„Entwicklungshilfe war gestern. Heute und morgen braucht es ein modernes Verständnis von Zusammenarbeit, von Respekt und Haltung gegenüber dem Globalen Süden.“ Nein, das stammt nicht aus einem entwicklungspolitischen Konzeptpapier aus dem Jahr 2000. Die noch amtierende Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat die zwei Sätze dieser Tage zu Papier gebracht. So oder so ähnlich ist ihre Aussage allerdings schon mindestens seit einem Vierteljahrhundert entwicklungspolitisches Gemeingut in Deutschland. Wer von „Entwicklungshilfe“ statt politisch korrekt von „Entwicklungszusammenarbeit“ spricht, fängt sich schon seit Jahrzehnten aus der Szene Rüffel ein.
Also nur alte Hüte in den fünf Seiten, auf denen Schulze pünktlich zum Auftakt des Bundestagswahlkampfs ihre Vorstellungen zur künftigen Entwicklungspolitik Deutschlands skizziert? Grundlegend Neues findet sich in dem Papier tatsächlich nicht. Schulze setzt aber einige richtige Schwerpunkte und betont Aspekte, die durchaus immer mal wieder in Erinnerung gerufen werden sollten. Aus Schulzes Beitrag sprich insgesamt ein wohltuend politisches Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit. Allerdings tappt sie zugleich in die Falle, deren Möglichkeiten maßlos zu überschätzen.
Als Kernauftrag von Entwicklungspolitik nennt die Ministerin die Bekämpfung von Hunger, Armut und Ungleichheit weltweit – und es ist schon mal erfreulich, dass es bei ihr nicht wie in so vielen anderen entwicklungspolitischen Konzepten zurzeit an erster Stelle um Migrationsbekämpfung und deutsche Interessen geht. Um diesen Kernauftrag zu erfüllen, brauche es eine langfristig wirkende „globale Strukturpolitik“, schreibt Schulze. Sie borgt sich damit einen Begriff, den ihre SPD-Genossin und Vorgängerin als Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in ihrer Amtszeit Anfang der 2000er Jahre geprägt hat.
Ähnliche Ideen wie Heidemarie Wieczorek-Zeul
Schulze versteht darunter ähnliches wie Wieczorek-Zeul: Es gehe um langfristigen Wandel in den Partnerländern und multilaterale Lösungen für weltweite Aufgaben, etwa in der Steuerpolitik. Wichtig seien enge Beziehungen zu Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Ländern des globalen Südens, abseits klassischer Diplomatie. Um solche Brücken zu bauen, brauche es vor allem die Mitarbeit von zivilgesellschaftlichen Kräften in Deutschland wie Hilfsorganisationen, politischen Stiftungen und Gewerkschaften. Das Recht, vor allem das Völkerrecht, müsse stärker als entwicklungspolitisches Gestaltungsinstrument genutzt werden. Und es fällt erfreulich auf, dass Schulze China zuerst als Partner für eine globale Strukturpolitik nennt, bevor sie die Volksrepublik dann pflichtschuldigst auch als „strategischen Rivalen“ bezeichnet, gegen den sich Europa auch mit Hilfe der Entwicklungspolitik wappnen müsse. Für Wieczorek-Zeul war China übrigens eines jener besonders wichtigen Partnerländer – damals Ankerländer genannt –, ohne die sich globale Probleme nicht lösen lassen.
Eine so verstandene Entwicklungspolitik, so Schulze, sei notwendiger denn je angesichts der vielen Krisen und Kriege und der sich über den Globus ausbreitenden rechtspopulistischen und nationalistischen Versuchung, die einfache Antworten auf schwierige Fragen verspreche. Aber hier tappt sie dann in die Falle der Selbstüberschätzung. Schulze schreibt, die deutsche Entwicklungspolitik habe während ihrer Amtszeit „entscheidende Beiträge geleistet und neuartige Allianzen geschmiedet“, um auf Krisen zu reagieren – und nennt unter anderem ausgerechnet den Krieg um die Ukraine und die Gewalteskalation im Nahen Osten. Beide taugen allerdings keineswegs als Belege für die Wirksamkeit von Entwicklungspolitik, sondern im Gegenteil für das Versagen jeglicher entwicklungspolitischen, friedenspolitischen und diplomatischen Bemühungen, diese Konflikte gewaltfrei zu bearbeiten.
Schulze nennt den Sahel und das Horn von Afrika als Regionen, in denen Europa ein „besonderes Interesse an Stabilisierung“ habe. Deshalb brauche es dort ein „kohärentes deutsches Engagement“, das Konflikte bearbeite und neue verhindere. Das mag sein, allerdings haben deutsche, europäische und insgesamt westliche Entwicklungspolitik und Diplomatie in diesen beiden Regionen in den vergangenen Jahren zunehmend an Einfluss verloren und letztlich nicht mehr viel zu melden. Auch das ist also eher ein Beispiel für die Machtlosigkeit von Entwicklungspolitik, nicht für ihre Gestaltungskraft.
Schulze schlägt vor, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie ihr Haus seit 1993 heißt, in Bundesministerium für internationale Zusammenarbeit umzutaufen. Der Anspruch dahinter ist nachvollziehbar, aber allein ein neuer Name macht die Entwicklungspolitik nicht stärker, als sie ist.
Seit Heidemarie Wieczorek-Zeul vor 25 Jahren die „globale Strukturpolitik“ erfand, haben sich die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit der wichtigsten Geberländer von gut 70 Milliarden US-Dollar auf mehr als 210 Milliarden verdreifacht – was nicht verhindert hat, dass die Welt in dem miserablen Zustand ist, in dem wir sie heute sehen. Ja, ohne Entwicklungszusammenarbeit wäre vieles noch schlimmer. Aber wenn Ministerin Schulze schreibt, es werde in Zukunft „noch mehr darum gehen“, mit Entwicklungspolitik Rahmenbedingungen für eine sichere Welt für alle ohne Armut und Ungleichheit zu schaffen, dann ist das nicht mehr als ein frommer Wunsch.
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