Leben auf Kosten der Umwelt?

Vertreter von Wissenschaft, Entwicklungszusammenarbeit und Politik haben Mitte Oktober bei der 5. Österreichischen Entwicklungstagung in Krems an der Donau über das Gemeinwohl diskutiert. Was können Staat und Gesellschaft zu seiner Förderung beitragen? Beispiele aus Brasilien, Sri Lanka, Äthiopien und Thailand machten das Spannungsfeld deutlich.

Der Eröffnungsvortrag des brasilianischen Ökonomen Marcio Pochmann sorgte für heftige Kontroversen. Er stellte das Erfolgsmodell Brasilien vor, dem es gelungen sei, in weniger als einem Jahrzehnt 20 Millionen Menschen aus der Armut zu holen. Die meisten neuen Jobs seien zwar im Niedriglohnbereich geschaffen worden. Doch sei die Abwanderung von Arbeitskräften aus dem armen Nordosten in den reichen Süden des Landes nicht nur gestoppt, sondern sogar umgekehrt worden. Fragen der Zuhörer nach den ökologischen Konsequenzen des schnellen Wachstums, speziell der Ausbreitung von Monokulturen für die Gewinnung von Agrotreibstoffen, veranlassten Pochmann zu der umstrittenen Feststellung, bei der Wahl zwischen Umwelt und Leben müsse man sich für das Leben entscheiden.

Autor

Ralf Leonhard

war bis zu seinem plötzlichen Tod im Mai 2023 freier Journalist in Wien und ständiger Korrespondent von "welt-sichten".

Am Beispiel von Sri Lanka wurde analysiert, welche Folgen die marktliberale Öffnungspolitik in den 1970er Jahren für die Gesellschaft hatte. Gerade in dem südasiatischen Inselstaat hätten selbst die Weltbank und der Weltwährungsfonds, die den Sozialabbau zur Bedingung für ihre Kredite gemacht hatten, das Scheitern dieser Entwicklung eingestehen müssen, sagte Padma Pushpakanthi, Leiterin der nichtstaatlichen Organisation Savishtri. Werner Raza, der Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsstiftung für Entwicklung (ÖFSE), erklärte, es sei Aufgabe der Zivilgesellschaft, vom Staat eine effektive Politik der Umverteilung einzufordern. Professor Wolfram Schaffar von der Universität Wien zeigte am Beispiel der thailändischen Gesundheitspolitik, dass es selbst in Zeiten der Krise möglich sei, das Gemeinwohl zu fördern. Das vor einem Jahrzehnt eingeführte steuerfinanzierte Modell der universellen Gesundheitsversorgung gilt heute als Vorbild für ganz Südostasien.

Gesellschaftliches Interesse an Entwicklungspolitik schwindet

Die Tagung war zwar mit Irene Giner-Reichl, der für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Sektionschefin im Außenministerium, und der Chefin der Austrian Development Agency (ADA), Brigitte Öppinger-Walchshofer, durchaus prominent besetzt. Mit rund 200 blieb die Teilnehmerzahl aber hinter der vorangegangenen Tagung in Innsbruck 2008 deutlich zurück. Offenbar schwindet nicht nur die finanzielle, sondern auch die gesellschaftliche Unterstützung für die Entwicklungspolitik. Mitveranstalter Andreas Novy betonte dennoch, es sei deutlich geworden, dass die Kämpfe im Westen gegen die Zerschlagung des Sozialstaatsmodells und jene im Süden um die Teilhabe aller an der Gesellschaft vieles gemeinsam hätten. Die Entwicklungspolitik müsse deshalb ihre Anliegen mit dem verknüpfen, „was unter dem Slogan Occupy Wall Street offenbar zum großen Thema wird, nämlich dass in den USA und Europa die Lebenschancen der gebildeten Mittelschicht zerstört werden“, erklärte Novy.

www.pfz.at
www.mattersburgerkreis.at

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erschienen in Ausgabe 11 / 2011: Nigeria: Besser als sein Ruf
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