In der Global Village-Halle am Austragungsort in München war ein Stand besonders gut besucht: Ukrainische Aktivisten führten ihre App vor, mit der Sozialarbeiter unter den erschwerten Umständen des russischen Angriffskriegs Risikogruppen virtuell erreichen. Sie ermöglicht Beratung oder zeigt den Weg zu häufig mobilen Labor- oder Teststationen.
NGOs und Organisationen zeigten enormes Interesse, diese App in anderen Ländern einzusetzen, etwa in afrikanischen Konfliktgebieten oder entlang von Migrationsrouten, berichtet Andriy Klepikov, Mitgründer und Geschäftsführer der ukrainischen NGO „Alliance for Public Health“, die sich dem Kampf gegen HIV/Aids in Osteuropa und Zentralasien verschrieben hat. Die Ukraine sei Drehscheibe für Innovationen, betont Klepikov, einer von drei Ko-Vorsitzenden der Konferenz. Dank digitaler und mobiler Lösungen sei die Kontrolle über die HIV-Epidemie nicht verloren gegangen. Doch sei jede Innovation nur so gut, wie sie Betroffene erreiche.
Das verfügbare Geld wird weniger
Klepikow gibt den Tenor der Fachleute wider: Viele Fortschritte, hochwirksame Medikamente und Neuerungen gibt es gegen das Immunschwächesyndrom. Sie müssen aber auch bei gefährdeten und betroffenen Gruppen ankommen, wo sie dringend benötigt werden.
Doch das Engagement gegen HIV/Aids schwindet, wie das Gemeinsame Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) unterstreicht. Nach der jüngsten Bestandsaufnahme stehen Fortschritte in reichen Ländern Rückschritten in anderen Regionen gegenüber. Jährlich infizierten sich 1,3 Millionen Menschen mit HIV. Auffällig angestiegen sind die Neuinfektionen in Osteuropa und Zentralasien, vor allem in Russland, der Ukraine, Usbekistan und Kasachstan. Das ist laut Klepikov nur über mehr Finanzzuwendungen an die im Kampf gegen HIV/Aids tätigen Organisationen und Netzwerke zu bremsen. Auch Lateinamerika und Nahost sowie die besonders betroffenen, aber schwer erreichbaren marginalisierten Gruppen wie Drogenabhängige, Sexarbeiter und Gefängnisinsassen müssten mehr Aufmerksamkeit und Mittel bekommen.
Der Bericht von UNAIDS warnt: Würden Fördergelder nicht wieder angehoben, dann bleibe das Ziel unerreichbar, Aids bis 2030 weitgehend zu besiegen und Neuinfektionen um 90 Prozent zu senken. Ob das gelingt, sei eine politische Entscheidung, betont Peter Wiessner vom deutschen Aktionsbündnis gegen Aids. Global sind die Mittel für Aids-Bekämpfung (wovon betroffene Staaten selbst den Hauptteil aufbringen) 2023 gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozent auf 19,8 Milliarden US-Dollar gesunken, das sind laut UNAIDS 9,5 Milliarden weniger, als 2025 benötigt werden.
Das Medikament, das Infektionen verhindert
Höhere und verbindliche Finanzierungszusagen forderte auch der Kongresspräsident Christoph Spinner vom Uni-Klinikum rechts der Isar, denn HIV sei sehr gut behandelbar und es gebe große Fortschritte bei der Prävention. So könnte bei der Prävention das erfolgreich getestete neue Medikament Lenacapavir des US-Herstellers Gilead einen Durchbruch bringen; es muss nicht täglich geschluckt, sondern nur halbjährlich gespritzt werden. Aktivisten und Wissenschaftler fordern, dass Gilead das Mittel kostengünstig besonders in stark von HIV betroffenen Regionen bereitstellt. Eine andere Neuerung ist der kürzlich zugelassene Dapivirin-Vaginalring, mit dem sich Frauen selbstbestimmt vor HIV schützen können. Hier versucht der Globale Fonds für Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM), die Preise durch Großaufträge zu drücken.
Ein weiterer Erfolg, der auf der Konferenz aufgegriffen wurde, ist der Ansatz lokal verankerter Angebote zur Prävention und Behandlung. Damit können Betroffene auch in örtlichen Gesundheitszentren, deren Personal unkompliziert geschult wird, mit antiretroviralen Therapien versorgt werden, statt in eine Klinik zu müssen. Auch der GFATM verfolgt zunehmend diesen gemeindebasierten Ansatz, um Ortskräfte für den Umgang mit Risikogruppen zu stärken, die durch Armut, Diskriminierung oder Kriminalisierung ausgegrenzt sind.
Diskriminierung bleibt ein Hauptproblem
Mobilisieren wollte die Konferenz zudem gegen zunehmende Rechtshürden und Angriffe auf die Menschenrechte, die den Kampf gegen Neuinfektionen erschweren. So betonte Klepikov, in seiner Region liege der Zugang zu Behandlung bei niedrigen 50 Prozent. Russland grenze Drogenkonsumenten und homosexuelle oder gender-diverse Menschen aus. Gesetze, die nach russischem Modell aus dem Ausland geförderte NGOs bedrohen, behinderten auch in Georgien, Kirgisistan oder Tadschikistan den Zugang zum Gesundheitswesen. An Gesetzen sei schwer zu rütteln, so der ukrainische Aktivist, aber Gesundheitstrainings, wie sie etwa der GFATM in Kirgisistan ausführe, könnten auch Rechtsberatung umfassen und das Monitoring von Menschenrechtsverstößen – etwa bei polizeilichen Übergriffen oder wenn Ärzte trotz Schweigepflicht Diagnosen öffentlich machen und Nachbarn Betroffene daraufhin stigmatisieren.
Venro-Sprecher Jan-Thilo Klimisch begrüßt, dass der Bundeskanzler die Aids-Konferenz mit seiner Teilnahme aufgewertet hat und dass Olaf Scholz trotz angespannter Haushaltslage die Fortschreibung von Deutschlands Finanzbeitrag zum Globalen Fonds zugesagt habe. Die Bundesregierung beteiligt sich im laufenden dreijährigen Finanzzyklus des GFATM 2023 bis 2025 mit insgesamt 1,3 Milliarden Euro.
Klimisch findet auch gut, dass die Regierung sich mit Frankreich und Norwegen dafür stark mache, dass insbesondere die G20-Länder mehr in die Weltgesundheitsorganisation WHO investieren. Eine gestärkte WHO könne unterschiedliche Töpfe für lokale Programme zusammenführen, etwa in ländlichen Gegenden Programme für verschiedene Krankheiten besser verschränken, die Wechselwirkungen haben: „Menschen mit Vorerkrankungen von HIV/Aids, Malaria oder Tuberkulose sind zum Beispiel überproportional von der Gefahr betroffen, infolge von Antibiotika-Resistenzen zu sterben“, sagt Klimisch.
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