Die Batwa sollen zurück dürfen

Afrikanischer Ranger mit Gewehr in grüner Uniform steht in einem Naturpark im Ostkongo.
ALEXIS HUGUET/AFP via Getty Images
Ein Ranger im Kahuzi-Biega-Nationalpark im Ostkongo 2019. Die Parkwächter sollen illegale Eindringlinge vertreiben, oft trifft es dabei die Falschen.
DR Kongo
Im Namen des Naturschutzes wurden Tausende Batwa aus einem Naturpark im Ostkongo vertrieben. Die Afrikanische Union sagt nun, sie sollen ihre Landrechte zurückerhalten.

Der Artikel ist zuerst auf der Onlineplattform „YaleEnvironment360“ erschienen.

Neun Jahre hat die Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker der Afrikanischen Union (AU) den Fall beraten. Nun hat sie Ende Juli entschieden, dass die Regierung der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) Teile des riesigen Kahuzi-Biega-Nationalparks im bewaldeten Osten des Landes an seine angestammten Eigentümer zurückgeben sollte, das Volk der Batwa. Laut der Kommission hat die Regierung des Kongo gegen elf Menschenrechtsartikel der Afrikanischen Charta verstoßen, die sie unterzeichnet hat – darunter gegen das Recht der Batwa auf Leben, Eigentum, Naturressourcen, Entwicklung, Gesundheit, Religion und Kultur. 

Die Rückgabe des fraglichen Landes würde eine schreckliche Ungerechtigkeit wiedergutmachen, die im Namen des Naturschutzes begangen wurde: Als der Park in den 1970er Jahren gegründet wurde, vertrieb die Regierung etwa 6000 Batwa aus der Hochlandregion des Parks und widerrief, ohne sie vorher anzuhören, ihre Gewohnheitsrechte auf ihr Land. Sie wurden auch nicht entschädigt. Bis heute leben viele von ihnen in Lagern am Straßenrand und betreten oft heimlich den Park, um Brennholz zu sammeln, Nahrung zu suchen und Rituale zu praktizieren.

„Dieses Urteil ist unglaublich wichtig. Es wird in ganz Afrika das Denken und den Diskurs über Naturschutz und Landrechte beeinflussen“, sagt Deborah Rogers. Sie war früher als Ökologin bei The Nature Conservancy beschäftigt, sie interessiert sich seit langem für den Park und ist mittlerweile Präsidentin der Initiative für Gleichheit, einem Netzwerk von Aktivistenorganisationen. „Es schafft einen juristischen Präzedenzfall für alle Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union.“ 

Beratung im Dorf Muyange 2023 über die gebrochenen Versprechen der Regierung. Die Batwa dürfen nicht mehr im Naturschutzgebiet ihren Lebensunterhalt gewinnen.

Das in Großbritannien ansässige Forest Peoples Programme schätzt, dass in ganz Afrika indigene Völker und andere Waldbewohner als Folge sogenannter grüner Aneignungen mehr als eine Million Quadratkilometer verloren haben – eine Fläche so groß wie Texas und Kalifornien zusammen. Für die Minority Rights Group, die sich für Minderheiten und Indigene einsetzt und die den Fall vor die Kommission gebracht hat, ist das Urteil ein großer Sieg gegen rücksichtslosen „Festungsnaturschutz“. Die Kommission erkenne mit der Entscheidung erstmals „die entscheidende Rolle der indigenen Völker beim Schutz der Umwelt und der biologischen Vielfalt an“. Joshua Castellino, der Co-Geschäftsführer der Gruppe, hofft, dass das Urteil „in Afrika einen neuen Standard für den Schutz setzt, der auf andere Fälle auf dem Kontinent und weltweit ausgedehnt werden kann“.

Das Urteil ist nicht bindend

Joseph Itongwa mahnt dagegen zur Vorsicht. Er ist Geschäftsführer von ANAPAC RDC, einem kongolesischen Zusammenschluss örtlicher Organisationen, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzen. Er bemerkt, es gebe keine Garantie dafür, dass das Urteil umgesetzt wird. „Dies ist ein wichtiger Schritt für die Förderung unserer Rechte“, sagt er. „Aber er ist nicht bindend. Und wir wissen noch nichts über die offizielle Reaktion der Regierung.“

Einige Beobachter bezweifeln, dass die Batwa Jahrzehnte, nachdem sie von ihrem Land vertrieben wurden, in der Lage sind, den Park zu verwalten und seine bedrohten Arten zu schützen – dazu gehört eine der weltweit letzten Populationen des Östlichen Flachlandgorillas. Und manche Beteiligte spielen auf Zeit. So die in New York ansässige Wildlife Conservation Society (WCS), eine Naturschutzorganisation, die bereits vor der Gründung des Kahuzi-Biega-Nationalparks an der Verwaltung des Geländes mitgewirkt hat und seit 2022 faktisch dafür zuständig ist. Sie nimmt das Urteil zur Kenntnis, will aber nicht die Fragen von Yale Environment 360 beantworten, inwieweit sie es unterstützt oder bei dessen Umsetzung helfen wird.

