Die Schweiz am Tisch mit den Großen

Formell gekleidete Männer und Frauen hinter Tischen mit Mikrofonen.
Brendan McDermid/Reuters
Die Schweizer Staatspräsidentin Viola Amherd (links) spricht im September 2024 im UN-Sicherheitsrat, rechts der britische Premier Keir Starmer.
UN-Sicherheitsrat
Die Schweiz war 2023-2024 erstmals Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Sara Hellmüller ist Mitarbeiterin eines Projekts, das diese Mitgliedschaft wissenschaftlich dokumentiert. Sie erklärt, was die Schweiz erreicht hat und wie das gelungen ist.

Sara Hellmüller ist Professorin am Geneva Graduate Institute und Ko-Leiterin des Forschungsprojekts zur Arbeit der Schweiz im UN-Sicherheitsrat, an dem auch die ETH Zürich und die Universität Lausanne beteiligt sind. Es wird von der Fondation pour lUniversité de Lausanne finanziert.

Frau Hellmüller, für Ihre Forschung konnte Ihr Team mehrere Wochen in New York die Arbeit der Ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen (UN) beobachten. Können Sie uns die Stimmung dort schildern?
Die Stimmung im Sicherheitsrat ist sehr polarisiert mit teils scharfen Wortgefechten und verbalen Angriffen unter den Mitgliedstaaten. Außerdem belastet viele die Konfrontation mit unfassbarem menschlichem Leiden bei gleichzeitiger Unfähigkeit des Rates, in den akuten humanitären Krisen zu handeln.

Sie sprechen die großen geopolitischen Spannungen zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates an. Wie handlungsfähig ist ein nichtständiges Mitglied wie die Schweiz dort überhaupt?
Es war in der Tat eine äußerst schwierige, von Machtkämpfen geprägte Zeit. Die fünf ständigen Mitgliedstaaten – China, Frankreich, Russland, die USA und das Vereinigte Königreich – machen zunehmend von ihrem Vetorecht Gebrauch. Das hat den Rat daran gehindert, auf humanitäre Krisen wie im Gazastreifen, im Sudan oder der Ukraine zeitnah zu reagieren. Gleichzeitig hat diese Blockade auch zu Innovationen und Koalitionen unter den nichtständigen Mitgliedern geführt. So haben sie zum ersten Mal in der Geschichte des Sicherheitsrates im Mai 2024 eine Resolution in einer Koalition aus allen zehn gewählten nichtständigen Mitgliedern eingebracht, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen forderte. Die Resolution wurde angenommen; nach 171 Tagen grausamen Krieges war dies dringend nötig.

Was war dabei die Rolle der Schweiz?
Wir haben von anderen Mitgliedstaaten gehört, dass sie als Brückenbauerin wahrgenommen wurde. Sie war in New York bekannt dafür, dass sie bei jeder Stellungnahme konsequent die Einhaltung des Völkerrechts forderte und wiederholt die Regeln eines guten Miteinanders im Rat in Erinnerung rief.

Welche Erfolge hat die Schweiz erzielt?
Aus meiner Sicht war der wichtigste diplomatische Erfolg die Verabschiedung der Schweizer Resolution im Mai 2024 zum Schutz von humanitären Helfern und von UN-Personal in Konfliktgebieten. Denn in den letzten Jahren hat die Zahl der Opfer unter Hilfsorganisationen dramatisch zugenommen. Allgemein ging es bei vielen Themen vor allem darum, dass sie auf der Tagesordnung bleiben. Zum Beispiel bei der Klimasicherheit, für die sich die Schweiz stark gemacht hat, obwohl einige Mitgliedstaaten dies ablehnten. Auch das relativ neue Thema der Wissenschaftsdiplomatie konnte die Schweiz vorantreiben. In ihrer zweiten Präsidentschaft im Oktober 2024 hat sie eine Präsidialerklärung dazu durchgebracht.

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In Ihrem Bericht heben sie innovative Arbeitsmethoden hervor, welche die Schweiz genutzt hat. Können Sie ein Beispiel geben?
Die Schweiz hat unter anderem von der Methode der Ortsbesuche Gebrauch gemacht. Diese helfen, die Legitimität des UN-Sicherheitsrates zu stärken. Denn oft wird er dafür kritisiert, die Geschehnisse von der Ferne aus zu beurteilen und zu wenig Verständnis für die Situation vor Ort zu haben. So organisierte die Schweiz zusammen mit anderen Ländern einen Besuch in den Südsudan für die informelle Expertengruppe des Rates zu „Frieden, Frauen und Sicherheit“ und einen Ratsbesuch nach Kolumbien.

Gibt es auch Kritikpunkte an der Amtszeit der Schweiz?
Sie hätte teilweise mutiger auftreten können. Zum Beispiel bei der von Malta eingebrachten Resolution im November 2023, die „ausgedehnte humanitäre Pausen“ für den Gazastreifen verlangte. Die Schweiz hat die Vorlage unterstützt, hätte aber angesichts der humanitären Dringlichkeit auch selbst federführend auftreten können. Außerdem hat die Schweizer Stimmenthaltung beim Antrag Palästinas auf eine UN-Vollmitgliedschaft für viel Kritik in New York gesorgt, zumal ein Veto der USA ohnehin absehbar war. Viele dieser Prozesse haben aber natürlich mehr mit innen- als mit außenpolitischen Dynamiken zu tun.

Innenpolitisch zeigt das Schweizer Engagement in eine andere Richtung. So schwächen die vom Parlament beschlossenen Kürzungen besonders die bilaterale und die multilaterale Zusammenarbeit. Steht das im Widerspruch zum Engagement im Sicherheitsrat?
Die Innen- und Außenpolitik der Schweiz muss langfristig sicher eine Kongruenz anstreben, sonst steht die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Es bleibt zu hoffen, dass die Schweiz, auch wenn sie nicht mehr im direkten Scheinwerferlicht der Weltpolitik steht, weiterhin eine wichtige Stimme für den Multilateralismus und das Völkerrecht bleibt. Denn alles andere würde lange Schatten werfen, für die Schweiz und die Welt.

Das Gespräch führte Samanta Siegfried.
 

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