(3.5.2013) "Soviel du brauchst" ist der 34. Evangelische Kirchentag in Hamburg überschrieben. Wie vielfältig sich dieses Motto interpretieren lässt, zeigte sich auch beim Forum China, bei dem Experten über Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in der Volksrepublik debattierten: Wie stehen dort die Chancen auf ein grüneres Wachstum? "welt-sichten"-Chefredakteur Bernd Ludermann hat zugehört.
In China hat das Wirtschaftswachstum hunderte Millionen Menschen aus der extremen Armut befreit. Es hat aber zugleich die Volksrepublik zum größten Emittenten von Treibhausgasen gemacht und enorme Umweltschäden im Land selbst verursacht. So ist in vielen Gebieten der Kontakt mit Flusswasser oder das bloße Atmen ein Gesundheitsrisiko. Wie stehen die Chancen auf eine grünere Entwicklung in China, die auch für den globalen Klimaschutz entscheidend wäre? Darüber waren die Meinungen auf einem Podium während des Evangelischen Kirchentages geteilt.
Vorsichtig optimistisch zeigte sich Zhu Dajian, ein führender chinesischer Umweltökonom von der Tongji-Universität in Shanghai. Er geht davon aus, dass die Bevölkerung bis zum Jahr 2030 noch langsam wächst, sich die Pro-Kopf-Einkommen aber noch einmal vervierfachen. Damit stehe China an einem Wendepunkt: Wenn das Wachstum wie bisher weitergehe, werde sich der Verbrauch an Rohstoffen und Energie und damit die Umweltbelastung bis 2030 mehr als vervierfachen. Doch das Land könne auf einen grüneren Weg umschwenken und dasselbe Einkommen mit weniger Ressourcen erzeugen. Dann werde die Umweltbelastung nur noch einmal um etwa die Hälfte zunehmen.
Dazu ist laut Zhu erforderlich, was er drei Kombinationen nennt: Erstens genüge bessere Technik nicht. Man brauche nicht nur sparsamere Autos, sondern es müsse auch das Verkehrsaufkommen verringert werden. Zweitens reiche es nicht, Schadstoffe am Ende auszufiltern, sondern man müsse auch das Entwicklungsmodell überdenken – also prüfen, was wächst. Und drittens könne das Umschwenken nicht nur "von oben" verordnet werden. Es müsse mit Initiativen "von unten" in einer Art vernetztem Regieren verbunden werden.
Über die Diagnose herrschte weitgehend Einigkeit. Doch nicht alle Podiumsteilnehmer sind überzeugt, dass die von Zhu skizzierten Rezepte ausreichen. Das Wachstum müsse nicht nur grüner werden, sondern auch Grenzen haben, sagte Maren Böhm, die als Managerin Unternehmensverantwortung bei der Otto Group den Einkauf verantwortet und lange in China gearbeitet hat. Allerdings sei es schwierig, den Chinesen zu erklären, dass nicht alle alles haben können. Und man dürfe nicht verschweigen, welchen Anteil der Westen an den Problemen in China hat, weil er dort produzieren lässt, was hier konsumiert wird.
Ohne mehr Bürgerrechte sind Chinas Umweltprobleme nicht zu lösen
Zhu Yi, die Programmkoordinatorin der Heinrich-Böll-Stiftung in China, sah jedoch wenig Möglichkeiten, ein Land mit so vielen sehr armen Menschen von Einschränkungen zu überzeugen. Auch in China gebe es keinen Konsens darüber, was man braucht. Zhu Dajian benannte indessen eine Grenze: Ab einem Einkommen von etwa 10.000 US-Dollar pro Jahr könne man Experten zufolge von Überkonsum sprechen. Folglich solle China grün wachsen, bis diese Grenze erreicht sei, der Westen aber solle sich dahin zurück entwickeln. Für Chinas Treibhausgas-Ausstoß heißt das: Er sinkt im Verhältnis zum Sozialprodukt, steigt absolut aber erst einmal weiter.
Inwieweit die wachsende soziale Ungleichheit ein Dilemma verursacht – man könnte den Wohlstand der Armen mit weniger Wachstum steigern, wenn die mehr davon abbekämen –, das wurde leider nicht erörtert.