„Diese Gebiete sind unsere Identität“

Ein Ältester der Batwa, der jetzt in Bukavu in der Nähe des Parks lebt, erklärt unter der Bedingung, dass er anonym bleibt, warum das Urteil so wichtig für sein Volk ist. „Jeder Clan hat seine eigenen Hügel. Dazwischen gibt es heilige Stätten, an denen wir mit den Ahnen kommunizieren und mit dem Wald in Verbindung stehen, den wir als nährende Mutter betrachten. Diese Gebiete sind unsere Identität. Wenn man sie uns wegnimmt, vernichtet man uns.“ 

Nach Angaben eines Anwalts aus Bukavu, der auch Batwa-Wurzeln hat und den Fall genau verfolgt, hat die Regierung die ganze Zeit versucht, die Untersuchung der Kommission scheitern zu lassen. „Sie hat nie auf deren Anfragen geantwortet, und Regierungsvertreter sind auch nie vor der Kommission erschienen, obwohl der Kongo die Afrikanische Charta unterzeichnet hat.“ Auf Bitten um eine Stellungnahme haben weder die Kommission noch die Regierung der Demokratischen Republik Kongo reagiert.

Der Anwalt will aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen anonym bleiben. Er sagt, die Kommission sei zwar nicht befugt, ihre Empfehlungen durchzusetzen. Aber zwei andere Gerichte für Menschenrechte und Rechte der Völker, die mit der Afrikanischen Union verbunden sind, hätten durchaus diese Befugnis. „Wenn die Regierung der DR Kongo sich weiterhin uneinsichtig zeigt, werden wir diese Gerichte bitten, verbindliche Entscheidungen zu erlassen“, so der Anwalt.

Zwangsvertreibungen im Namen des Naturschutzes

Zwangsvertreibungen indigener Völker wie der Batwa von ihrem angestammten Land sind in Afrika seit Jahrzehnten weit verbreitet. In der Regel geschieht dies im Namen des Naturschutzes. Und oft wurden solche Maßnahmen von westlichen Naturschutzgruppen wie der WCS und dem World Wildlife Fund (WWF) geplant, unterstützt und finanziert. Die Batwa in Zentralafrika haben besonders darunter gelitten.

Auch physische Gewalt war häufig. Im Jahr 2020 stellte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen fest, dass der WWF jahrelang Parkwächter finanziert hatte, von denen er wusste, dass sie dem dortigen indigenen Volk der Baka in den Parks des Gebiets Gewalt antaten. Die US-Regierung entzog daraufhin der Organisation die Mittel für die Arbeit in der Region.

Gleichzeitig häufen sich weltweit die Belege dafür, dass indigene Völker, die als Waldzerstörer verunglimpft werden, in der Regel Wälder bewahren – sie sind bessere Naturschützer als die Parkmanager, die vielerorts ihren Platz eingenommen haben. Die Entscheidung der Afrikanischen Kommission über die Landrechte der Batwa im Kahuzi-Biega-Nationalpark hat deshalb Signalwirkung.

Rapider Rückgang von Gorillas und Elefanten

Der Kahuzi-Biega-Park ist nicht nur symbolisch bedeutsam, sondern auch ein wichtiger Hort der biologischen Vielfalt. Er ist nach den beiden erloschenen Vulkanen in seinem Herzen benannt und liegt im zweitgrößten Regenwald der Welt, der das Kongobecken und das Hochland um die Großen Seen in Zentralafrika bedeckt. Der Kahuzi-Biega-Park erstreckt sich über fast 6000 Quadratkilometer und beherbergt 14 Primatenarten, darunter Schimpansen und eine der letzten Gruppen von Flachlandgorillas. Die UNESCO hat das Gebiet zum Weltnaturerbe erklärt und bezeichnet es als „eine der ökologisch reichsten Regionen Afrikas“.

Autor

Fred Pearce

ist Journalist in England. Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter „Land Grabbing: Der globale Kampf um Grund und Boden“ (München 2012).

Doch seit das Gebiet 1970 zum Nationalpark gemacht und danach die Batwa vertrieben wurden, gab es  Probleme. Die Parkwächter waren nicht in der Lage, andere Menschen als die Batwa vom Eindringen abzuhalten. Zu ihnen gehörten Hutu-Flüchtlinge, die 1994 nach dem Völkermord im benachbarten Ruanda geflohen waren, und Milizen, die sich während der beiden Bürgerkriege im Osten der Demokratischen Republik Kongo dort versteckten. Zu genau dieser Zeit kam es zu einem rapiden Rückgang der Gorillas und Elefanten, so dass die UNESCO den Park 1997 auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten setzte, wo er noch heute steht.

Nach den Bürgerkriegen blieben viele bewaffnete Gruppen im Park und bauten dort mit einfachen Mitteln Rohstoffe ab: Coltan, das für Handys und Computer gebraucht wird, sowie Zinnerz und Gold. Die Parkwächter konnten sie nicht vertreiben. Laut Fergus O’Leary Simpson, der am Institut für Entwicklungspolitik der Universität Antwerpen forscht und das Gebiet regelmäßig besucht, berichten die Einheimischen, dass einige hochrangige Beamte des Kongolesischen Instituts für Naturschutz (ICCN) – der Behörde, die den Park kontrolliert – selbst in den Bergbau verwickelt sind und dass hochrangige Militärs bewaffnete Gruppen mit Waffen versorgen.

