Geschäfte ohne sozialen Nutzen

Dass Banken mit Nahrungsmitteln spekulieren dürfen, hält eine Insiderin für schädlich
Dass Banken mit Nahrungsmitteln spekulieren dürfen, hält eine Insiderin für schädlich

(15.5.2013) Darf man mit Nahrungsmitteln spekulieren? Natürlich, sagt Ann Berg –  aber den Banken sollte man das strikt verbieten. Die US-Amerikanerin hat bis 2000 selbst als Spekulantin an der Terminbörse in Chicago gearbeitet. Als Expertin für diese Märkte berät sie heute unter anderem die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). welt-sichten hat sie gefragt, was sie von zentralen Argumenten hält, die im andauernden Streit über die Agrarspekulation in Deutschland immer wieder angeführt werden.

Entwicklungswerke wie Brot für die Welt, Misereor oder Oxfam kritisieren etwa, dass zumindest einige Arten der Spekulation mit Nahrungsmitteln die Preise erhöhen oder schwanken lassen und daher zu mehr Hunger führen. Sie fordern unter anderem die Deutsche Bank und die Allianz Versicherung auf, sich nicht weiter an Finanzanlagen zu beteiligen, denen die Preisentwicklung von Weizen, Reis oder Mais zugrunde liegt. Die Kritik ist abwegig, erklären dagegen 40 deutsche Wissenschaftler in einem offenen Brief an Bundespräsident Joachim Gauck: Diese Spekulation sei nicht nur unschädlich, sondern sogar nützlich.

Dass höhere und stark schwankende Nahrungsmittelpreise arme Menschen in Not bringen, bezweifelt niemand. Klar ist auch, dass der Anstieg der Weltmarktpreise für Nahrungsmittel vielfältige Ursachen hat; zu den wichtigsten gehört, dass die Produktion hinter der Nachfrage zurückbleibt, die noch angeheizt wird von der Förderung für Agro-Treibstoffe. Strittig aber ist: Verstärkt die Spekulation den Anstieg der Preise und ihre großen kurzfristigen Schwankungen, die sogenannte Volatilität? Oder ist – wie die Verteidiger dieser Geschäfte behaupten – solch ein Zusammenhang nicht nachweisbar und die Spekulation hilft im Gegenteil den Produzenten, sich gegen Preisschwankungen abzusichern?

Als Spekulantin habe sie sich nicht sozial verhalten

Diese Funktion habe sie tatsächlich, erklärt Ann Berg. Damit sich Erzeuger von Weizen oder Mais an der Börse gegen sinkende Preise absichern können und umgekehrt Mühlen oder Exporteure gegen einen Preisanstieg bis zur nächsten Ernte, benötige man Spekulanten, die ihnen Risiken abnehmen. Die tun das, um zu verdienen: Als sie selbst Spekulantin war, habe sie sich nicht sozial, sondern opportunistisch verhalten, sagt Berg. Dennoch habe dieser Handel mit Risiken einen sozialen Nutzen; für Produzenten wirke er wie eine Versicherung.

Doch das gilt laut Berg nicht für alle Arten Spekulation. Ein Wendepunkt war für sie, als die USA 1999 das Gesetz aufhoben, das den Banken die Trennung des Kredit- und Einlagengeschäfts vom Eigenhandel an den Börsen vorschrieb. In der Folge legten Banken unter anderem Indexfonds auf, die in großem Stil auf den Anstieg der Rohstoffpreise spekulieren. Berg ist aus eigener Erfahrung überzeugt, dass diese Fonds sehr wohl den Trend zu steigenden Preisen verstärken können – auch wenn deutsche Ökonomen das bezweifeln.

Trennbanken-Gesetz soll riskanten Handel ausgliedern

Auch das Argument der Verteidiger dieser Geschäfte, Indexfonds brächten Liquidität in den Markt und ließen ihn reibungsloser funktionieren, ist laut Berg falsch und eine Schutzbehauptung. Liquidität entstehe, wo Marktteilnehmer flexibel auf Angebot und Nachfrage reagierten und so die Preisbildung verbesserten. Das tun klassische Spekulanten. Indexfonds aber reagierten weder auf kurzfristige Preisänderungen noch auf Prognosen über Erntemengen und Veränderungen der Nachfrage – sie setzten einfach auf steigende Preise und kauften und verkauften mit Vorankündigung. Damit, sagt Berg, entzögen sie dem Markt Liquidität. Denn sie benötigten „echte“ Spekulanten, die kaufen, wenn Fonds verkaufen, und umgekehrt. Indexfonds, folgert Berg, hätten daher keinerlei sozialen Nutzen. Sie seien vor allem ein großes Geschäft für Banken, die an den Gebühren für und Profiten aus den Fonds verdienten, ohne die Risiken mitzutragen.

Im Unterschied zu den Indexfonds reagieren laut Berg Hedgefonds, die in Nahrung investieren, ständig auf Preistrends am Markt. Das jedoch so aggressiv und mit so hohen Summen, dass starke Ausschläge der Preise in die eine oder andere Richtung die Folge seien. Mit anderen Worten: Indexfonds können den Preisanstieg verstärken, Hedgefonds erhöhen die Volatilität.

Um das zu verhindern, fordert Berg erstens, zum Trennbankensystem zurückzukehren: Banken, die Kundeneinlagen anlegen und Kredite geben, sollten nicht zugleich auf eigene Rechnung spekulieren dürfen. Das sollte nicht nur für Nahrungsmittelspekulation gelten, sondern grundsätzlich. Diese Forderung entspricht dem Trennbanken-Gesetz, das der Bundestag jetzt verabschiedet hat. Es sieht vor, dass Geldinstitute ihren als riskant eingestuften Handel auf eigene Rechnung bis 2016 in eigenständige Tochtergesellschaften ausgliedern müssen. So soll verhindert werden, dass Verluste aus Investmentgeschäften auf den Rest einer Bank übergreifen und ein ganzes Institut in den Abgrund reißen. Zweitens befürwortet Berg Grenzen für das Ausmaß, in dem einzelne Marktteilnehmer auf steigende oder fallende Preise wetten dürfen. (Bernd Ludermann)

Das komplette Interview mit Ann Berg ist in der Juni-Ausgabe von welt-sichten“ erschienen.

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