Das Bergwerk der Zukunft steckt in der Hosentasche, steht auf dem Schreibtisch oder vor dem Haus: Handys, Laptops und Autos enthalten zahlreiche wertvolle Metalle, die mit Hilfe hoch technisierter Verfahren aufbereitet und wiederverwertet werden können. In Mobiltelefonen und Computern stecken unter anderem Gold, Silber, Kupfer, Palladium und Kobalt. Aus 40 alten Handys kann so viel Gold gewonnen werden wie aus einer Tonne Erz. Auch leerstehende Wohngebäude oder verfallene Fabriken gelten als Rohstofflager. Weil Primärrohstoffe immer knapper und teurer werden, gewinnen diese Sekundärrohstoffe für die Industrie zunehmend an Bedeutung.
Autorin
Gesine Kauffmann
ist Redakteurin bei "welt-sichten".Denn Metalle lassen sich anders als andere Rohstoffe ohne Qualitätsverluste wiederverwenden. Und Jahr für Jahr wachsen in den Städten weltweit die Lagerstätten für Kupfer, Blei, Stahl und Edelmetalle – die natürlichen dagegen schrumpfen. „Urban mining“ bietet gegenüber dem Abbau von Eisen, Aluminium, Gold, Silber und Platin in Bergwerken eine Reihe von Vorteilen. Zum einen wird die Industrie unabhängiger von Importen und von den steigenden Rohstoffpreisen. Das ist vor allem für ein Land wie Deutschland wichtig, das bei Metallen fast komplett auf Einfuhren angewiesen ist. Zum anderen schädigt „Urban mining“ die Umwelt weniger und trägt zum Klimaschutz bei. Bei der Rückgewinnung von Edelmetallen werde deutlich weniger Energie und Wasser verbraucht als beim Bergbau, erklärt Christian Hagelüken von der Materialtechnologie- und Recyclingfirma Umicore: Für fünf Gramm Gold aus einer Mine müsse durchschnittlich eine Tonne Erz bewegt werden. Die Ausbeute aus einer Tonne Computer-Leiterplatten hingegen betrage mehr als 200 Gramm, bei einer Tonne Handys seien es sogar 300 Gramm. Und je weniger Energie der Produktionsprozess verschlinge, umso geringer seien die Kohlendioxid-Emissionen, ergänzt Hagelüken.
Trotz dieser Vorteile und – etwa in Europa – gesetzlich festgelegter Recyclingquoten werden die urbanen Rohstoffstätten noch wenig genutzt. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat in einem Bericht vom Juni dieses Jahres die Quoten von mehr als 60 Metallen weltweit untersucht. Massenmetalle wie Blei, das vor allem für Batterien verwendet wird, Aluminium und Kupfer kommen im Durchschnitt auf eine Recyclingquote von mehr als 50 Prozent. Auch die Edelmetalle Gold, Silber, Palladium und Platin erreichen ähnlich hohe Werte – allerdings mit großen Unterschieden je nach Quelle: Aus Schmuck und Industrieanwendungen werden bis zu 90 Prozent des Goldes recycelt, die Ausbeute aus Elektrogeräten wie Handys beträgt hingegen lediglich 10 bis 15 Prozent.
Damit die urbanen Minen ausgebeutet werden können, müssen sie erst Teil des Recyclingkreislaufs werden – und zum Beispiel bei einer Sammelstelle für ausgediente Elektrogeräte landen. Die meisten alten Handys jedoch schlummern in Schubladen, während ihre Besitzer schon mit dem neuesten Modell telefonieren. Weniger als zehn Prozent der wertvollen Inhaltsstoffe von rund 800 Millionen weltweit verkauften Geräten im Jahr 2009 wurden Experten zufolge recycelt. „Mobiltelefone sind ein besonders negatives Beispiel“, sagt Matthias Buchert, Leiter des Bereichs Infrastruktur und Unternehmen beim Darmstädter Öko-Institut und Mitautor des UNEP-Berichtes. Die Erfassungsquote könne mit klaren Vorgaben und Anreizen wie etwa einem Pfandsystem deutlich erhöht werden. Ein Beispiel: In Deutschland müssen Autofahrer seit 1998 ein Pfand bezahlen, wenn sie eine neue Batterie für ihr Fahrzeug kaufen, derzeit 7,50 Euro. Das Geld erhalten sie zurück, wenn sie die ausgediente Batterie beim Handel abgeben. Das zeigt Wirkung: Laut dem Bundesumweltministerium ist der Verwertungsanteil der Batterien zwischen 1999 und 2009 von 19 auf nahezu 100 Prozent gestiegen.