Im Jahr 2005 wurde mit Cosma Wilungula der Vorsitzende eines kongolesischen Bergbauunternehmens Generaldirektor des ICCN. Nach 16 Jahren wurde er 2021 unter dem Vorwurf der Veruntreuung seines Amtes enthoben. Zwei Jahre später untersagte ihm das US-Außenministerium die Einreise in die Vereinigten Staaten aufgrund von „erheblicher Korruption“.

Die Batwa werden als Sündenböcke benutzt

Dennoch werden, wie Rogers berichtet, „die Batwa als Sündenböcke benutzt, wenn illegale Vorgänge im Park entdeckt werden“. Als 2018 nach jahrelangen, weitgehend gescheiterten Verhandlungen mit dem ICCN etwa 2000 Batwa in Familiengruppen in ihre alten Dörfer zurückkehrten, reagierten Parkwächter und Militärs heftig – sie nahmen sogar Dörfer unter Artilleriefeuer und brannten sie ab. Ein Bericht für die Minority Rights Group kam zu dem Schluss, dass bei diesen Angriffen innerhalb von drei Jahren mindestens 20 Batwa getötet und 15 Frauen vergewaltigt worden waren.

Der internationale Aufschrei nach der Veröffentlichung des Berichts führte zu einem Wechsel in der Verwaltung des Parks. Im Jahr 2022 sicherte sich schließlich die Wildlife Conservation Society (WCS) eine öffentlich-private Partnerschaft mit der Regierung der DR Kongo, und die Organisation übernahm die Kontrolle über den Park. Die WCS richtete einen Verwaltungsausschuss ein, in dem auch die Batwa vertreten waren, und erkannte offiziell „die legitimen Ansprüche der Batwa auf ihr verbleibendes angestammtes Land innerhalb des Parks“ sowie die Notwendigkeit einer „dauerhaften Landlösung“ an.

Dennoch gibt es bislang kaum Anzeichen für eine solche Lösung, sagen Kritiker. „Die Diskrepanz zwischen dem, was die WCS in der Öffentlichkeitsarbeit verkündet, und dem, was sie tatsächlich tut, ist groß“, sagt Rogers. Laut Simpson besteht die wichtigste Änderung seit der neuen Vereinbarung darin, dass „die Parkwächter die Patrouillen in dieser Region weitgehend eingestellt haben“. 

Hauptopfer eines militarisierten Systems der Parkverwaltung

Allerdings sieht auch Simpson nicht, dass die Lösung für den Naturschutz darin liegt, den Batwa die Landrechte zurückzugeben: „Die Batwa haben zwar großes Unrecht erlitten, aber sie leben heute nicht mehr als Hüter des Waldes.“ So arbeiteten einige Batwa-Häuptlinge im Park mit Milizen zusammen und ließen diese gegen Geld Bäume fällen, deren Brennholz und Kohle in nahe gelegenen Städten verkauft werde. Das Ergebnis seien „Tausende Hektar Abholzung“, die auf Satellitenbildern sichtbar sind.

Simpson wirft Menschenrechtslobbyisten vor, die Batwa als „ökologische edle Wilde“ zu idealisieren. Aber auch wenn sie das nicht sind, sei ihre Rolle bei der Umweltzerstörung eher unbedeutend. Das Problem sei, dass der Park voller Naturschätze sei, die sich plündern ließen, und noch dazu ideale Verstecke für die Plünderer biete. In einem solchen Umfeld der Gesetzlosigkeit sei der militarisierte Naturschutz „die einzige praktikable Form der Durchsetzung“.

Die Verteidiger der Batwa halten dagegen, die Batwa seien die Hauptopfer der Gesetzlosigkeit, und die entstehe aus dem korrupten und militarisierten System der Parkverwaltung. Die offensichtliche Lösung sei, wie von der Afrikanischen Kommission festgestellt, ihre Landrechte wiederherzustellen. Allerdings werden die Batwa Hilfe brauchen, das sieht auch Rogers so. „Bedeutet die Entscheidung der Kommission, dass die Batwa morgen nach Kahuzi-Biega zurückkehren und die Leitung des Parks übernehmen können? Natürlich nicht“, sagt sie. „Sie brauchen genau wie die jetzigen Parkmanager fachkundige Forschung und Beratung und auch Hilfe für den Umgang mit Milizen, Flüchtlingen und dem Bergbau. Aber ich bin fest überzeugt, dass ihre Ziele und ihre Weltanschauung ihnen eine viel bessere Voraussetzung geben, die Natur zu schützen. Langfristig ist die Wiedergutmachung des Unrechts, das man den Batwa angetan hat, der einzige Weg, um Gerechtigkeit zu schaffen, ihre Kultur wiederherzustellen und die Natur zu schützen.“

Aus dem Englischen von Barbara Erbe. 

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