Strittig war auch, inwieweit man für das Umsteuern auf die Regierung Chinas setzen soll. Sie hat die Dringlichkeit des Umweltproblems verstanden und geht es an, darin waren sich alle einig. Zhu Dajian, der auch an der Hochschule der Partei lehrt, bescheinigt Peking sogar, mehr Initiative auf dem Gebiet zu zeigen als die Regierungen Deutschlands oder gar der USA. Die Zivilgesellschaft solle stärker beteiligt werden, aber sie sei noch schwach. Die Regierung müsse die treibende Kraft sein. Zhu Yi indes hofft auf mehr Druck aus der Gesellschaft und verwies auf die wachsende Zahl lokaler Proteste. Diese solle die Regierung als Chance begreifen. Wenn sie nicht den Rechtsstaat ausbaue und den Bürgern mehr Rechte zusichere, könne sie Chinas Umweltprobleme nicht in den Griff bekommen.
Was ist "Grünes Wachstum", Herr Ludermann.
Nur wenige Tage nach meinem Kommentar zu Ihrem Beitrag "Brüchiges Bündnis" geben Sie mir Gelegenheit, das Hauptproblem China mal zu beleuchten, wofür ich dankbar bin. Da sind die Angaben von Zhu Dajiian sehr hilfreich. Hat er doch erkannt, dass sich Erfolge und Lasten vervierfachen werden. Was das bei einem 1,4 Milliarden-Volk bedeutet, möchte ich mit einem Beispiel verdeutlichen. Wir haben in Deutschland auf zwei Einwohner ein Kfz. Das sind über 40 Millionen. Auf dem Globus sind über 700 Mio. Kfz unterwegs. Eine Verkehrsdichte wie bei uns, das wünschen sich viele Chinesen und auch deutsche Autohersteller, ergäbe allein in China soviel Autos wie in allen anderen Ländern der Welt. Damit solche Ziele erreichbar werden, sorgt die chinesische Regierung schon seit über20 Jahren für den Nachschub an Rohöl und Metallen auf allen Kontinenten. Während bei uns noch diskutiert wird, haben die Chinesen dank ihrer klaren Machtstrukturen längst Fakten geschaffen.So wird sich der Spritpreis innerhalb von 10 Jahren verdoppeln, obwohl dann bei uns eher weniger Kfz. unterwegs sein werden. Wer will, wer könnte die logischen Folgen einer freien Marktwirtschaft abwenden? Wir Deutschen könnten vom hohen Ross aus sagen, weniger würde auch reichen. Aber wir können der chinesischen Politik weder Vorschläge noch Vorhaltungen machen. Deutsche Politik, deutscher Export wird in den kommenden Jahren abnehmendes Gewicht haben. Es kann der Schwanz nicht mit dem Hund wackeln. Und dann muss man doch auch fragen, was ist "Grünes Wachstum"? Vermutlich ist u.a. Wohlstandserhalt ohne Ressourcenabbau gemeint und das funktioniert schon bei uns nicht. Was soll die chinesische Zivilgesellschaft sich denn wünschen? Weniger Auto, weniger Luxus, weniger Gebrauchsgüter, weniger Fernreisen, weniger Fleisch, weniger westlicher Lebenstil? Warum denn? Vom hohen Ross kann man das leicht fordern, realistisch ist das nicht. Wie stets muss das Dach erst brennen, bevor man ans Löschen denkt. Gern würde ich "Grünes Wachstum" beim Wort nehmen. Langfristig sollten wir und müssen wir uns auf das beschränken, was die Natur nachwachsen lässt. Dabei wird man lernen müssen, wie limitiert die nachwachsenden Ressourcen sind. Auch hier ist ein Rechenbeispiel hilfreich, um die Grenzen des Wachstums zu erkennen. Ein Mitteleuropäer ist mit 2000 Kcal/Tag gut ernährt. Fährt man ein 5-Liter-Auto nur 5 km weit, hat man schon 2500 Kcal verbrannt. Diese Auto braucht also in 5 Minuten soviel Energiezufuhr, wie ein Mensch für den ganzen Tag. Wenn das alles nachwachsen soll, wird man viel mehr Ackerfläche brauchen, als es gibt. Das wissen die Chinesen. Abschliessend sei an den Zusammenbruch der amerikanischen Autoindustrie erinnert, der unmittelbar an den Anstieg des Rohölpreises auf fast 150 $ erfolgte. Das nächst Ölpreishoch ist unabwendbar, die Folgen mag ausmalen wer will
China nicht zum Buhmann machen
Lieber Herr Lohmann, mich erstaunt, wie genau Sie wissen, was "die Chinesen" wollen und tun. Viele Ihrer entsprechenden Behauptungen stimmen nur zur Hälfte. Zum Beispiel wollen sicher viele begüterte Chinesen ein Auto, aber eine wahrscheinlich viel größere Zahl der Einwohner will wieder saubere Luft atmen können und deshalb weniger Autos in der Stadt. Zhu Dajian will - so sagt er - zwar eine Vervierfachung des Wohlstands (auf ein übrigens dann noch unter unserem liegendes Niveau), aber nicht des Ressourcen- und Energieverbrauchs oder gar des Autoverkehrs. Im Gegenteil will er unter anderem Verkehrsvermeidung und hat lobend erwähnt, dass in Shanghai die Anmeldung eines PKWs - das Nummernschild also - inzwischen umgerechnet etwa 10.000 Euro kostet, weshalb in Shanghai die Luft besser ist als in Peking. Ob sein Plan für mehr Effizienz aufgeht und ob das alles reicht, sei dahingestellt. Aber könnte es nicht sein, dass er recht hat mit der Einschätzung, die Zentralregierung Chinas (anders als viele Lokalregierungen) gehe den Klimaschutz jetzt entschlossener an als die deutsche? Wenn das der Theorie widerspricht, dass die Politik nie Vernunft oder den Klimaschutz befördern kann, dann sollte man nicht Tatsachen und Aussagen aus China einseitig darstellen oder ignorieren, sondern die Theorie überprüfen.