Auch Christian Hagelüken ärgert sich über zu geringe Sammelquoten und kann sich ein Pfand auf Mobiltelefone gut vorstellen. Noch mehr ärgert ihn aber, dass große Mengen alter Elektrogeräte aus Europa – allein aus Deutschland jährlich 155.000 Tonnen – nach Asien und Afrika verschifft werden. 60 Prozent davon würden nicht korrekt recycelt, sagt Hagelüken. Damit gingen Metalle im Wert von mehr als fünf Milliarden US-Dollar verloren.
Zum Teil werden gebrauchte Computer oder Handys legal exportiert und in Empfängerländern wie Indien, Ghana und Nigeria noch eine Zeitlang weiter genutzt. Überwiegend handelt es sich jedoch um falsch deklarierten Elektroschrott, dessen Ausfuhr aus Europa nach der Baseler Konvention zur Kontrolle des grenzüberschreitenden Transportes gefährlicher Abfälle verboten ist. Auf Mülldeponien oder in kleinen Hinterhofbetrieben wird er in der Regel verbrannt und mit hochgiftigem Zyanid oder Quecksilber behandelt, um die wertvollen Inhaltsstoffe herauszulösen. Das belastet die Umwelt schwer und schadet der Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter. Viele leiden unter schweren Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerzen, Schwindel und Hautausschlägen.
Hinzu kommt: Bei dieser Form der Verarbeitung werden bei einem Edelmetall wie Gold lediglich etwa 25 Prozent wiedergewonnen, erläutert Hagelüken. In modernen industriellen Recyclinganlagen wie der von Umicore im belgischen Antwerpen hingegen liege die Ausbeute bei mehr als 95 Prozent. Zusätzlich werden weitere Metalle wie Palladium, Silber, Kupfer, Zinn und Kobalt recycelt, die in den Hinterhofbetrieben meist vollständig verloren gehen. „Hier gibt es noch einen gewaltigen Handlungsbedarf“, sagt auch Matthias Buchert vom Öko-Institut. Immerhin: UN-Organisationen und staatliche Entwicklungsagenturen, private Unternehmen sowie Forschungsinstitute haben sich vor einigen Jahren zu der Initiative Solving the E-Waste Problem (STEP) zusammengeschlossen. Sie wollen die fachgerechte Verwertung von Elektroschrott weltweit vorantreiben, über die Gefahren von unangemessener Entsorgung informieren und das Wissen über effiziente Recycling-Methoden verbessern.
Im Rahmen dieser Initiative hat das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) damit beauftragt, Schwellen- und Entwicklungsländer beim geregelten Recycling von Elektroschrott zu unterstützen. Sie hat seit 2003 mehrere Dutzend Projekte in Afrika, Asien und Lateinamerika verwirklicht. Es gehe vor allem darum, das „Beste aus zwei Welten“ miteinander zu verbinden, erläutert Mathias Schluep von der EMPA. Ärmere Länder seien einerseits weitaus effektiver bei der Sammlung von Elektroschrott als die Europäer. Andererseits müssten vor allem die Arbeitsbedingungen und die Qualität des Recyclings im informellen Sektor verbessert werden. In Indien und China etwa entstehe eine formelle Recycling-Industrie, die auch politisch unterstützt wird, erklärt Schluep.
