Kein Grund zum Lamentieren

Mit der Wirtschaftskrise in Europa wird das Klima auch für die Entwicklungshilfe rauer. Doch in der Schweiz sind wir wie in Deutschland nach wie vor privilegiert und dürfen uns der globalen Verantwortung nicht entziehen. Das haben viele junge Leute längst verstanden.

Eine Kolumne über den Sinn der Entwicklungszusammenarbeit in dieser Zeitschrift? Heisst das nicht Wasser aus der Aare in den Rhein tragen, wohin es naturgemäss fliesst? Ist, wer diese Kolumne liest, nicht schon überzeugt, und die anderen erreicht sie ohnehin nicht? Doch mit den rasanten Veränderungen in Europa verschiebt sich der Diskurs schnell. Entwicklungsprobleme haben nicht nur die Staaten Afrikas: Auch Europa steht nun vor Aufgaben, die nach Lösungen schreien. Alle Rettungsaktionen sind bisher gescheitert, und Einigkeit über das richtige Vorgehen ist weit und breit nicht in Sicht.

Autor

Antonio Hautle

ist Direktor des katholischen Hilfswerks Fastenopfer in Luzern.

Dass es nun auch für die Entwicklungshilfe Gegenwind gibt, wurde im Juni in der Schweiz klar. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse schlug vor, angesichts der schwierigen Zeiten die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) bis 2016 nun doch nicht auf 0,5 Prozent des Sozialprodukts zu erhöhen, wie es das Parlament im vergangenen Jahr beschlossen hat. 0,45 Prozent seien genug, man müsse auch bei der Entwicklungshilfe sparen. Der Nationalrat hat jedoch dem neuen Rahmenkredit für 2013-16 zugestimmt. Offen ist, ob im Herbst auch der Ständerat (die kleine Kammer des Parlaments) an der Entscheidung festhält. Und selbst wenn, könnten in Zukunft die jährlichen Budgetdiskussionen zu Kürzungen der ODA je nach Wirtschaftslage führen.

Auf eine meiner Fastenpredigten erhielt ich von einem älteren Ingenieur einen Brief, in dem er mir erklärte, das Afrikaengagement sei völlig sinnlos und falsch, weil es doch nichts bringe. Die Nächstenliebe bestehe primär darin, Vater und Mutter zu ehren und die wirklich Nächsten als die Bedürftigen zu sehen. Mein Einwand, es gehe auch um die Veränderung der ungerechten politischen und wirtschaftlichen Strukturen und um ein menschenwürdiges Leben für alle, vermochte nicht zu überzeugen. Das sei völlig unrealistisch und im Übrigen seien die armen Länder selbst für ihr Elend verantwortlich.

Mir scheint, dass sich die Situation auch für uns Hilfswerke weiter verändern wird. Gerade die engagierte kirchliche Basis ist im Kern wohl noch vorhanden, wird aber immer schwächer. Pointiert gesagt: Wenn nur noch die Alten zur Kirche gehen, sehen auch die kirchlichen Hilfswerke alt aus. Es fehlen dann langfristig die Jungen – nicht nur als Spendende, sondern vor allem als Trägerinnen und Träger der Ideen und Werte, die unsere Arbeit aus der christlichen Perspektive prägen.

Was nun? Lamentieren und in den Abgesang einstimmen? Zum Glück tut das keiner von uns, ganz im Gegenteil. Das stimmt mich zuversichtlich. Ich hoffe sehr, dass Herr und Frau Schweizer begreifen, dass wir Mitverantwortung tragen müssen und können. Wie Deutschland sind wir sehr privilegiert. Dass die Menschen in mehreren Ländern Europas alles andere als zuversichtlich sein können, ist umso mehr Verpflichtung für die, deren Lage noch sehr gut ist.

Ich gehe davon aus, dass gerade die Krisen in Europa einiges in Bewegung bringen werden. Die sozialen Kosten sind hoch. Aber wenn Europa das bewältigt, wird es gestärkt in die Zukunft gehen. Und auch dann bleibt für uns die Verpflichtung, den Blick zu heben und nach Lösungen zu suchen, die globale Fragen einbeziehen. Auch wenn es Europa – weitgehend auf Grund eigener Fehler – nicht mehr so gut geht wie vor ein paar Jahren, heisst das nicht, dass wir uns aus der internationalen Verantwortung stehlen dürfen. Gerade die Schweiz muss ihren Beitrag leisten. Dazu braucht es politische Klugheit und Weitsicht und eine internationale Wirtschaftspolitik, die nicht primär Schweizer Eigeninteressen schützt, sondern globale Zusammenhänge und die Armutsüberwindung im Blick behält. Sonst kommt die „fremde Welt“ noch rascher zu uns.

Meine Kinder haben längst verstanden, dass Migrantinnen und Migranten, Ausländerinnen und Ausländer zu uns gehören und uns etwas angehen. So selbstsüchtig und egozentrisch, wie oft geklagt wird, nehme ich die Jungen glücklicherweise nicht wahr. Sie haben einen Weitblick, der mir als Jugendlichem noch nicht gegönnt war, sie leben und erfahren die Welt global und haben Facebook-Freunde in Afrika und Asien.

Damit wäre auch die Frage des Ingenieurs beantwortet: Wer ist mein Nächster und weshalb sollte ich mich für nachhaltige Entwicklung, Menschenwürde und Gerechtigkeit einsetzen? Schlicht weil es mich und meine Freunde etwas angeht, wenn Menschen von Armut, Ungerechtigkeit und Krieg betroffen sind. Europa hat Probleme zu lösen, aber das gelingt nur, wenn globale Fragen nicht aus dem Blick geraten. Wenn das nicht Grund zum Engagement und zur Hoffnung ist?

 

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erschienen in Ausgabe 7 / 2012: Konzerne: Profit ohne Grenzen
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