten haben keinen Bestand. Österreich hat die Zuwanderung längst mit einer Obergrenze geregelt, begründet mit der Leistungsfähigkeit der Verwaltung. Wenn man bestreitet, der Wähler ist der Souverän, dann liegt man öfters falsch. Jetzt erst, wo das Dach schon brennt, kommt die Koalition mit einem Einwanderungsgesetz daher. Jetzt erst unterscheidet man praktisch zwischen Armutsmigration und Arbeitsmigration. Der Souverän will mehrheitlich keine Armutsflüchtlinge im Land. Bleiben kann, wer aus eigener Kraft für seinen Unterhalt sorgt. Alle klassischen Einwanderungsländer wählen aus, illegale Einwanderung wird überall verfolgt. Ihre Idee vom verantwortungsvollen Ansatz hinkt auf allen Beinen. Jetzt wollen z. B. einige Länder Afrikas ihren Bevölkerungsüberschuss loswerden, ist der Zuwachs größer als das Wirtschaftswachstum, werden alle ärmer. Dort will man natürlich kein Abkommen, das die Flucht der Qualifizierten ermöglicht und die "armen Schlucker" bleiben. Herr Ludermann, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, der Wähler ist der Souverän. Merkels Fehlentscheidung hat das Boot zum Schwanken gebracht, mehr nicht.

Lieber Herr Lohmann,
ich lasse mal die Details beseite und beschränke mich auf einen Kernpunkt: Der Wähler ist der Souverän. Klar - geschenkt. Man muss aber schon genau sagen, was das bedeutet: Es heißt, dass der oder die berechtigt ist zu regieren, hinter dem eine Mehrheit der gewählten Abgeordneten steht. Aber ERSTENS: Niemand ist verpflichtet, Entscheidungen der Volksvertreter richtig zu finden - auch wenn sie legitim sind. ZWEITENS: Ob diese Entscheidungen in Einzelfragen - zum Beispiel Kohle, Migration oder Hartz 4 - der Ansicht der Bevölkerung zu diesen Fragen entsprechen, darüber sagen Wahlergebnisse nichts. Deshalb versuchen Demografen diese Ansichten mit mehr oder weniger überzeugenden Mitteln festzustellen. Selbst wenn das gelingt, gilt: Auch die Mehrheit hat nicht immer recht, sie ändert ihre Meinung offensichtlich öfters und sie wird dabei davon beeinflusst, wie Politiker/innen, Medien und andere Meinungsführer die Debatte strukturieren. Das Argument "Die Bürger wollen es so" ist dabei oft eine bequeme Ausrede oder ein Versuch, Leute, die anderer Ansicht sind, abzutun. Es ist weder die Aufgabe von Politiker/innen noch die von Journalist/innen, nachzuplappern, was gerade die Mehrheitsmeinung ist oder was irgendjemand dafür ausgibt. Da bleibe ich lieber außerhalb des Mainstream, benutze den eigenen Kopf und versuche, mich und Teile des Souveräns ins Nachdenken zu bringen.
Beste Grüße, Bernd Ludermann

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