Die indische Regierung sei für das Thema „stark sensibilisiert“, bestätigt Ellen Gunsilius, Beraterin bei der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Im Mai wurden neue Richtlinien zum Umgang mit Elektroschrott erlassen. Danach müssen sich Recycler registrieren lassen, wenn sie Material zur Wiederverwertung kaufen möchten. Die GIZ hilft in Neu-Delhi, Bangalore und weiteren Städten, Kleinbetriebe im informellen Sektor für die neuen Anforderungen fit zu machen. Sie werden zu größeren Firmen zusammengefasst und in Industriegebieten angesiedelt, sie erhalten Trainings in sachgemäßem Umgang mit dem Elektroschrott und in Betriebsführung. Die urbanen Minen auf dem Subkontinent bergen immer mehr Schätze. Laut offiziellen Angaben fallen dort in diesem Jahr voraussichtlich 486.000 Tonnen elektronische Abfälle an, im kommenden Jahr wird mit 800.000 Tonnen gerechnet. In Ländern wie Ghana und Nigeria hingegen sieht Mathias Schluep von der EMPA mehr Schwierigkeiten, die Entsorgung von Elektroschrott unter Kontrolle zu bekommen. Weltweit beurteilt er die Entwicklung der vergangenen Jahre aber zuversichtlich: „Das generelle Bild ist positiv.“
Ein Sonderfall beim Recycling sind die sogenannten seltenen oder kritischen Metalle. Dazu zählen neben den Seltenen Erden wie Lanthan, Europium, Dysprosium und Neodym weitere Technologiemetalle wie Indium, Gallium und Germanium. Sie werden vor allem für umweltfreundliche Technologien und High-Tech-Produkte verwendet und stecken in Smartphones, Windturbinen, Energiesparlampen, Leuchtdioden (LED), Hybridfahrzeugen und Katalysatoren. Abgebaut werden die Seltenen Erden zu rund 97 Prozent in China. Die Volksrepublik nutzt ihre Monopolstellung, indem sie über Exportbeschränkungen Preissteigerungen durchsetzt und zudem ihrer Wirtschaft im Hochtechnologiesektor Vorteile verschafft. Einer der größten Anbieter Seltener Erden außerhalb Chinas, der US-amerikanische Konzern Molycorp, will seine Produktion in der kalifornischen Mountain-Pass-Mine in den kommenden beiden Jahren vervierfachen.
Auch die Europäer bemühen sich, den Anschluss nicht zu verlieren. Sie setzen auf das Recycling von Technologiemetallen. Bei den Seltenen Erden planen sie dazu auf Initiative der Grünen im Europaparlament ein Kompetenznetzwerk aus Vertretern von Wirtschaft und Wissenschaft. Denn noch ist es kaum möglich, diese Elemente aus Produkten zurückzugewinnen. Derzeit liefen eine Reihe von Forschungsvorhaben an, um technische Lösungen zu entwickeln, berichtet Matthias Buchert vom Öko-Institut. Und die Zahl der ausgedienten Produkte wie Notebooks und Energiesparlampen mit den begehrten Metallen wächst. In einigen Jahren werde sich das Recyclingpotenzial mit der weiteren Verbreitung grüner Technologien wie Windenergie und Elektrofahrzeugen noch deutlich steigern. Dann müssten auch Regelungen für die Entsorgung etwa von Windturbinen getroffen werden. „Europa hat nicht unbegrenzt Zeit“, betont Buchert mit Blick auf die Konkurrenz aus China und Japan.
Ob Massenmetalle, Edelmetalle, Technologiemetalle oder Seltene Erden: Um sie effizient und umweltfreundlich zu nutzen, muss nach Ansicht von Fachleuten eine globale Recyclingwirtschaft aufgebaut werden. Gesetze zu Rücknahme und Wiederverwertung müssten strikter angewendet und die Recyclingkette vom Sammeln über das Sortieren und Zerlegen bis zum Aufbereiten und der Rückgewinnung der Metalle müsste besser kontrolliert werden, fordert Christian Hagelüken von Umicore. Mit Hilfe einer Zertifizierung könnten die Transparenz erhöht und die Qualität besser gesichert werden.
Für Deutschland hat der Rat für nachhaltige Entwicklung im Mai den Fahrplan für eine „100-prozentige Kreislaufführung von Rohstoffen“ vorgelegt. Ziel müsse es sein, Produkte bereits bei der Herstellung „an den Anforderungen einer hochwertigen Wiederverwertung und Recyclingfähigkeit auszurichten“, heißt es darin. Verbraucher sollten sich bei Kaufentscheidungen stärker daran orientieren, ob ein Produkt wieder verwertbar ist – und sich auf neue Geschäftsmodelle einlassen, unter dem Motto „Nutzen statt Besitzen“. Im Oktober hat der Bundestag die Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes beschlossen, mit dem die Abfallwirtschaft auf Müllvermeidung und Recycling ausgerichtet werden soll. Umweltexperte Buchert stellt der Bundesrepublik denn auch gemeinsam mit Österreich, Dänemark, Benelux und der Schweiz gute Noten für ihre Anstrengungen aus. Weltweit hingegen sind die Aussichten weniger günstig: Eine Recycling-Gesellschaft sei nicht mehr als eine ferne Hoffnung, heißt es im UNEP-Bericht über das Metall-Recyling. Der Pionier der Umweltforschung Ernst Ulrich von Weizsäcker kann all dem trotzdem eine gute Seite abgewinnen: „Das sind faszinierende Aufgaben für eine neue Generation von Ingenieuren.“
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