Lieber Herr Ludermann.......
zu meiner Entlastung möchte ich erwähnen dürfen, dass ich China bereist und die Städte Peking und Shanghai erlebt habe. In diesem Jahr werde ich zudem auf Einladung eines großen Unternehmens in Shanxi als Berater im Bereich Alternative Kraftstoffe tätig sein. Für das Verständnis um die Unterschiede in der Luftqualität muss man wissen, dass in Peking Millionen Haushalte und fast alle Produktionsbetriebe Steinkohle verbrennen, was besonders im Winter durch die Lage in einer windarmen Hochebene zu wochenlanger Smogbelastung führt. Als ich dort war, konnte man kaum drei Kilometer weit sehen und die Sonne habe ich nie gesehen. Shanghai dagegen liegt begünstigt am Meer und der tägliche Wechsel von auf- und ablandigem Wind lässt eine vergleichbare Luftbelastung nicht aufkommen. Es ist also nicht so, dass die teuren Kennzeichen wesentlich zur Luftqualität beitragen. Vielmehr schöpft die Stadverwaltung mit Recht den überschäumenden Wohlstand einer wachsenden Minderheit ab. Nach bald fünf Jahrzehnten praktischer Arbeit interessieren mich Theorien weit weniger als die Auswirkungen unseres Tuns. Deshalb halte ich es auch für ausgeschlossen, eine Vervierfachung des Wohlstands ohne entsprechende Zunahme des Ressourcenverbrauchs zu schaffen. Ändern würde ich meine Ansicht, wenn Sie mich wissen lassen, wie "Grünes Wachstum" funktioniert. Die Formel "Grünes Wachstum" halte ich für eine Worthülse und ich möchte Sie wirklich um den Inhalt dieses von Ihnen so gern verwendeten Begriffs bitten. Wie und wo geht "Grünes Wachstum" und sind die Rezepte auf eine Volkswirtschaft wie unsere oder die von China übertragbar? Nun nochmal zu den Automobilen. Mit wieviel Chinesen haben Sie gesprochen? Woher wissen Sie, dass die "wahrscheinlich größere Zahl" lieber saubere Luft als ein Auto hat? Gerade auf dem Land ist der Besitz eines eigenen PKW eine enorme Bereicherung an Lebensqualität und Prestige. Da drängt sich doch der Satz von Jeffrey Sachs geradezu auf--- Ich sage immer zu den Akademikern, zieh los ins ländliche Afrika und dann reden wir weiter---Gilt genauso für China. Schauen wir auf die Fakten. Vor dreissig Jahren gab es in Peking kaum private Kfz., der Bürger fuhr mit dem Rad. Damals haben sich die Radfahrer ein Moped gewünscht als sichtbaren Ausdruck ihres Aufstiegs. Heute ist auf den gleichen Prachtstrassen Radfahren unmöglich, weil als Verkehrshindernis verboten. Ist Ihnen entgangen, dass die europäischen Autohersteller inzwischen in China mehr Autos verkaufen als in Europa?
Wird China grüner?
