Wenig Staat zu machen

Mindestens 640 Menschen sind im August 2011 in Jonglei, einer Provinz des Südsudan, beim Angriff eines Trupps von Murle auf eine Untergruppe des Volks der Nuer ums Leben gekommen. Solche Gewaltausbrüche haben im Südsudan schon seit dem Frühjahr zugenommen. Die regierende SPLM wirft dem Sudan vor, sie anzuzetteln. Die Regierung in Khartum verweist dagegen hämisch auf Konflikte innerhalb des Südsudan. Beides ist leider begründet. Und beides schmälert noch die Chancen, dass der Südsudan bald zu einem funktionierenden Staatswesen wird.

Auch wenn die große Mehrheit der Südsudanesen die Lösung vom Norden euphorisch gefeiert hat: Die Voraussetzungen der Staats- und Nationswerdung sind dort denkbar schlecht. Das Land besitzt kaum ganzjährig nutzbare Straßen, geschweige denn andere Infrastruktur. Die meisten Menschen leben in Subsistenzwirtschaft, fast drei Viertel sind Analphabeten, die gebildete Elite ist sehr klein. Und Khartum hat im Bürgerkrieg systematisch Konflikte unter verschiedenen Volksgruppen geschürt, um die Befreiungsbewegung zu schwächen.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".

Zudem sind viele Völker im Südsudan klassische Beispiele für staatenlose Gesellschaften. Traditionen staatlicher Organisation und Verwaltung fehlen ihnen weitgehend. Ob die vorhanden sind, prägt aber Rebellenbewegungen stärker, als oft angenommen wird. Zum Beispiel fanden die Befreiungsbewegungen in Nord-Äthiopien und Eritrea, die zu einem alten Kaiserreich gehört hatten, schnell zu quasi-staatlicher Form – etwa einer klaren Hierarchie und Verfahren für die politische Kontrolle eroberter Gebiete; beide regieren heute nur allzu wirksam. Die SPLM dagegen begann erst Mitte der 1990er Jahre, an eine Verwaltung „ihrer“ Gebiete zu denken. Und sie trägt bis heute Züge einer Koalition von Milizen mit je eigenen Interessen und Ambitionen.

Dass nun lokale Konflikte eskalieren, besonders solche über Landrechte, hat mit Erblasten des Krieges zu tun, aber auch mit dem Fehlen neutraler Institutionen und mit Gerangel um Posten im neuen Staat. Die SPLM-Führung bindet lokale Kommandeure ein, indem sie ihnen lukrative Stellen anbietet; die Öleinnahmen dienen als Schmiermittel. Dieses Klientelwesen behindert den Aufbau unparteilicher Institutionen wie einer Polizei und Justiz, scheint aber als Befriedungsmittel zur Zeit unverzichtbar.

Dies umso mehr, als die Beziehungen zum Sudan gespannt bleiben und dort ebenfalls Kämpfe toben. Über wichtige Streitpunkte wie die Teilung der Öleinnahmen sind beide Regierungen noch uneins. Die Opposition im Nordsudan ist nach der Sezession geschwächt, im Regime haben die Falken Oberwasser. Der Bürgerkrieg in Darfur schwelt weiter. Und nahe der Grenze zum Südsudan haben Khartums Truppen im Mai Abyei besetzt, wo eigentlich ein Referendum über den Anschluss an den Südsudan stattfinden sollte, und im Juni die Nuba-Berge bombardiert, deren Bevölkerung im Bürgerkrieg auf Seiten des Südens gestanden hatte. Der Südsudan hat nicht eingegriffen, um seine Unabhängigkeit nicht zu gefährden. Beide Staaten werden wohl einen offenen Krieg weiter vermeiden, aber Rebellen jenseits der Grenze unterstützen und sich so gegenseitig destabilisieren. Das wird den Aufbau staatlicher Institutionen weiter erschweren. Schon um die Gewalt mittels Klientelwesen einzuhegen, werden die Südsudanesen politisches Geschick benötigen.

 

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erschienen in Ausgabe 9 / 2011: Rüstung: Begehrtes Mordgerät
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