Wie aus Absahnern Visionäre werden (sollen)

Stefan Dercon: Gambling on Development. Why some Countries Win and Others Lose. Hurst Publishers, London 2022, 360 Seiten, ca. 29 Euro

Stefan Dercon geht in seinem Buch der Frage nach, wie sich Vertreter staatlicher Eliten davon überzeugen lassen, zum Wohle des Staates zu investieren, anstatt den Staat auszubeuten. Eine Lösung findet auch er nicht. 

Stefan Dercon ist nicht nur Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Zentrums für Studien der afrikanischen Wirtschaften an der Universität Oxford. Er war zwischen 2011 und 2017 auch Chefökonom des britischen Entwicklungshilfeministeriums. Das macht diesen Autor zu einem Insider, der seiner Leserschaft Anekdoten und Hinweise bietet, die sie andernorts kaum zu lesen bekommen. Und er geht dabei weit darüber hinaus, Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Politik zu erläutern. 

Dercon möchte zeigen, wie (vor allem) große Männer dazu neigen, die Macht und die Beute des Regierens unter sich aufzuteilen. Und was passieren muss, damit sie beginnen, langfristige Visionen zu entwickeln und sich Institutionen, einem Rechtsstaat oder auch volkswirtschaftlichen Einsichten unterzuordnen, anstatt allein ans persönliche Absahnen zu denken. 

„Entwicklungshandel“ zwischen Nord und Süd

Wie kommt ein „Entwicklungshandel“ (development bargain) zwischen Nord und Süd zustande? Dercons Hauptbedingung ist nicht neu, aber grundlegend: Ein Entwicklungshandel ist eine Übereinkunft zwischen Leuten mit Macht mit dem Ziel, im Großen und Ganzen Wachstum und Entwicklung zu fördern, auch wenn sie in Detailfragen uneins sind. Länder, deren Führungseliten einen solchen Entwicklungshandel mit (internationalen) Organisationen oder Regierungen abschließen, hätten in der Regel drei Dinge gemeinsam: Erstens gehe es ihnen nicht um vage Absichten, sondern um einen realistischen Handel zwischen vertrauenswürdigen Partnern. Zweitens nutze der Staat beziehungsweise die staatliche Elite alle Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen, um die – realistischen – Ziele zu erreichen. Drittens sei der Staat politisch und technisch in der Lage, aus Fehlern zu lernen und den Kurs zu korrigieren. 

Meist liefern Staatskrisen wie etwa in Ruanda oder in Äthiopien und der Wunsch der Mächtigen nach Legitimität und Stabilität ihrer Herrschaft die Anlässe für solch einen Entwicklungshandel mit ausländischen Gebern. Nur wenn das Staatsgefüge stabil bleibe, seien Eliten überhaupt motiviert, eine Langzeitperspektive auf das Land einzunehmen und darauf zu warten, dass sich langfristig Investitionen und Wachstum einstellen. 

Die Bevölkerung als zivilgesellschaftliche Instanz kommt nicht vor

Stefan Dercon konzentriert sich in seinem Buch vor allem auf die Wirtschaft und dabei auf den Privatsektor; er blickt mit viel Sachkenntnis auf Unternehmen in Somaliland ebenso wie in Südafrika und forscht stets danach, welche Erfahrungen sie mit Entwicklung machen. 

Allerdings beschäftigt er sich nahezu ausschließlich mit den politischen und wirtschaftlichen Eliten. Die durchschnittliche Bevölkerung all der Länder, um die es geht, kommt, wenn überhaupt, fast nur als dankbarer Befürworter der jeweiligen Entwicklungsgeschäfte vor – so gut wie nie als kritische (zivilgesellschaftliche) Instanz, die etwa von den Führungseliten Rechenschaft verlangt oder andere wirtschaftspolitische Ideen hat. 

Dercons Meinung nach sollte ein Entwicklungshandel primär darauf zielen, die Eliten zu unterstützen. Treiben diese dann die Entwicklung des Landes voran, sollte der Ansatz weiterverfolgt werden. Tun sie das allerdings nicht, sondern beuten den oft fragilen und/oder konfliktgebeutelten Staat aus, weiß der Autor letztlich auch keinen Rat für die Geber außer: nicht aufgeben und der Bevölkerung mit Barüberweisungen, Impfkampagnen und Ähnlichem helfen. Es scheint, als hindere Dercons Konzentration auf staatliche Eliten ihn daran, sich mit den Erfolgsperspektiven alternativer Ansätze zu beschäftigen – zum Beispiel mit der Zusammenarbeit mit religiösen Gemeinschaften, mit zivilgesellschaftlichen Organisationen oder auch mit traditionellen Autoritäten. 

Duncan Green (https://frompoverty.oxfam.org.uk/)

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Das 360-Seiten dicke Buch reiht sich ein in die Vielzahl von voluminösen Büchern und Analysen, die oft - wie auch dieses Werk - das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt werden. Ich denke oft reicht es, das Inhaltsverzeichnis und - falls vorhanden - eine Zusammenfassung zu lesen, um die Relevanz eines Buches zu bewerten und für wichtig für eine Rezension zu erachten. Wer soll oder wird dieses Buch in Deutschland kaufen. Und letztendlich bleibt die Frage offen, welche Relevanz ein solches Buch / Werk für politische Entscheidungsträger hat. Mein Fazit: das Buch ist eine akademische Übung vor allem für den Autor, der seine Erfahrungen als Chefökonom beim britischen "Entwicklungs"-Ministerium aufarbeite wollte und als Wirtschaftswissenschaftler wissenschaftliche Publikationen produzieren muss, um in seinen Kreisen anerkannt bleiben will.

beste Grüße
Hilmar Froelich (Hr.) = Gerne Abonnent der welt-sichten.

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