(15.4.2013) Die Christen sind nicht die einzigen Opfer im Krieg in Syrien, auch wenn manche deutsche Politiker diesen Eindruck vermitteln wollen. Christen werden nicht gezielt verfolgt, sagt die libanesische Politikwissenschaftlerin Doreen Khoury im Gespräch mit „welt-sichten“. Und: Der Westen muss die syrische Opposition stärker unterstützen. Auch mit Waffen? In dieser Frage ist Khoury hin- und hergerissen.
Vor Kurzem hatte das geistliche Oberhaupt der Kopten in Deutschland, Anba Damian, in einem Zeitungsinterview gesagt, den Christen in Syrien drohe die Vertreibung. Doreen Khoury, die seit August 2012 als Gastwissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin geforscht hat, widerspricht: „Es gab bislang nicht einen einzigen größeren Fall, dass ein christliches Dorf angegriffen wurde oder Christen vertrieben wurden.“ Die syrischen Christen seien von dem Krieg nicht stärker betroffen als Syrer anderer Religionen.
Khoury verteidigt die christliche Minderheit aber auch gegen den pauschalen Vorwurf, sie unterstütze das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Zwar hätten sich einige Kirchenführer offen für Assad ausgesprochen. „Auf der anderen Seite haben sich in den vergangenen zwei Jahren viele junge Christen der Opposition angeschlossen; es gibt viele christliche Aktivisten. Das ist auch eine Generationenfrage.“
Laut Khoury ist die Gefahr „ziemlich groß“, dass Syrien in einen Religionskrieg rutscht. Die islamistischen Kämpfer haben demnach ihren Einfluss in der Opposition vergrößert. Je länger der Krieg dauere, desto religiöser würden die Leute zudem, sagt Khoury. Es sei aber „fraglich, inwieweit lokale Gemeinschaften es den Islamisten erlauben werden, zu bleiben und ihre Regeln durchzusetzen“. Denn eigentlich sei den Syrern der radikale, politische Islam fremd.
Die Zurückhaltung des Westens hat dessen Image stark geschadet
Khoury betont, die zivile Opposition, die in den befreiten Landesteilen die politische Führung übernommen habe, benötige mehr Unterstützung, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Sie brauche Geld und Material, um die Stromversorgung aufzubauen, Schulen zu betreiben oder die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. „Die Leute müssen sehen, dass es eine lokale zivile Führung gibt, die das erledigt, und nicht irgendwelche bewaffneten dschihadistischen Kämpfer.“ Auch davon hänge es ab, wer am Ende des Krieges in Syrien das Sagen habe: die Dschihadisten oder die zivile Opposition. Für eine Bewaffnung der Opposition sei es „wohl zu spät“, sagt Khoury, die diese Woche wieder in den Libanon zurückkehrt. „Wen soll man heute bewaffnen? 2011, als es noch nicht so viele bewaffnete Gruppen gab, wäre das vielleicht möglich gewesen.“ Allerdings hätten die Syrer irgendeine Intervention wie in Libyen erwartet; die Zurückhaltung des Westens habe dessen Image stark geschadet.
Für Khoury ist klar, dass es eine Verhandlungslösung in Syrien, bei der Assad an der Macht bleibt, nicht geben kann. „Es muss ein Weg gefunden werden, der den Anhängern des Regimes nicht das Gefühl einer totalen Niederlage vermittelt, der aber zugleich der Opposition nicht das Gefühl gibt, dass die Kerle immer noch da sind, nachdem man zwei Jahre lang Opfer gebracht hat.“ Leider würden die Syrer dabei von der Welt allein gelassen. (ell)
Das vollständige Interview können Sie in der nächsten Ausgabe von „welt-sichten“ lesen. Sie erscheint am 4. Mai.
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