Lieber Herr Lohmann, Ihr Hinweis auf die unterschiedliche Lage von Peking und Shanghai ist richtig - so wie vieles andere, was Sie bemerken. Aber manches auch nicht. Ich habe mich speziell daran gestört, dass Sie in Ihrem vorigen Kommentar Zhu Dajians Aussagen quasi ins Gegenteil verkehrt haben: Er hält eine Vervierfachung des Ressourcenverbrauchs gerade nicht für unvermeidlich, sondern will sie trotz Wachstums verhindern. Allerdings sieht er, dass "grünes" Wachstum den Zuwachs verlangsamen, aber nicht umkehren kann. Das sehe ich auch so und halte das deshalb auch nicht für eine dauerhafte Lösung, speziell nicht für die reichen Länder. Da teile ich Ihre Skepsis. Ich stimme Ihnen auch zu, dass wir den Chinesen nicht Verzicht predigen können - jedenfalls solange wir nicht selbst vormachen, wie Wohlstand mit weniger Umweltverbrauch funktioniert. Doch man sollte meines Erachtens anerkennen, dass China, obwohl es noch weniger wohlhabend ist als die meisten Industrieländer, möglicherweise schneller auf einen "grünen" Pfad einschwenkt. Denn die Schäden des business as usual sind dort größer als hier. Die landläufige Ansicht (die auch bei Ihnen anzuklingen scheint: Wir diskutieren noch, die Chinesen schaffen einfach Fakten) lautet dagegen, dass China sich im Gegensatz zu uns um das Klima nicht schert. Das teile ich nicht.
Durch Lohmann zum Buhmann?
Zhu Dajian sagt, wenn das Wachstum wie bisher weitergehe, werde sich der Verbrauch von Rohstoff und Energie vervierfachen. Nur wenn man auf einen "grüneren" Weg umschwenkt, wird sich die Umweltbelastung nur verdoppeln. Wir reden also über die jährliche Zunahme des Ressourcenverbrauchs und es ist keine Kunst vorherzusagen, 2013 werden die Zahlen wieder größer sein als 2012. Auch Herr Zhu Dajian sieht durch die grüne Brille Rosa, wo andere Schwarz sehen.
Ich kann nicht erkennen, wo und wie Herr Zhu Dajian irgendetwas verhindern kann. Auch kann ich Ihren Überlegungen nicht folgen, eine Vervierfachung des Wohlstands wäre ohne entsprechenden Grundstoffeinsatz möglich. Wachstum ist bei uns und noch mehr in China eine Vergrößerung des Warenangebots mit anschließendem Absatz. Für diese Waren braucht man unweigerlich mehr Rohstoffe und Energie. Vor Kurzem habe ich Ihnen von einem Vorhaben von VW berichtet (link an die Redaktion) wo man überlegt, mit einem weiteren Werk in China pro Jahr Millionen Autos zu bauen und zu verkaufen. Dafür sind große Mengen Metalle nötig und jedes Jahr mehr, denn die Autos werden nicht leichter, sondern schwerer. Wie sieht "grünes" Wachstum in diesem Sektor aus? Lassen Sie mich nicht nur raten, sondern erklären Sie mir und den interessierten Lesern, was Sie unter "grünem" Wachstum verstehen. Was "die Chinesen" über den Klimawandel denken weiß ich nicht. Aber es ist bekannt, daß die chinesische Regierung alle Wachstumshemmnisse, die aus einer Einschränkung beim Verbrauch von fossiler Energie folgen, als Einmischung in innere Angelegenheiten ablehnt. Noch ist oberste Priorität die Steigerung des BIP und dabei sind Irrwege vorgezeichnet. Dazu werde ich Ihnen ein markantes Beispiel mailen (YouTube/chinas Geisterstädte...). Dieser Größenwahn hat seine Wurzel in den Vorgaben Maos, der in den 1950er Jahren zunächst England und danach die USA überholen wollte (Jung Chang - Mao). Überholt haben uns alle die Chinesen bei den CO2-Emissionen. Da sind sie nun schon "on top" und produzieren die zehnfache Menge der BRD. Die Entwicklung Chinas schlecht zu reden, liegt mir fern. Nur ist es an der Zeit, die Fakten, die erkennbaren Trends und die Unfähigkeit des Westens, daran etwas zu ändern, auch auszusprechen. Nach mir bekannten Zahlen hat China inzwischen einen Devisenschatz von ca. 4000 Milliarden US-Dollar beziehungsweise andere Währungen angehäuft. Das ist die Kriegskasse der Chinesen und damit kann man uns das Fürchten lehren. Nach jüngsten Berichten sind bereits 55 Prozent der Anteile an deutschen DAX-Konzernen in ausländischer Hand.
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